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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 8.1933

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Reiners, ...; Lotz, Wilhelm: Diskussion um das Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.13209#0134

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b) durch die Anonymität des investierten Kapitals und

c) durch die betrübliche Tatsache, daß die für die in-
dustrielle Arbeit Verantwortlichen die Güte der Waren
(bzw. hie und da ihre Ungüte, die durch eine besonders ge-
artete Nachfrage gerechtfertigt erscheint, z. B. Ramsch-
artikel, Exportartikel für überseeischen Kaufhandel) zur
Grundlage der Kalkulation erheben, während die Hand-
werker nur vom Kalkulieren und Verdienen reden und nur so
nebenbei an die Ware selbst denken."

Weiterhin dürfte die folgende Definition des Handwerks be-
achtlich sein, die gleichfalls von Otto Rückert stammt: „Hand-
werk ist von Hause aus dazu angetan, die Nachfrage der
Menschen nach den Gegenständen der engeren und weiteren
Umwelt des einzelnen zu befriedigen. Da diese notwendige
Arbeit jahrhundertelang mit Hilfe solcher Werkzeuge getätigt
wurde, die von der Hand geführt werden, bezeichnet man ein
solches Beginnen als Handwerk. Mit der zunehmenden tech-
nischen Erkenntnis, die durch die Verbreiterung des Marktes
und durch die Erhöhung der Lebenshaltung des einzelnen Men-
schen einen durchaus logischen Antrieb erfuhr, wurden die
überlieferten Werkzeuge immer mehr verbessert. Durch diese
Verbesserungen erwuchs uns die Großproduktion, die Dank der
Eroberung weiter Bezirke des Marktes zum Gegenspieler des
alten Handwerks wurde. Das alte Handwerk, dem heute genau
so wie in aller Zukunft ganz bestimmte Arbeitsgebiete vor-
behalten bleiben und das durch die Mehrung der technischen Er-
kenntnisse eine gewisse Bereicherung erfuhr, ist ebenso wie die
Großproduktion hinsichtlich der Gewinne, die durch die Arbeit
erzielt werden, ganz und gar von dem Sinnen und Trachten
des Einzelwesens, das als Unternehmer auftritt, abhängig. Die
vermeintliche Anonymität der industriellen Arbeit kann nur hin-
sichtlich der Finanzierung des Betriebes anerkannt werden. Im
übrigen ist das Vermögen, Sinnen und Trachten des Einzel-
wesens im Rahmen der allergrößten industriellen Unter-
nehmungen im gleichen Ausmaß für den Erfolg ausschlag-
gebend wie im Kleinbetrieb.

Der menschlich-sittliche Vorteil liegt dabei beim Handwerk,
in dessen Rahmen das Einzelwesen alle seine Vorzüge nach
eigenem Gutdünken entwickeln kann. Und diese eine Tatsache
allein schließt soviel Werte in sich, daß bei rüstigem Schaffen
und richtigem Bescheiden mit den Dingen des wahrhaftig nicht
allzu wertvollen menschlichen Daseins weit eher ein gewisser
Glückszustand durchlebt werden kann, als in dem Rahmen einer
Abhängigkeit von dem Willen des Anderen. Wer diese Zeichen
nicht versteht, ist nicht zum Handwerker geboren."

Schon diese Beispiele aus Briefen, die mir zugegangen sind,
zeigen immer wieder, wie ungewöhnlich schwer es ist, den
Handwerkerstand auf Grund der Form seiner Betriebe oder
seiner Position abzugrenzen und nicht nur abzugrenzen, sondern
als einen einheitlichen Stand anzusehen. Ich habe mich in der
letzten Zeit — und deshalb hat auch die Diskussion eine Zeit-
lang geruht —, in den verschiedensten Gewerben umgesehen,
um nach solchen klaren Abgrenzungen zu suchen. Es markiert
sich deutlich der ausgesprochen industrielle Betrieb und es
markiert sich ebenso deutlich der ausgesprochen handwerkliche
Betrieb. Beides sind Spitzenfälle. Man kann sogar sagen,

