DIE SAMMLUNG DR. RICHARD VON SCHNITZLER IN COLN
Abb. 7. Elfenbeindiptychon.
Miniatur des Erzbifchöfiichen Mufeums in Cöln, die vor 1357 entftand und die den
neuen Stil des 14. Jahrhunderts unter franzöfifcher Einwirkung klar ausgeprägt zeigt\
ift die Geftalt Chrifti völlig der Auffaffung von St. Maria im Capitol verwandt, nur
daß, wie auch in dem Elfenbeindiptychon, das Lendentuch überaus ftoff- und faltenreich
geftaltet wurde. Ähnliche Diptychen bergen die Sammlung Meiler in Frankfurt a. M.,
die frühere Sammlung Felix in Leipzig, das Bifchöfliche Mufeum in Münfter. Die
fchönfte Vorftufe, die in der ftarken plaftifchen Geftaltung noch an den großen, monu-
mentalen Stil des 13. Jahrhunderts erinnert, bildet das faft in Dreiviertelrundung ge-
fchnißte Elfenbeinrelief der Sammlung Heinrich Seligmann in Cöln. Es ift das Zwifchen-
glied, das zeigt, wie die Art des 13. Jahrhunderts folgerichtig in den dekorativen
Flächenfchwung des 14. Jahrhunderts übergeleitet wurde. Auch dort finden fielt die
rauchfaßfchwingenden Engel, nur daß die Geftalten noch fefter und gefchloffener mit
der Kompofition der Gruppe vereinigt erfcheinen. Was aber dem Schni^lerfchen Dip-
tychon den entwicklungsgefchichtlichen Wert verleiht, das ift die edle Reinheit in der
Wahl der Darftellungsmittel und der dadurch bedingte fülle Zauber des lyrifchen Stim-
mungsgehaltes. Alles Dramatifche des 13. Jahrhunderts ift verfchwunden. Jede Geftalt
ift nur in die ihr gemäße, eigene Stimmungswelt verfponnen. Aber alle wirken nur
durch die fchöne Verbindung, die ihnen im Aufbau des Gefamtwerkes zukommt. Wie
die Linien ineinander übergleiten, die Maffen verteilt find, die Gruppen und Einzel-
körper in den feften architektonifchen Rahmen eingefpannt find, das ift das reife Er-
gebnis der dekorativen Formgefinnung der Zeit. Sie brachte der Formenfprache die
Beruhigung und Sammlung, die das eigentliche Kennzeichen des Begriffes des „Deko-
i Lüthgen: Die niederrheinifche Plaftik von der Gotik bis zur Renaiffance. Straßburg 1917, S. 159.
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Abb. 7. Elfenbeindiptychon.
Miniatur des Erzbifchöfiichen Mufeums in Cöln, die vor 1357 entftand und die den
neuen Stil des 14. Jahrhunderts unter franzöfifcher Einwirkung klar ausgeprägt zeigt\
ift die Geftalt Chrifti völlig der Auffaffung von St. Maria im Capitol verwandt, nur
daß, wie auch in dem Elfenbeindiptychon, das Lendentuch überaus ftoff- und faltenreich
geftaltet wurde. Ähnliche Diptychen bergen die Sammlung Meiler in Frankfurt a. M.,
die frühere Sammlung Felix in Leipzig, das Bifchöfliche Mufeum in Münfter. Die
fchönfte Vorftufe, die in der ftarken plaftifchen Geftaltung noch an den großen, monu-
mentalen Stil des 13. Jahrhunderts erinnert, bildet das faft in Dreiviertelrundung ge-
fchnißte Elfenbeinrelief der Sammlung Heinrich Seligmann in Cöln. Es ift das Zwifchen-
glied, das zeigt, wie die Art des 13. Jahrhunderts folgerichtig in den dekorativen
Flächenfchwung des 14. Jahrhunderts übergeleitet wurde. Auch dort finden fielt die
rauchfaßfchwingenden Engel, nur daß die Geftalten noch fefter und gefchloffener mit
der Kompofition der Gruppe vereinigt erfcheinen. Was aber dem Schni^lerfchen Dip-
tychon den entwicklungsgefchichtlichen Wert verleiht, das ift die edle Reinheit in der
Wahl der Darftellungsmittel und der dadurch bedingte fülle Zauber des lyrifchen Stim-
mungsgehaltes. Alles Dramatifche des 13. Jahrhunderts ift verfchwunden. Jede Geftalt
ift nur in die ihr gemäße, eigene Stimmungswelt verfponnen. Aber alle wirken nur
durch die fchöne Verbindung, die ihnen im Aufbau des Gefamtwerkes zukommt. Wie
die Linien ineinander übergleiten, die Maffen verteilt find, die Gruppen und Einzel-
körper in den feften architektonifchen Rahmen eingefpannt find, das ift das reife Er-
gebnis der dekorativen Formgefinnung der Zeit. Sie brachte der Formenfprache die
Beruhigung und Sammlung, die das eigentliche Kennzeichen des Begriffes des „Deko-
i Lüthgen: Die niederrheinifche Plaftik von der Gotik bis zur Renaiffance. Straßburg 1917, S. 159.
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