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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 9.1917

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Heft 3/4
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Marcus, Felix: Die religiöse Goldschmiedekunst in Belgien
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https://doi.org/10.11588/diglit.26456#0069

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DIE RELIGIÖSE GOLDSCHMIEDEKUNST
IN BELGIEN Mit sechs Abbildungen ( Von FELIX MARCUS
FAie religiöfe Goldfchmiedekunft Belgiens bietet eine reiche Quelle für die Kenntnis
^ diefes wenig bekannten Gebiets. Die meiften einft im Befi§e begüterter Famüien
des Landes gewefenen Arbeiten find zwar leider im Laufe der Kriegsläufte einge-
fchmolzen worden. Aber die in den Kirchen, Klöftern und in den zahlreichen
kleinen Landpfarreien, tro§ aller Ereigniffe und Beraubungsverfuche bis auf unfere
Tage aufbewahrten Gegenftände des Kultus laffen erkennen, welche Meifterwerke
diefer Kunftzweig hervorgebracht hat. Im Mittelalter wurde er zuerft in den
Klöftern betrieben: ln der lebten Hälfte des 12. und der erften des 15. Jahrhunderts
waren bereits Meifter der romanifchen Goldfchmiedekunft tätig: Nicolaus von Verdun
und der Mönch Hugo, welcher fich nadi dem der hl. Marie von Oignies gewid-
meten Klofter (13 Kilometer von Charleroi entfernt) nannte; diefes Monafterium
wurde der Sage nach von einem in Walcourt gebürtigen Priefter gegründet, der mit
feiner Mutter und drei Brüdern, deren einer Hugo, nach Oignies gekommen war. ln
der Kirche St. Nicolaus in Nivelles befindet fich der Reliquienfehrein der Heiligen.
Das Klofter der Soeurs de Notre Dame in Namur befi^t den größten Teil der
Arbeiten Hugos, 14 Stück, aus denen die Leiftungsfähigkeit diefes Künftlers deutlich
fpricht. Es find dies: 1 Kelch nebft Deckel eines Evangelienbuches, beides bezeichnet,
1 Reliquarium in Halbmondform, 2 in Form eines Fußes, 1 in Becherform, 5 Phy-
lakterien (eine Art Reliquienfehrein), 1 Kreuz mit Doppeltraverfe, 1 Kreuz mit Stüt;-
träger und Teile einer Reliquienmonftranz. Der Reliquienbehälter in Halbmondform
trägt auf einem Schweinslederftreifen die Infchrift: „M. C. C. XX octavo fratris Hugo
vas istud opus est, orate pro eo", woraus fich alfo die Jahreszahl ergibt. Außer
diefen im Klofter zu Namur erhaltenen Arbeiten von Hugo d'Oignies befißt noch das
Provinzialmufeum diefer Stadt ein Kreuz mit Doppeltraverfe, das Gewerbemufeum des
Cinquantenaire in Brüffel ein 1903 für den Preis von 10000 Francs erworbenes, aus
St. Nicolaus in Nivelles ftammendes Phylakterium fowie ein Prozeffionskreuz, und
das British Mufeum in London einen Bifchofftab von hervorragender Ausführung.
Ein Teil diefer Arbeiten war auf der Ausftellung von Charleroi 1911, fämtüch zeigen
fie durch die Eigenart der Kompofition, bei der fich Figürliches und Dekoratives mifcht,
Zartheit und Schärfe der Zifelierung und Feinheit der Linien einen hohen Grad von
künftlerifchem Gefchmack. An Stelle des farbigen Schmelzes wendet Hugo d'Oignies
bereits Niellierung an.
Was den Stil der Goldfchmiedekunft feit der erften Hälfte des 13. Jahrhunderts be-
trifft, fo find bisher nur wenig Arbeiten zwifchen diefer Epoche und dem 15. Jahr-
hundert mit Sicherheit feftzuftellen gewefen, die Monftranz in St. Quentin zu Haffelt
von 1286 ausgenommen. Die Ausheilungen vom Jahre 1905 in Lüttich und von 1911
in Charleroi und Tournai haben einen ziemlich vollftändigen Überblick deffen gewährt,
was in Belgien an Reliquienfehreinen, Kelchen, Monftranzen, Kreuzen ufw. vorhanden
ist. Indes fchufen die Goldfehmiede nicht fortgefe^t neue Modelle, fondern hielten fich
an eigene oder gebräuchliche Typen, die fie variierten. Dazu kommt die irreführende
Tatfache, daß fich der gothifche Stil bis in die erfte Hälfte des 16. Jahrhunderts er-
halten hat und erft von da an dem der Renaiffance gewichen ift. In der Zeit Aibert-
Ifabella, welche Belgien eine fo reiche Kunftblüte gebracht hat, verbinden die Gold-
fchmiede noch beide Stile in fehr graziöfer Weife, bis dann allmählich die Formen
der Renaiffance endgültig überwiegen. Die relativ geringe fchöpferifche Fähigkeit diefer

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