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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Widmann, Joseph Viktor: Der Gorilla: eine Pariser Künstlergeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0028

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Der Gorilla. Eine pariser Aüiistlergeschichte. Von I. v, lvidmann

und alles versuchte, aus der eisernen Umschlingung sich
zu befreien. Doch gelang ihr nur, das in ausdrucksvollstem
Abscheu nach rückwärts gebogene Haupt und ein wenig
die linke Brust von dem Leibe des tierischen Räubers zu
entfernen. Daß sie in diesem ungleichen Kampfe verloren
sei, mußte jeder Beschauer der Gruppe sich gestehen, ob-
gleich ein in der linken Schulter des Tieres haftender
Wurfspieß anzudeuten schien, es dürfte der Affe seines
Triumphes nicht ohne Schmerzen froh werden, ja viel-
leicht bald über dem Leibe der von ihm Besiegten tot
zusammenbrechen. Am Sockel des Felsklotzes, auf dem
die furchtbare Szene sich abspielt, gewahrte man den
Hinterleib einer Schlange, die, erschreckt vom Getöse des
plötzlichen wilden Kampfes, in einen dunkeln Spalt des
Gesteins sich flüchtete.

Es war niemand unter den diese Gruppe Beschauen-
den, dem nicht sein Gefühl gesagt hätte, daß hier ein un-
gewöhnlich kühner Künstlergeist etwas nicht bloß Fremd-
artiges, sondern etwas absolut Neuartiges geschaffen habe
und die Kenner bemerkten zugleich, daß der Bildhauer —
Emanuel Fremiet las man auf dem Sockel — seine Auf-
gabe mit unglaublicher Energie angefaßt, sowie mit größ-
tem Fleiße und technischer Meisterschaft durchgeführt habe.
Gleichwohl lauteten die Urteile, die um die Gruppe herum
durch die Luft schwirrten, nicht durchaus zustimmend.
Denn das von Grund aus Originelle, wenn es auch seines
Eindruckes auf das Gemüt gewöhnlicher Menschen nicht
verfehlt, trifft die Geister so unvorbereitet und hat nament-
lich bei den Gebildeten mit so vielen vorgefaßten Meinun-
gen und Theorien zu ringen, daß anfänglich der Verstand
dem richtig empfindenden Herzen nicht Recht geben will.

Daß die Damen der Welt und der Halbwelt vor
diesem Werke nicht viel anderes hören ließen, als Aus-
rufe wie: <gue c'est atkrsux! Ob, gu'elle liorreur!«

konnte den in der Menge unerkannt verborgen stehenden
Schöpfer dieser Gruppe nicht kränken. Sah er doch, wie
sie trotz solchen Äußerungen des Abscheus wie festge-
wurzelt dastanden und nicht müde wurden, ihre Augen
an dem aufregenden Kampfe zu weiden, der dem Marmor
ein so wunderbares Leben und gleichsam Bewegung gab.

Aber da waren auch Herren von gelehrtem Aussehen,
die zwar den geschmeidigen Leib des schönen Mädchens
mit den Augen zu verschlingen schienen, dann aber spitz-
findige Gesichter schnitten und kritische Orakel laut werden
ließen. „Wie kann ein Künstler etwas so Groteskes, wie
diesen furchtbar naturgetreuen Gorilla und etwas so
Zartes, wie den Leib eines Weibes, in einer Gruppe ver-
einigen wollen?" sagte der eine. Ein andrer, der du
moderne Kunst nur um die griechische Ecke anzusehen ver-
mochte, meinte: „Da hätte doch die Entführung der Deja-
nira durch den Centauren Neffus dem Bildhauer ein ganz
anders würdiges Objekt dargeboten. Centauren meißelt
man, aber einen großen Affen — es ist unerhört!" Und
ein dritter fügte bei, — es war ein Litterat der Zolaschen
Schule —: „Schließlich wäre alles recht. Aber was um
des Himmels willen kann ein solches Werk für uns be-
deuten? Erstlich ist es mir noch gar nicht ausgemacht,
ob jemals ein Menschenweib von einem Gorilla ist ge-
raubt worden. Wenn dies aber auch bei Troglodyten-
völkern alter Zeit vorgekommen sein mag, was soll das
uns im neunzehnten Jahrhundert? Unsre Frauen werden
doch nicht von Affen geraubt!" Und er lachte über diese,
wie ihm vorkam, äußerst komische Vorstellung.

