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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 22.1930

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Heft 10
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.27696#0308

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RUNDSCHAU

JONGKIND-AUSSTELLUNG IN HOLLAND
Die Gesellschaft »Nederland-Frankrijk« hat die
Initiative zu einer Ausstellung des Holländers
Jongkind ergriffen, der, wie van Gogh ein trail
d’union zwischen Ilolland und Frankreich, den
größten Teil seines Lebens in letzterem Lande ver-
bracht hat und dort zu Ruhm und Ansehen ge-
langt ist.

1819 in dem Dorfe Latrop in Overyssel geboren,
kam er früh nach Vlaardingen (bei Rotterdam),
trat i83o in das Atelier des ITaager Landschafts-
malers A. Schelfhout und ging i846 nach Paris,
wo er eine Zeitlang unter Isabey arbeitete. Frank-
reich blieb von da an seine Adoptivheimat, wenn
er auch noch verschiedene Reisen nach Holland,
zum Teil für längere Zeit, untcrnommen hat. 1891
ist er in Cote Saint-Andre bei Grenoble gestorben.
Die Ausstellung, die nacheinander den Ilaag, Am-
sterdam und Rotterdam besucht, gibt eine gute
Übersicht über das Schaffen des Meisters. Im gan-
zen hat man 95 Gemälde zusammengebracht, von
denen sich 46 in holländischem, die übrigen in
französischem Resitz befinden, außerdem 5o Aqua-
relle und seine Radierungen.

Jongkind kam von Schelfhout her, und er malte
anfangs auch ähnliche Winterlandschaften wie
sein Lehrer, die sich aber durch ihr Streben nach
einer mehr malerischen Wirkung und ihre unbe-
stimmteren Konturen, ihre etwas breitere Mal-
weise schon bald von ihrem Vorbild unterschei-
den. Bereits die ruhige, harmonische Mondschein-
landschaft von 18/j5 (Leihgabe des Städtischen
Museums in Amsterdam) zeigt eine gewisse Unab-
hängigkeit von der Tradition. Das Motiv derMond-
nacht wird später mit Vorliebe vom Künstler be-
handelt, besonders interessiert ihn dann daran das
unruhige Spiel des Lichtes bei schnell vorbeiflie-
genden Wolken und ihr Reflex auf einem leicht
bewegten Wasserspiegel; eine lockere, impressio-
nistische Malweise, mit nervösen Pinselstrichen, er-
gab sicli hierbei fast von selbst. Doch haftet die-
sen Nachtstücken mit Mondscheinbeleuchtung mit
ihren stereotypen Details, wie der Zugbrücke, der
Windmühle und den Schiffsmasten, oft etwas Kon-
struiertes und Schablonenbaftes an, und sie kamen
in vielen Fällen, als marchandises d’ITollande, wohl
den Bedürfnissen des Marktes entgegen; sie nah-
men in der Ausstellung einen großen, vielleicht zu
großen Raum ein.

Viel unbefangener und ursprünglicher und nicht
auf schließlich doch etwas billige Effekte bedacht,
zeigt sichJongkind in seinen typisch französischen
Landschaften und Seestücken, wo er frei von je-
dem festen Schema und unbeirrt von aller Emp-
findsamkeit und Romantik als reiner Maler nur
seine Eindrücke festzuhalten sucht. Die fremde
Natur mit ihrer anderen, klareren Luft und ihren
helleren und kräftigeren Farben zwang ihn zu

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schärferer Beobachtung, zu größerer Objektivität,
und die Resultate waren dann in ihrer Frische und
Natürlichkeit so entzückend kleine Werke, wie der
noch in einer dunklen Farbenskala gehaltene Blick
auf die niedrigen, alten, zum Abbruch bestimm-
ten Häuser einer Pariser Vorstadt, an die der schon
eingezäunte Wald heranreicht, ein Werk, worin
sich ohne Zweifel der Einfluß des frühen Corot
bemerkbar macht (184 8), sodann der Pont de la
Tournelle mit seinen grauen Häuserfronten und
den bunten Akzenten von Wäscherinnen im Vor-
dergrund (i85i), und ganz besonders die Land-
straße von Bas-Meudon von i865, die das denk-
bar einfachste Motiv in dem gleichmäßigen Lichte
eines warmen Sommertages in auffallend hellen
und frischen Farben wiedergibt.

Später, in den 70 er Jahren, gelangt Jongkind zu
einer noch moderneren Teehnik. Vor allem weiß
er die Leuchtkraft seiner Farbe zu steigern, so daß
er als der erste französischc Luminist betrachtet
werden kann. So ist das reife Werk mit der Stra-
ßenkrümmung in einem französischen Provinz-
städtchen (das Haus des Dichters und Schreiners
Bellaud in Nevers von 1874) mit dem starken
Blau des klaren Himmels darüber ein vorweg-
nommener Pissarro und die lichtdurchflutete
Landscbaft mit dem Schlosse von Mehaing auf
einer Anhöhe von 1878 ist wie eine Vorahnungvon
Sisley.

Diese modcrne Technik wendet Jongkind auch bei
seinen späteren holländisclicn Landschaften an,die
aber nur die alten Molive, Schlittschuhläufer auf
einem Kanal oder Mondscheinnächte über von
Schiffen belebten ITäfen, in virtuoser Weise vari-
ieren. Die französischen Marinen, die er besonders
in seiner ersten französischen Periode gemalt hat,
vieles in der Gegend von Honfleur, sind dagegen
viel abwechslungsreicher und in den Motiven über-
raschender. Vielleicht hat in den Marinebildern
auch Turner etwas eingewirkt. In dem wundervoll
bewegten Seestück mit der reichen Staffage von
malerischen Segelscliif f en vor der steilen englischen
Küste von 1864 glaubt man jedenfalls den Ein-
fluß dieses Malers, dessen Werke er in England ge-
sehen haben muß, zu spüren.

Am freiesten und modernsten zeigt sich Jongkind
aber ohne Zweifel in seinen Aquarellen, die un-
mittelbar vor der Natur äufgenommen, eine mo-
mentane Luft- und Lichtslimmung festhalten, wie
dies in seiner Zeit kaum ein Maler vermochte. Die
Mehrzahl dieser Aquarelle sind auf dem Lande
entstanden, weit weg von der großen Stadt, und
man fühlt darin auch etwas von der Freude, dem
Gttriebe der Weltstadt entronnen zu sein und nun
draußen im Freien aufatmen zu können. Eins der
komplettesten Blätter ist eine Vorfrühlingsland-
schaf't mit noch kahlen Baumstämmchen, in der
den Schneeresten zum Trotz schon eine laue Früh-
 
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