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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 8.1933

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Reiners, ...; Lotz, Wilhelm: Diskussion um das Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.13209#0133

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Die Grenzen zwischen dem Fabrik- und Handwerksbetrieb sind
so vielseitig schwimmend, daß man zu einer Eindeutigkeit
niemals kommen kann, ohne den Dingen und Menschen Gewalt
anzutun. Gewiß ist es einfach, eine Brotfabrik und eine
Kundenbäckerei zu unterscheiden. Die Funktionen beider Be-
triebe gehen klar erkennbar in unterschiedlicher Richtung.
Schwieriger ist es schon, den Betrieb eines industriellen Bau-
unternehmers gegen den eines wohleingerichteten Baumeisters
abgrenzen zu wollen. Einfach ist es, den Maß-Schneider-
meister vom Herrenkonfektionär zu unterscheiden, selbst wenn
dieser auch nebenbei Maßarbeit liefert, unmöglich dagegen,
die große Möbeltischlerei von einer vielleicht an Umfang oder
Umsatz kleineren Möbelfabrik zu unterscheiden. Das große
Baugeschäft wird ebenso wie der Baumeister bald auf Bestel-
lung, bald als spekulatives Unternehmen Wohn- oder Ge-
schäftshäuser erstellen. Die Möbelfabrik wird in der Regel für
Unbekannte rein typenmäßig in Massen erzeugen. Der Möbel-
tischler wird, wenn er rationell arbeiten will, das dauernde
Vakuum zwischen Hochdruck und Flaute an Kundenaufträgen
ebenfalls mit der Erstellung von Serienmöbel ausfüllen müssen.
Ein Steinmetz, der nach den geltenden Geschmacksvorschriften
der Friedhofsverwaltung in Massen und auf Vorrat nur zwei
oder drei Typen von Grabmälern herstellt, die sich nur noch
in den Inschriften individuell unterscheiden, wird damit noch
kein Industrieller und eine Großbuchdruckerei mit Verlags-
geschäft wird noch kein Handwerksbetrieb, wenn sie auch
Akzidenzen, Visitenkarten und Werbedrucksachen in sehr er-
heblichem Umfange liefert.

Es gibt nur wenige Betriebsformen, die sich als rein hand-
werklich ansprechen lassen. Außer den oben genannten sind
es hauptsächlich die Handwerke der Bildhauer, Dachdecker,
Friseure, Schmiede, Kupferschmiede, Stuckateure und natürlich
die Baumaler.

Berufsständisch hat man sich nach langen Auseinander-
setzungen damit geholfen, daß nach der novellierten Gewerbe-
ordnung heute als Handwerker gilt, „wer in die Handwerksrolle
eingetragen ist", ein Merkmal, das aber über die fachliche
Eignung, Fähigkeiten und moralische Eignung ebensowenig
bekundet, wie die Eintragung in das Handelsregister. Es
sind erst in neuester Zeit Bestrebungen aufgenommen worden,
die Gesetzgebung dahin zu beeinflussen, daß in die Hand-
werksrolle nur solche Handwerker einzutragen sind, die die
Meisterprüfung bestanden haben. Man mag zu einem solchen
Verlangen stehen, wie man will, — der Plan hat auch seine
Schattenseiten —, das eine aber ist bestechlich an ihm: der
Begriff Handwerksmeister würde eine weitere Bedeutung er-
halten, als er heute hat, die Handwerksrolle würde einen ge-
wissen öffentlichen Glauben gewinnen. Ungeeignete Elemente
würden nicht in solchen Massen sich auf die Handwerkskund-
schaft stürzen können, wie das heute geschieht, wenn der Be-
trieb eines Handwerks nur denen erlaubt wäre, die in die Hand-
werksrolle eingetragen sind.

Rein ideologisch, unabhängig von meinen obigen Erörte-
rungen betrachtet, bestätige ich Ihnen gern, daß die von Ihnen
herausgestellte Begriffsbestimmung über das Handwerk
richtig ist.