wenn man nach der Menge der vorhandenen Betriebe urteilt,
verhältnismäßig seltene Fälle. Aus alledem ergibt sich ganz
deutlich, daß eine wirtschaftliche Abgrenzung eine äußerliche
Abgrenzung ist und bleiben muß. So banal es klingt, es ist
einfach eine Tatsache, daß derjenige Handwerker ist, der sich
als Handwerker fühlt, das Standesbewußtsein, das Zugehörig-
keitsgefühl ist das einzig treffende Kennzeichen. Selbst-
verständlich sei hier die Notwendigkeit für die wirtschaftlichen
Verbände anerkannt, andere Unterscheidungszeichen aufzu-
stellen. Vom kulturellen Standpunkt aus ist das Standesbewußt-
sein das ausschlaggebende.

Es ist oft bei den Werkbunddiskussionen darauf hingewiesen
worden, daß das Handwerk im Sinne der gestaltenden Arbeit,
so wie wir Werkbundleute es verstehen, etwas ganz
cnderes ist als der wirtschaftliche Begriff Handwerk, und daß
jedesmal von den beiden Begriffen ganz andere Gebiete
erfaßt werden. Es gibt aber noch einen dritten Begriff, der,
wie ich heute glaube, der richtigere und der tiefere ist, ohne
den die beiden anderen nicht zu denken sind, das ist der
berufs-ethische. Die besle Darlegung des beruflichen Ethos
und seiner Werte scheint mir der Schluß der oben zitierten
Definition Rückerts zu sein. Die Erkenntnis dieser Zusammen-
hänge betrachte ich als einen wertvollen Gewinn aus dieser
Diskussion.

Ich brauche kaum zu betonen, daß ich die vom wirtschafts-
politischen Standpunkt aus gesehenen Ausführungen von Herrn
Dr. Reiners außerordentlich begrüße. Den Feinheiten einer
solchen Darstellung zu folgen, in der Form, daß ich den ganzen
Sachgehalt vollkommen überblicke, ist mir, wie ich offen zu-
gebe, nicht möglich. Da ich Wert und Wesen der Handwerks-
arbeit vom handwerklichen Standesbewußtsein bejahe, und von
diesem Gesichtspunkt aus die Fragen ansehe, darf ich mir auch
erlauben, auf die Nachteile eines übertriebenen Standes-
bewußtseins, vor allen Dingen gegenüber der Industrie, der
„jüngeren Schwester" der Produktionswirtschaft, wie ich sie ein-
mal genannt habe, zu warnen. Ich freue mich aber, daß meine
Bedenken, die sich vielleicht auf dem Ganzen nicht ent-
sprechende Einzelbeobachtungen stützten, auch von Hand-
werkern zerstreut worden sind. Ich möchte nicht versäumen,
Herrn Dr. Reimers zu sagen, daß ich bezüglich der Einordnung
der künstlerisch arbeitenden Handwerker auf dem gleichen
Standpunkt stehe wie er. Ich halte sie für Handwerker und
halte sie überhaupt nur für möglich auf dem Boden und im
Rahmen eines gesunden Handwerks. Allerdings, wie weit eine
organisatorische Einordnung gehen muß und gehen kann, steht
außerhalb meiner Beurteilungsfähigkeit.

Zur Frage der Verschlechterung der handwerklichen Arbeit
möchte ich sagen, daß ich selbstverständlich weiß, daß nicht
der Handwerker daran schuld ist, sondern Ansprüche und
Nachfrage. Gerade deshalb habe ich ja auf die Bedeutung
der Erziehung der Käuferschichten zu einem Gefühl für hand-
werkliche Werte hingewiesen. Und ich habe ja auch deshalb
Andeutungen über Möglichkeiten gemacht, beim Publikum
neues Vertrauen zur handwerklichen Arbeit heranzubilden.

Gerade in diesem Punkt bin ich auf Widerstand gestoßen.

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