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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 9.1917

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Heft 3/4
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Rosenberg, Marc: Sacra Regni Hungariae Corona
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https://doi.org/10.11588/diglit.26456#0057

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SACRA REGNI HUNGARIAE CORONA
mit fünf Abbildungen Von MARC ROSENBERG
*T\ie ungarifche Königskrone, die sogenannte Krone des heiligen Stephan, ift in Ungarn
LV mehr ais ein Kieinod für die Zeremonie der Krönung, fie beanfprudit geradezu
ftaatsrechtliche Bedeutung. Wenn man, die Gefchichte der ungarifchen Verfaffung ver-
foigend, den jähen Schritt bemerkt, der vom Stammesverband zum Königtum geführt
hatte, fowie die Kämpfe beobachtet, die das Königtum gegen die Ständeverfaffung zu
beftchen hatte, begreift man, daß auf feiten der Machthaber eine pfgchoiogifche Neigung
vorhanden war, zur Ausgleichung der Gegenfäße, die Perfon des Königs hinter das
Symbol der Krone zurücktreten zu laffen. Das wurde faft unbewußt dadurch erreicht,
daß man zunächft Königtum und Krone als Worte fynonym einander gleichftellte und
nachher logifch miteinander verband, dabei die Krone in myftifcher Auffaffung als In-
begriff der ftaatlichen Gewalt, die im Königtum verkörpert war, hinftellteh Werböcz-
hat in feinem Opus tripartitum, jener wichtigen Niederfchrift des ungarifchen Gewohn-
heitsrechtes, das 1514 vom Reichstag anerkannt, heute noch Rechtskraft befi^t, die
leitenden Grundfä^e für diefe Auffaffung niedergelegt und auch den fpäteren Stand-
punkt formuliert, der darin befteht, daß jeder adlige Ungar (den heutigen Rechtsverhält-
niffen entfprechend jeder ungarifche Staatsbürger) Mitglied der heiligen Krone ift. Wie
diefe myftifch-religiöfe Auffaffung, aus dem Volksbewußtfein gehoben und durch die
Theoretiker gefeftigt, in glaubensfreudiger Zeit im Tripartitum zur Kodifikation gelangt
ift, fo hat fie auch fpäter, trol^ größerer Nüchternheit und fchwächeren Glaubens, die
Auffaffung der Gebildeten beeinflußt, und wir ftehen der merkwürdigen Erfcheinung
gegenüber, daß im ungarifchen Staatsrecht heute noch eine myftifche Auffaffung Geltung
hat. Literarifcher Vertreter derfelben ift z. B. Graf Apponyi, während andere Forfcher
fich etwas nüchterner verhalten" und fchon Koffuth mit feinem Ausfpruch, man müffe
endlich erklären, daß ungarifche Krone und ungarifcher Staat ein und dasfelbe ift\
gewiß nichts anderes hat fagen wollen, als daß die myftifche Auffaffung der Krone
endlich ein Ende finden müffe und daß der Ausdruck „ungarifche Krone" nichts als
ein Synonym für „ungarifcher Staat" ohne jede myftifche Nebenbedeutung ift.
Wie dem nun ftaatsrechtlich auch fein mag und welche Anfchauung für die Folge
die Oberhand gewinnen möge; wir ftehen vor der unleugbaren Tatfache, daß die bei
der ungarifchen Krönungszeremonie benutzte Krone fchon von alters her sacra ift wie
keine andere, und daß die mit ihr zu vollziehende Krönung eine hohe ftaatsrechtliche
Bedeutung hat. Wenn zugunften Ladislaus L, der mit einer anderen Krone gekrönt
worden war, der Reichstag von 1440 auch ausdrücklich erklärte, daß nicht die heilige
Krone krönt, fondern der Wille der Stände ', fo mag die Staatsrechtslehre, da die heilige
Krone nicht zu erlangen war, in diefem Punkte dem Druck der Verhältniffe nachgegeben
haben; das Volk aber, das fich gern an Myftifches hält, ift der alten Auffaffung un-

* Akos v. Timon, Ungarifche Verfaffungs- und Rechtsgefdiidite, überfe^t von F. Sdiiiier, Beriin
1904, S. 509 f. Vgi. auch Heinrich Marczaii, Ungarifches Verfaffungsrecht, Tübingen 1911, S. 25.
- Corpus juris Hungarici. Stephanus de Werböcz, Opus tripartitum, herausgegeben von Defider
Markus, Leipzig 1902, S. 58 (Teil 1 Titei Hl § 6 und Teii 1 Titel IV § 1).
" Heinrich Marczaii, Ungarifches Verfaffungsrecht, S. 28 mit Hinweis auf Graf Albert Apponyi,
Le Parlament de la Hongrie, im Annuaire du Parlament 1902.
* Marczaii a. a. O., S. 26 mit Hinweis auf „Pesti Hirlap" 1848, 27. Januar. Ich habe die Stelle
nicht eingefehen.
" Marczaii a. a. O., S. 27 und 64.

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