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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Widmann, Joseph Viktor: Der Gorilla: eine Pariser Künstlergeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0029

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Der Gorilla. Line Pariser Uimstlergeschichte. von I. v. Mid mann

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Schule, dem anfänglich die seltsame Gruppe so fern ab-
liegend von aller Wirklichkeit vorgekommen war, wurde
jetzt einer der eifrigsten Verbreiter der Ansicht, dieses
Werk der Plastik sei ein im höchsten Grade modernes
und alle Ansprüche auf Realität erfüllendes Kunstwerk;
denn Plötzlich war dem Litteraten ein Licht aufgegangen,
daß noch heutzutage „unsre Mädchen und Frauen zu-
weilen von Affen geraubt werden".

Der Bildhauer — so wollte Fama wissen — hatte
vor zwei Jahren die Liebe Julianas gewonnen, der
schönen blonden Tochter eines ehemaligen Unterpräfekten
aus der Zeit des dritten Kaiserreichs. Durch die Re-
publik war der unbedeutende Beamte um seine Stelle
gekommen und hatte, da er im übrigen ein ehrlicher
Mann war, nur eine sehr bescheidene Summe für seine
Ruhestandsjahre beiseite gelegt. Als daher neben dem
Bildhauer, der wohl der Tochter eine sichere Existenz,
den Eltern aber gar nichts bieten konnte, der reiche
Baron F. plötzlich ebenfalls auf Juliana aufmerksam
wurde, die er auf einem Ausfluge iw den Gärten von
Versailles zum erstenmale gesehen und nicht niehr aus
den Augen verloren hatte, da erschien die Werbung des
Bildhauers den Eltern Julianas auf einmal sehr un-
bequem. Eine unvermutete Bürgschaftsleistung für einen
ehemaligen Freund drohte außerdem in eben jenen Tagen
den ganzen kleinen Besitz des einstigen Unterpräfekten zu
verschlingen. Der bereits als von den Eltern begünstigter
Liebhaber im Hause verkehrende Baron F. wurde von
dem Verlust, der die Familie bedrohte, verständigt. Er
war bereit, ohne weiteres die Deckung der ganzen Summe
zu übernehmen und Julianas Eltern außerdem noch auf
Lebenszeit eine jährliche Rente zu gewähren, aber natürlich
nur, wenn Juliana, die bis dahin gegen den Baron eine
sehr begreifliche Abneigung an den Tag gelegt hatte, be-
stimmt würde, zu einer Verbindung mit ihm sofort ihr
Jawort zu geben.

Um jene Zeit sollen einst an demselben Herbstabend
Baron F. und der Bildhauer anscheinend wie Freunde,
wenigstens gegenseitig alle Formen der guten Gesellschaft
beobachtend, miteinander das in einer Vorstadt gelegene
Haus des ehemaligen Unterpräfekten verlassen haben; da
habe auf dem gemeinsamen Hinwege Baron F. mit jener
überlegenen Sicherheit, die der Besitz großer Reichtümer
gewährt, und zugleich mit der Bonhommie des ältern
Mannes zu dem jungen Bildhauer ungefähr folgendes
gesprochen: „Geben Sie sich keine Mühe, lieber Freund,
länger durch Ihre, wie ich gern gestehe, von Talent und
Jugend unterstützten Bewerbungen um das Mädchen mir
einen Sieg streitig zu machen, der mir doch zufallen muß.
Unsre Waffen sind zu ungleich. Gold ist dem Marmor
über. Und seien Sie vernünftig; Ihnen, als Künstler,
ist es viel zuträglicher, ledig zu bleiben." Der Bildhauer
habe vor Zorn, Verachtung und Schmerz anfänglich nichts
zu antworten vermocht, zuletzt aber doch die Worte ge-
sprochen: „Wenn es Ihnen gelingt, das Mädchen mir

abspenstig zu machen, so glauben Sie mir, daß der
Marmor sich an dem Golde rächen wird." Damit seien
sie an jenem Abend auseinander gegangen.

Wenige Tage nachher fand der Künstler, als er
Juliana besuchen wollte, die Wohnung geschlossen. Die
ganze Familie war mit dem Baron F. ins Ausland
verreist. Die Eltern hatten ihrer Tochter so lange zu-
geredet und ihr vorgestellt, daß sie allein den Ruin der
Familie abwenden könne, die Mutter hatte sogar an-
gedeutet, daß sie nicht wisse, ob der Vater sich nicht das
Leben nehmen werde, wenn Juliana nicht einwillige,
kurz, es war von seiten der Eltern so sehr alles aus-
geboten worden, was das Herz eines Kindes zum Ge-
horsam zwingen muß, daß endlich Juliana ihre Liebe zu
dem Künstler opferte und es über sich brachte, dem häß-
lichen und ihr verhaßten Manne, als er sie fragte, ob
sie die Seine werden wolle, mit Augen voll Thränen und
mit zitternden Lippen das leise geflüsterte konventionelle:
»je veux dien« zu antworten. Im Ausland hatte die
Hochzeit stattgefunden. Dann waren alle wieder nach
Paris zurückgekehrt.

Ein tugendhaftes Mädchen hatte Baron F. geheiratet.
Ein Monat an seiner Seite zugebracht, genügte, Julianas
Wesen von Grund aus zu ändern. Rasch fand sie sich
in den frivolen Ton der großen Welt und in den Genuß
der Reichtümer ihres Mannes. Unter anderm bestand sie
darauf, ihre eigene Equippe zu haben. Diese Equipage
hielt oft über eine Stunde lang vor einer Kirche, die
dem Atelier des Bildhauers nicht fern lag. „Wie lange
unsre Herrin betet", dachte der Kutscher auf dem Bock.
„Wie rosig sie aus dem Beichtstuhl zurückkehrt", dachte
der kleine Groom auf dem Hintersitze des Wagens. Ob
sie auch bedachten, daß Kirchen viele Thüren haben, wissen
wir nicht; solche Leute sind schweigsam, wo sie schweig-
sam sein wollen. Und sie waren ja selbst verliebt in
ihre Herrin.

Als Baron F. mit Juliana vom Kunstsalon zurück-
gekehrt war und nach schweigsam zurückgelegter Fahrt mit
ihr allein in einem seiner Prnnkzimmer sich befand, warf
er ihr keuchend nur die Worte hin: „Wir scheiden, Ma"
dame," Sie antwortete ruhig: »se ne ckemancke pas
inieux.« Als diese mit heiterer Zufriedenheit gegebene
Antwort ihn zu einem Wutanfall reizte und er ihr wie
außer sich zuschrie: „Es ist Dein Leib! Ich habe es
erkannt" ... da fragte sie blos über die Achsel: „Nur
mein Leib? und verließ den Saal.

Die Scheidung erfolgte nicht. Baron F. scheute sich,
dem Gerede der Leute noch mehr Stoff zu geben. In
jener Trennung, die der Reichtum Ehegatten gestattet, die
sich innerlich verabscheuen, leben beide nebeneinander, ohne
sich jemals in den Weg zu treten.

An der Statue hat der Künstler nachmals jenes
kleine Muttermal entfernt. Aber der Pfeil im Leibe des
Tieres steckt noch immer.
 
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