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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 9.1917

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Heft 17/18
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Friedeberger, Hans: Liebermann-Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26456#0332

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LIEBERMANN AUSSTELLUNGEN

Y"' s gehörte [ich, daß Berlin bei den Veranftaltungen zu Liebermanns 70. Geburtstage
Er [ür ßch den Vortritt in Anfpruch nahm. I[t doch Liebermann ein richtiger Ber-
liner — man könnte [ogar, unter Zitierung eines bekannten Buchtitels, von dem „rich-
tigen Berliner in Wörtern und Redensarten" [prechen — und gehört zu die[er Stadt,
obwohl er ihr, bis au[ die wenigen Tiergartenbilder, kaum jemals einen namhaften
Anteil an [einer Kun[t gegönnt hat. Aber er hat eigentlich alles dazu beigetragen,
daß Berlin in der bildenden Kun[t den heutigen er[ten Rang in Deut[chland einnimmt,
und es i[t nichts als ein [päter und nicht übertriebener Dank, wenn die Vater[tadt dem
Jubilar mit drei Ausheilungen huldigt, mit Darbietungen [einer Graphik im Kgl. Kupfer-
ftichkabinett und in Neumanns Graphi[chem Kabinett, und mit einer Vorwei[ung fa[t
aller wichtigeren Gemälde in der Akademie der Kün[te.
Die Aus[tellung der Akademie mit ihren fa[t 200 Gemälden i[t von einer Wucht
und Eindringlichkeit, wie [ie [ich [elb[t der Bewunderer Liebermann[cher Kun[t [o nicht
vorgeftellt haben mag. Und es muß ein eigenes Gefühl für den Künftler gewefen
fein, [ich [e!b[t hi[tori[ch geworden zu [ehen. Stärker noch als [onft tritt diesmal das
Kla[[i[che der Liebermann[chen Kun[t hervor, die Einheitlichkeit und Folgerichtigkeit
der Entwicklung von den frühen beinfchwarzen Bildern zu den neueften mit der
glühenden, reinen Farbe. Diefe Einheitlichkeit des gefamten Werks und manche
Einzelheit des Liebermannfchen Schaffens ift bereits bei früherer Gelegenheit hier
verfuchsweife charakterifiert worden. Auch für diesmal muß es genügen, einige Seiten
diefes Problems zu [treifen, da Raum und Zeit eine ausführliche Behandlung und Zu-
fammenfaffung nicht erlauben.
Während der Katalog der Ausftellung — der nebenbei bemerkt mit [einen Lö[ungen
der bei Liebermann be[onders [chwierigen Datierungsfragen eine ernfthafte wiffen-
fchaftliche Leiftung darftellt — einfach von einer Max Liebermann-Ausftellung fpricht,
verkünden die Anfchläge eine „Ausftellung von Werken des Profeffors Max Lieber-
mann". Diefe Formel, die Liebermanns Zugehörigkeit zur Akademie mit einem ge-
wiffen erklärlichen Stolz in den Vordergrund fchiebt, gibt dem nachdenklichen Befucher
eine befondere Einteilung und den Anlaß, dem Verhältnis des Künftlers zur Akademie
ein wenig nachzufpüren.
Liebermann hat viel gelernt, und von vielen; aber gerade aus der Weimarifchen
Kunftfchule, wo er fünf Jahre zubrachte, hat er nichts heimgetragen. Dennoch ift er
auf die Akademie als Einrichtung niemals fchlecht zu fprechen gewefen, ja, er hat fo-
gar das Zeichnen nach Gips in gewiffem, befcheidenem Maße gelten laffen. Das ift
kein Widerfpruch zu [einem eigentlichen Wefen, das vielmehr durchaus zu dem neigt,
was man im guten Sinne als akademifch bezeichnen kann, und was man beffer als
Zwang zur Solidität, als höchftes Verantwortungsgefühl dem Vorwurf gegenüber kenn-
zeichnen würde. Hier auf diefer Ausftellung tritt es deutlicher als jemals bisher her-
vor, mit welcher Sorgfalt Liebermann feine Kompofitionen plant und vorbereitet. Von
all den großen Stoffkreifen, den Klein-Kinder- und Nähfchulen, den Alt-Männer- und
Waifenhäufern, den badenden Knaben, den Judengaffen und holländifchen Märkten,
gibt es keinen, bei dem nicht am Ende des Weges eine im Atelier gefchaffene Faf-
fung ftünde, in der die an Ort und Stelle entftandenen Formulierungen, forgfältig ge-
klärt und von Zufälligkeiten befreit, verwertet find. Aus den Zeichnungen und manch-
mal aus der Graphik läßt [ich feftftellen, wie [ich zwifchen diefe erften Formungen, die
vor der Natur entftanden, und jenen lebten Ausdruck prüfenden und wählenden Kunft-

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