Die Einstellung des Handwerks zur Industrie und Gesamt-
wirtschaft: Unstreitig richtig ist, was Sie über die Einstellung
der handwerklichen zur industriellen Produktion sagen, soweit
die neuzeitlichen Normungen und Typisierungen nicht auch
manche handwerkliche Arbeit in den Rahmen der Serien- oder
massenweisen Produktionen drängen. Der ernste Handwerker
weiß das, erkennt die Vorteile und handelt danach. Er stellt
sich auch bewußt und gern „in das Wirtschaftssystem seiner
Zeit". Er weiß sich auch frei von „mittelalterlichen Standes-
vorstellungen oder popanzhaftem Standesdünkel". Die wenigen
Ausnahmen in gewissen Handwerkskreisen, in denen sich ein-
zelne Handwerker als Menschen höherer Ordnung ausgeben
möchten, sei es auf Grund ihres mit Erfolg erlernten Handwerks,
sei es, weil sie als kluge Unternehmer es verstehen, tüchtige
kräfte an ihre Werkstatt zu binden, oder sei es, daß alle
Überheblichkeiten überhaupt nur ihrer unausstehlichen Eigen-
dünkelei beistehen, bleiben in gänzlicher Lächerlichkeit doch
eben Ausnahmen. Der seriöse Handwerker trägt im Innern ein
ehrliches Standesbewußtsein, gestützt auf sein handwerkliches
Wissen und Können, ist bescheiden nach außen, kein Protz.
Bei aller Bejahung der liberalen Wirtschaftsideen ist er doch
von stark ethokratischer Gesinnung beseelt. Ja, er möchte gern
im „ethischen Dativ" fordern: Daß mir kein Pfuscher mein
Handwerk schändet."

Für unseren Zusammenhang: Hansen gibt zu, daß eine be-
triebswirtschaftliche Abgrenzung zwischen Handwerk und
Industrie nicht möglich ist, ja, daß das eigentliche Handwerk
einen recht kleinen Raum einnimmt. Aber er tritt im berufs-
ständischen Sinn für eine klare Abgrenzung des Begriffes
Handwerker ein. Er glaubt, daß es den Typ eines modernen
Handwerksmeisters gibt, der bewußt im Wirtschaftssystem
unserer Zeit steht.

Otto Rückert übergab mir kürzlich folgende Ausführungen:
„Die Untersuchungen über einen Unterschied zwischen Hand-
werk und Industrie beruhen auf folgenden Erscheinungen: 1. die
äußerlich wahrnehmbare Betriebsgröße ist nicht entscheidend,
ebensowenig die Betriebsform. Alle handwerklichen Betriebe
sind in Wirklichkeit kaufmännische Unternehmungen. Ihre
Tätigkeit stützt sich auf Anfrage, Kalkulation, Angebot, Zu-
schlag, Durchführung der Arbeit, Nachkalkulation und Rech-
nungslegung. Die beiden wichtigsten Elemente dieser Stoffe
sind: Kalkulation und Nachkalkulation, die die Gewinnmöglich-
keit und den tatsächlichen Gewinn erkennen lassen.

Das gleiche Bild ergibt sich bei den industriellen Unter-
nehmungen.

In beiden Fällen besteht die Kalkulation mit Hilfe schema-
tischer, auf Erfahrungen beruhender Unterlagen. Die Be-
hauptung, daß der Handwerker in schöpferischem Sinn
kalkuliere, ist falsch. Es gibt in unserem eigenen Handwerk
sogar Kalkulationssysteme und Preisberechnungsgrundlagen
aller Art.

Ist also der geschäftliche Ablauf hüben und drüben der
gleiche, so unterscheiden sich Handwerk und Industrie auf-
fällig:

a) durch die verbreitete Basis der industriellen Preisbildung,
durch Vertrustung und Kartellbildung,

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