Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers (9.1917)

ZUR FRAGE DER KLEINSIEDELUNGEN IN DEUTSCHLAND

Befeßung deutfcher Landesteile zerftörten Stadt- und Dorffchaften im Nordoften und
im äußerften Südweften des Reiches [pielen wird; bedenkt man weiter die umfaffenden
wohnungspolitifchen Piäne, die das nunmehr dem Reichstag vorliegende Kriegerheim-
[tättengefeß aufrollt, das jedem Feidzugsteiinehmer und [einer Famiiie ai[o nahezu
dem ganzen deut[chen Voik — [rei[te)!t, [ich ein kleines Haus mit zugehörigem
Gartengrund[tück von Staatswegen gegen billige Zin[en zu verfchaffenh — Wenn
die[es Gefeß — was be[timmt zu erwarten i[t — durchgeht, und die von ihm dem
Volk dargebotenen Möglichkeiten, [elb[t nur teilwei[e, ausgenußt werden, [o hat
Deut[diland [ich eine [oziale Wohnungs[ür[orge ge[cha[[en, mit der es an Großzügig-
keit die ange![äch[i[chen Vorbilder weit hinter [ich läßt; wieder einmal ein Beweis, wie
[ehr der deut[che gelehrige Schüler dem engli[chen Lehrer über den Kop[ gewach[en
ift^. — Mit dem Heimftättengefeß werden etwa 75 Prozent des deut[chen Volkes, die
vorher in unzureichenden Mietswohnungen ihr Da[ein fri[ten mußten, in ge[under und
[ozialer Wei[e häuslich ver[orgt [ein, und damit er[cheint gleichzeitig das [o dringende
Problem der Dezentrali[ation oder [tadtbaulichen Auflockerung un[erer indu[triellen
Großftädte endgültig gelö[t. —
Ein nicht zu unterfchäßendes volkswirt[cha[tliches Moment größter Bedeutung der
neu zu bauenden K!ein[iedelungen liegt [chließlich noch darin, daß durch die[e enorm
gefteigerte Architekturtätigkeit nach dem Krieg un[erm deut[chen Baugewerbe — und
damit mittelbar auch un[erer ge[amten inländi[chen Indu[trie — Arbeitsaufträge in
riefigem Maßftab zufließen. Damit kann aber, mindeftens teilweife, jene wirtfchaftliche
Krife überwunden werden, die, bei der aufhörenden kriegsinduftriellen Konjunktur
einerfeits, den zunächft nach Friedensfchluß noch ausfeßenden internationalen Handels-
und Abfaßbeziehungen andererfeits, eintreten könnte. —
* Diefes Reichsgefeß [o!l auf foigender Grundtage gefchaffen werden:
1. Anfprudi eines jeden Kriegers auf Hergabe biltigen Bodens, bei deffen Preis nicht der
Marktwert fondern aiiein die Rückfidit auf den gefidierten Beftand der Heimftätten ausfchiag-
gebend ift.
2. Übernahme des Grundftückes ohne Kapitaianzahiung gegen eine unkündbare mäßige
Rente, die nicht erhöht werden darf, [o iange der Kriegsteiinehmer lebt oder [ich nicht der
Heimftälte entäußert.
3. Bereitfteiiung von Baudariehen gegen mäßige Zins- und Tiigungsfäße, wobei für gärt-
nerifche oder iandwirtfchaftiidie Betriebe die berufliche Eignung und ein angemeffenes Betriebs-
kapitai vorauszufeßen find. DiefeTcigungsdariehen dürfen die voiieHöhe derBaukoften erreichen,
damit auch Unbemitteiten die Errichtung einer Heimftätte ermögiicht wird. Die Verbreitung
und praktifche Ausführung diefer Grundfäße hat der „Hauptausfchuß für Kriegerheimftätten" (Ge-
fchäftsfteiie: Beriin NW. Leffingftraße 11), eine Tochtergründung des .Bundes deutfcher Boden-
reformer", übernommen. —
° Ais weiteres Materiai zu Form und Aniage der Kieinhausfiedeiung fei genannt: Erich
Haenei und Heinrich Tfcharmann. Das Kieinwohnhaus der Neuzeit. Leipzig 1913, und
Walter Curt Behrendt, Kieinfiedeiungen: Die Kunft. (F. Bruckmann, München.) XVli. )ahrg.
Heft 7, Apriil916, S. 205 bis 228, ferner dievoikswirtfchaftiich gut unterrichtende Schrift „Städtifche
Anßedelungs- und Bebauungsfragen" von Oberbürgermeifter Erich Koch, Kaffei, (Schriften des
Vereins für Kommunaiwirtfchaft und Kommunaipoiitik E. V. Heft 7, Beriin-Friedenau 1916), die
den vernünftigen Grundfaß vertritt: .Das Einfamiiienhaus ift der gefchichtiich wie feinem Werte
nach der Mietskaferne [tets voranftehende Bautgpus".

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