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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 9.1917

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Heft 15/16
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Biermann, Georg: Von Darmstadt - Weimar und Köln , [2]: zur Abwehr
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https://doi.org/10.11588/diglit.26456#0297

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VON DRRMSTRDT

Die Kunftwijfenfchaft ift eine zu junge Diszi-
piin.ais daß fie nicht ade Kinderkrankheiten
durdizumachen hätte, die einem Kindeskörper ein-
mai befchieden find. AufdasMufeumswefen be-
zogen: 500 Anwärter auf mufeaie und akade-
mifdie Steden und höchftens ein Zehntei verfüg-
barer Poften, die außer einem Titei und einem
entfprechenden Wirkungskreis magere Koft und
fchmaie Gehäiter einbringen. Die Statiftik ift
grotesk und maq zu einem Teii die fchiediten
Gepflogenheiten des Standes entfchuidigen. Um
einen Mufeumsdirektorspoften in Weimar be-
werben fidi an fünfzig empfohiene und nicht-
empfohiene Kandidaten, Menfchen mit anftän-
digem Namen, Profefforen, die iängft anerkannt
find und 4000 Mark Jahresgehait ift die Prämie
für den Giücklichen. Unter den Fünfzig wird
der Eine gewähtt, der einen fchwierigen Boden
betritt und einen Haufen Arbeit mit den Sünden
feiner Vorgänger übernimmt und ais erfolgreicher
Bewerber feiten Freundfchaft vonfeiten der zu-
rückgebiiebenen Neunundvierzig erwarten darf.
Oder ein anderes Beifpiei: Eine deutfche Groß-
ftadt — mag fie nun im Weften oder Often
iiegen — hat an einem Mufeum einen Direktor-
poften unbefeßt. Der Sturm beginnt, ausgeführt
von mindeftens hundert jungen und aiten Be-
werbern. Offen gefagt, gibt es kaum einen,
der aiie Vorausfeßungen feines Poftens zu er-
füiien in der Lage wäre ,und da die Kabaien
und Beriiner Bevormundungen immerhin nicht
zu überfehen find, bekommt nicht einmai diefer
eine, giückiich durch Temperament und Bildung
Ausgezeichnete, den Poften, fondern der Mann
mit Empfehiungen und wird Herr über ein Ge-
hait von 5—7000 Mark, das kaum in der Lage
ift, die gefeiifchaftiichen Verpflichtungen auszu-
gieichen, die fich nun einmai an feinen Beruf
und feine Stetiung knüpfen. Dabei hat der Be-
treffende nicht jederzeit einen Rembrandtverieger
zur Hand, der zugieich Kunfthändier ift und
Gutachten und Expertifen mit Anftand ins Ver-
lagshonorar verrechnen kann.
Die Wiffenfchaft aber, die der Kunft dienen
wiii, ift immer noch (troß der Jahrhundertfeier,
die fie nächftens begehen darf) eine einfame
Pfianze, an der die Parafiten nagen. In ihren
Zieien oft unkiar, fchwankt fie zwifchen den
Diszipiinen hin und her. Hier äfthetifches Form-
gekiaube, dort der Verfuch einer Emgiiederung
in aiigemeinere hiftorifche Wahrheitserkennt-
niffe, hier der gelehrte Antiquar, der die Ware
kennt und wertet, dort der feinfinnige Interpret
der hiftorifchen Zufammenhänge und der Stii-
Der Cicerone, IX. Jahrg., Heft 15/16. 22

WEIMAR UND KÖLN
ZUR ABWEHR
u.
anaiyse. Soiche Gegenfäße iaffen fich nicht künft-
iich unter eine Haube bringen, mag der Antiquar
auch Bode, der AnaigtikerWölffiin heißen. Embryo-
naierZuftand rechts und iir.ks. Dabei fctireit die
Kunft nach Leben, gerade die tote, die ihr Gieichnis
in der Gegenwart fucht, gerade die iebendige,
die des Hinweifes auf die Vergangenheit zum
rechten Erkennen nicht entbehren kann. Dem
angehenden Jünger diefer Wiffenfchaft ergeht
es meift wie dem famofen Sd üier im Dokior
Fauft: Der Lehrer, auf deffen Worte er natür-
iich fchwört, wird der Leitftern {'einer Laufbahn
und feiner Speziaiiftenkunft. Der eine macht in
Tizian, der andere in Botticeiii — aber das
Leben, die Praxis, der Gedanke des Zukünf-
tigen gehen teer dabei aus. Zudem ift ja
Kunftgefchichte nachgerade das Studium der
reichen Leute geworden. Daher nicht zuießt
die foziaie Notiage der wirkiieh Begabten, die
in Steiiungen, die Führung im beften Sinne
des Wortes verlangen, auf Gehäiter von Sub-
aiternen angewiefen find Daher die Verfuchung
zu einem Ausfiug ins Land des Handeis, der jo
fchwer zu widerftehen ift. Wer das Standes-
bewußtfein heben wiii, folite deshaib zunächft
einmai im foziaien Sinne den Stand heben. Es
muß die Zeit kommen, wo auch in diefem Beruf
die Wiffenfchaft vom Aiten der lebendige Born
für die Gegenwart wird. Natürlich ift für den
Bücher fchreibenden Geiehrten der Verleger
der fchiimme Wucherer, der feine Kräfte aus-
nußt. Könnte einer diefer Herren einmai die
Abfaßiiften eines erftkiaffigen Veriages durch-
fehen, er würde fein biaues Wunder erieben,
wie wenig feine Bücher in der Tat gekauft
werden und wieviei Geid der Verieger jähr-
iidi dem reinen Idealismus opfern muß.
Immer find es Nebenfächiichkeiten, über die
man fich auf Kongreffen heifer geredet hat.
Jeder große befreiende Gedanke, fo der vom
„Deu'fchen Verein", der ein geiftiges Band für
das künftierifche Schaffen einer ganzen Nation
hätte werden können, ift auf der Bahn der
Mitteimäßigkeit verebbt. An den elementaren
Grundfragen der Difzipiin hat die Erneuerung
anzufeßen^und die wird erft kommen, wenn die
Wiffenfchaft im ganzen Fühiung mit dem Schaffen
der Gegenwart gefunden hat. Nach dem Jammer
diefes Krieges wird die Kunftpflege eine doppeit
erhöhte Bedeutung haben zum geiftigen und
feeiifchen Wiederaufbau unferes Voikes. Man
foii den Ernft der Stunde nicht verkennen. Es
braucht der Erzieher einer Nation — fo wie
Alfred Lichtwark einer war — aber aus der
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