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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 8.1933

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Reiners, ...; Lotz, Wilhelm: Diskussion um das Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.13209#0132

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gekommen. Mit der Aufsicht über die öffentlich-rechtliche
Organisation des Handwerks, mit der Regelung des Berufs-
schulwesens und unzulänglicher Pflege des Fachschulwesens
glaubte der Staat sich genügen zu können. Um jede andere
Einzelmaßnahme mußte hartnäckig gerungen werden; sie blieb
bestimmt unerreichbar, wenn nur die entfernte Möglichkeit be-
stand, daß Staat oder Bevölkerung irgendwelche Opfer für das
Handwerk bringen müßten. Das ist die Lage — seit mehreren
Menschenaltern! Wenn Sie darum von der größeren Leistungs-
fähigkeit der Industrie sprechen, soweit sie mit dem Handwerk
im Wettbewerb steht, so erwägen Sie bitte, daß die Industrie
sich auf eine ganz andere Unterstützung des Staates und der
Öffentlichkeit berufen kann als das Handwerk, von der Kredit-
politik an bis zur technischen Hoch- und Mittelschule. Die
Kommunalpolitik bleibe einmal ganz außer Ansatz. Für das
Handwerk trat nur der eigene Berufsstand ein. Wir fragen
wieder, ist es zu schelten, wenn wir versuchen, ihn stark zu
machen?

Sollen wir endlich noch auf den Ausgangspunkt der Dis-
kussion zurückkommen, auf die Frage der Ausbildung ?

Wesentliches zur Kennzeichnung unseres Standpunktes ergibt
sich aus den vorhergehenden Darlegungen. Lassen Sie uns
lediglich noch sagen, daß wir an der praktischen Meisterlehre
als dem rechten Anfang der Berufsausbildung festhalten. Wir
sehen in der Schule die notwendige Ergänzung der Lehre, nicht
umgekehrt in der Lehre die Ergänzung der Schule, wie Walther
Schmidt meint. Wir lehnen es ferner ab, von der Lehre allein
so viel zu verlangen, wie Schmidt es tut, glauben vielmehr,
daß ein wesentlicher Teil der fachlichen Fortbildung in der
Gesellenzeit und in den Fachschulen zu leisten ist. Mehr als
den Grund der Berufsausbildung kann die Lehre nicht legen.
Wir bekennen uns zum Grundsatz lebendigen
Werdens. Uber diese Dinge hat der beim Deutschen Hand-
werks- und Gewerbekammertag bestehende Bildungsausschuß
sich kürzlich sehr eingehend unterhalten; die Referate er-
scheinen demnächst im Druck.

Mit der Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung

Deutsches Handwerksinstitut.
Dr. R e i n e r s.

Es wird von denjenigen Lesern, denen die Fragen des Hand-
werks am Herzen liegen, sehr begrüßt werden, daß das
deutsche Handwerksinstitut in die Diskussion eingegriffen hat.
Die Handwerkerfragen sind heute nicht Angelegenheit des
Standes allein, sondern, wie ich fest glaube, Angelegenheit
aller um die Zukunft unserer Kultur besorgten Menschen. Die
Werte, die hier ein Stand zu hegen, zu pflegen und weiter-
zuentwickeln hat, sind Grundlagen aller Gestaltung. Nicht
nur das, sondern es sind Grundlagen für etwas, wofür es uns an
einem passenden Ausdruck fehlt: nennen wir es eine Kultur
der Nutzung gestalteter Werte. Dinge, die gestaltet werden,
mögen sie noch so gut sein, haben keinen Wert, wenn sie nicht
richtig, in äußerlichen wie tief innerlichen Sinn, verwendet, ver-
wertet werden.

Es ist nicht ganz leicht, sich mit dem Volkswirtschaftler zu
verständigen, wenn man nicht die termini technici in seinem
Sinn beherrscht. Ich weiß nicht, ob ich von ihm auch ganz ver-
standen worden bin in dem, was man standesmäßige Isolierung
nennen kann. Ich weiß natürlich sehr wohl, daß eine starke
Verwachsenheit mit Art und Wesen der handwerklichen Arbeit
die Grundlage des Standesbewußtseins des Handwerkers ist.
Rein wirtschaftlich aber sehe ich eine starke Verwachsenheit
mit allen produzierenden Faktoren, vor allem der Industrie. Die
Industrie fußt nicht so wie das Handwerk auf einem traditio-
nellen Standesbewußtsein, sie „rekrutiert" sich auch nicht so
sehr aus einer Schicht, wie das Handwerk. Ihre besten inneren
Werte, etwa das Verantwortungsgefühl gegen das Werk, sind
dem Handwerk entnommen. Das Handwerk ist in diesem Sinn
Wertmittler, Traditionsspender nicht im Sinne alter vergilbter
Formen, sondern rein menschlicher Pflichtgefühle. Aber rein
wirtschaftlich gesehen, gehört es zu den Institutionen der
Güterproduktion. Das muß klar auseinander gehalten werden.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich einige Stellen zitieren aus

Briefen, die mir zu diesen Fragen zugegangen sind. Professor
Karl Rupflin schilderte ausführlich seine Einstellung zu den
handwerklichen Schulfragen, die hier, wenigstens vorerst, wegen
des allzu großen Umfangs, den sie annehmen müßten, nicht
behandelt werden können. In diesem Zusammenhang inter-
essiert aber folgende Stelle: „Ich stimme Ihnen vollkommen
bei, wenn Sie behaupten, daß sich der Begriff des Handwerks
heute in strengem Sinn gar nicht mehr umreißen lasse und daß
die Grenze zwischen Handwerksbetrieb und Maschinenbetrieb
eigentlich gar nicht feststellbar sei.

Für die Schule und ihre künftige lehrplanmäßige Gestaltung
ist diese Tatsache nicht eine Erschwerung, sondern eine Er-
leichterung. Sie kann nämlich aus diesem Grunde in ihrem
Bildungsgang die Frage durchaus offen lassen, in welcher Art
von Betrieb ihr Zögling schließlich landet. Denn die Voraus-
setzung zum handwerklichen wie zum technischen Beruf ist die
Werkbegabung an sich, auf die in keinem der bestehenden
Bildungssysteme bisher konsequent Rücksicht genommen wird."

Für unsern Zusammenhang: Rupflin sieht die gemeinsame
Grundlage in der Werkbegabung. Die planmäßige Hand-
werkerausbildung in der Schule kann auch der Industrie die
Kräfte zuführen.

Obermeister Carl Fr. Hansen aus Hamburg schrieb mir:

„Was versteht man unter Handwerk? Die Frage hat zwei
Seiten, eine betriebswirtschaftliche und eine berufsständische.

Alle Versuche, in den letzten 30 Jahren einen klaren ein-
deutigen Begriff über das Handwerk in betriebswirtschaftlicher
Hinsicht zu finden, sind gescheitert. Weder die Art noch die
Zahl der Maschinen, noch die Zahl der Belegschaften, noch die
Art der Arbeiter, ob ganz oder überwiegend gelernt oder un-
gelernt, noch die Art, Erzeugung und Absatz der Waren oder
Leistungen gaben bei genauester Prüfung irgendwelche be-
stimmten und unstreitigen Merkmale für den Handwerksbegriff.

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