13

In diesem Augenblick entstand in der das plastische
Werk umstehenden Menge eine Bewegung. Der zornige
Aufschrei eines Mannes, schnell wieder unterdrückt, wurde
vernommen. Zugleich sah man, wie derjenige, dem dieser
unwillkürliche Laut entschlüpft war, der an seinem Arm
hängenden Dame, einer jungen Blondine von untadel-
haftem Wuchs und schönem, aber jetzt totenblassem Antlitz,
den Arm mit fast brutaler Bewegung entzog. Alles blickte
auf das Paar und viele erkannten in dem Herrn einen
jüdischen Baron der Geldaristokratie, in der Dame seine
ihm seit einem Jahre angetraute Gattin. Was aber zu-
gleich auch denen auffiel, die den Baron F. noch nie vor-
her gesehen hatten, das war die verblüffende Ähnlichkeit
desselben mit dem Gorilla, so weit als ein menschliches
Antlitz und menschliche Gebärde im Tierischen nachgeahmt
werden können. Die Ähnlichkeit war um so stärker, als
in diesem Augenblick auch das Antlitz des Barons wie
das des verfolgten Affen durch den Ausdruck wütenden
Ingrimms entstellt war. Das war derselbe stark vorge-
schobene Unterkiefer bei dem Manne sowohl wie bei dem
Tiere, wenn auch bei letzterm in weit stärkerm Maße.
Die hinter einem spitzen Stirnknochen, aber unter niederer
Stirn verborgen liegenden kleinen Angen, die beginnende
Glatze auf dem Scheitel und dagegen die reiche Behaarung
im Antlitz, ein die mächtigen Kinnbacken umgebender Bart,
der feiste Nacken, die breiten Schultern, die vorgebeugte
Haltung, endlich die ungewöhnlich langen Arme — alles
stimmte, nur daß es beim Tier in den Dimensionen sich
zeigte, die dem gewaltigen animalischen Körper des
menschenähnlichen Affen entsprechen. Der Eindruck war
auf diejenigen, die unwillkürlich zum Vergleich sich ge-
drängt sahen, ein überwältigender. Indessen schien es
nicht, als, ob der Baron seine Aufmerksamkeit auf dies
sein Abbild richtete, nachdem er dasselbe immerhin mit
einem raschen Blick in sich ausgenommen hatte. Seine
funkelnden Augen waren auf den weiblichen Körper ge-
heftet, der in den Armen des Unholdes sich wand, und
vor allem auf eine Stelle des Marmors, wo unterhalb
des Gürtels, an dem die junge, Wilde ihr Trinkgefäß
trug, eine winzige Unebenheit sichtbar war, die nicht ein
zufälliger Fehler des glatten karrarischen Gesteins sein
konnte, sondern ein kleines Muttermal darstellte, das eine,
wie andre wohl denken mochten, unbegreifliche Laune des
Künstlers hier angebracht hatte. Dem Baron F. war
diese Laune nur zu begreiflich! Doch, als er jetzt um
sich her das Geflüster hörte, das durch sein auffallendes
Betragen war hervorgerufen worden, als er ringsum neu-
gierigen Blicken begegnete, von denen viele ihn höhnisch
und spöttisch zu mustern schienen, da kam er zu sich und
mit eiserner Gewalt zog er den Arm der jungen Frau,
den er vorhin so zornig von sich gestoßen hatte, fest in
den seinigen, wandte der Gruppe den Rücken und drängte
sich rücksichtslos durch die Menge, die in bester Laune
ihm Platz machte. Man durfte ihm wohl dankbar sein;
denn durch sein Betragen erst war man darauf aufmerk-
sam geworden, daß man einen Skandal erlebt und der
Schlußszene eines pikanten Dramas beigewohnt hatte.
Alle schauten dem davoneilenden, so ungleichen Paare
nach; mit glühenden Blicken der Künstler, der noch immer
verkwrgen und unerkannt in der Menge stand.

-i- 4-

-r-

Andern Tages erzählte sich ganz Paris die Geschichte
dieses Marmors und jener Litterat aus der Zolaschen
 
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