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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Kaden, Woldemar: Auf den Ruinen von Metapont: ein Küstenbild vom jonischen Meer
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0046

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28

Auf den Ruinen von Metapont

Meereswelle aufsteigen. Lichte Ortschaften breiten an den
Hängen sich hin oder krönen die breiten Gipfel.

Bei Torremare hat der Zug das wüste Flußbett
des Bradano überschritten und hält auf metapoutinischem
Gebiet. Hier fängt auch die heutige Basilikata (Lucania) an.

Sonnenmüde, von der bleischweren Fieberluft nieder-
gedrückt, betäubt von dem Geschrei der Grillen und Cica-
den, besteige ich das mich erwartende Pferd, das mich
zum Bergneste Pisticci, in bessere Lüfte hinauftragen soll.
Pisticci, das, wie behauptet wird, im Jahre 207 v. Ehr.
nach dem Abzug der Karthager von Metapont durch die
den Römern treuen Reste der Einwohner dieser Stadt
auf dem Berge errichtet ward, soll vorher schon als Zu-
fluchtsort den Ur-Metapontinern, die hier eine Arx ge-
baut, gedient haben.

Der schluchtig gespaltene, staubige und steile Weg
lstnauf ist äußerst beschwerlich und bei Regenwcttcr gewiß
unmöglich. Er lenkt von Torremare her in verbranntes
wüstenähnliches Brachland hinein, das vielfach von Ero-
sionsschluchten zerrissen ist und eine fast unerträgliche
Hitze atmet; klettert dann durch trübselige Schluchten,
schiebt sich an unheimlichen„Abgründen vorüber und zeigt
nirgends auch nur einen Grashalm.

Der Berg ist gänzlich isoliert, er ist der äußerste
jenes Zweiges der Apenninen, der von dem Innern her
das ionische Meer zu erreichen strebt. Wie eine Hoch-
wacht schaut er gen Sonnenaufgang über das Meer hin-
weg nach Griechenland hinüber, dessen nächste Insel, Korfu,
das homerische Land der Phäaken, von dem Strande bei
Torremare aus in einer Segel-Tagesfahrt zu erreichen wäre.

Acht Tage lang sah ich von der Höhe des Berges
aus, im Schatten des Kastells meine Zigarre rauchend,
die Sonne am Saume des Griechenmeeres über die Ge-
filde der verwaisten Graecia Magna anfgehen und weit
drüben im Tyrrhenischen versinken. Acht Tage lang ver-
kehrte ich mit dem patriarchalischen Bauernvolke, das mit
Stolz die antike metapoutische Ähre, die auf allen alten
Münzen sich findet, in sein Stadtwappen herübergcnom-
men und im süßen Wahne lebt, direkt von jenen Griechen-
völkern abzustammen. Anaxagoras, der Philosoph der
alten ionischen Schule, nennt nur den glücklich, der ein
kleines Feld und bescheidene Weisheit kultiviert, und viel-
leicht wäre ich hier oben glücklich geworden....

An dunstfreien Tagen sah ich dicht über den Wellen
drunten die Trümmer eines Tempelgebäudes ragen; deut-
lich erkannte ich die Säulen, die Architrave. Zeuge einer
schönen Vergangenheit, letzte Reste der stolzen Metapont.
Den Namen Metaponts kannte im Volke hier niemand
mehr, von ihm wußten nur „Priester oder Weise" zu er-
zählen; aber den Tempelresten da drunten hat es, ohne
zu wissen, was es sagt, traditionell den Namen »Scuola
cki Liiagora«, Schule des Pythagoras, gegeben; aus an-
dern! Munde hörte ich „Tavole Palatine", während die
Trümmer auf den alten Karten des Archivs der Benedik-
tiner von dem nahen Montes caglioso als »lilensae Im-
peratoris« verzeichnet stehen.

Soll der Name an Kaiser Otto II. erinnern, der im
Jahre 982 dort sein Lager hatte? Auch er fand keinen
Ort Metapont mehr vor; das Dorf, das unter diesem
Namen weiter vegetiert hatte, war schon sechzig Jahre
vorher von den Sarazenen total verwüstet worden und
hatte man den paar übrig gebliebenen Häusern um ein
armes Kirchlein her im 10. Jahrhundert den Namen

Civitas S. Trinitatis gegeben, dem ein Erdbeben gar
bald den Garaus machte. Der einsame Meerturm Torre-
mare, von dem die Eisenbahnstation den Namen erhält,
ist ein Werk des 11. Jahrhunderts. Er wurde, wie er-
sichtlich, aus den Trümmern der untergegangenen Stadt
hergestellt, und solch klassischen Ursprungs können die
Mauern der schlechten Bauernhäuser weit in der Runde
sich rühmen. Tempelstücke von Metapont finden sich im
Vorhofe des Kasinos von San Salvatore, zwei Miglien
von hier und die Säulen, welche die beiden Seitenschiffe
des Domes von Matera, fünf Stunden im Land drinnen,
stützen, find den »Nensae Imperators« entnommen.

Es war an einem Sommertag, um die Stunde, da
Pan schläft und kein Laut in der Natur seine Ruhe zu
stören wagt, als ich im Schatten des Heiligtums meine
Rast hielt. Wie im Schlummer atmete das Meer, wie
Schatten aus dem Totenlande glitten die weißen Möven
gespenstig über die Flut hin; traumhaft »änderte ein
Segel an dem fernen Horizonte hin. In den violetten
Blüten der Minzen summten Bienen und glockenläutende
Hummeln. Das Land hielt den Atem an und nur ein
leises Flüstern ging von Zeit zu Zeit über die braunen
Säulen hin:

„Ein leises heiliges Schauern.

Als machten zu dieser Stund'

Ilm die alten verfallenen Mauern

Die seligen Götter die Rund."

Ich höre große Namen flüstern; im flirrenden Son-
nenschein zieht die ganze Geschichte Metaponts an mir
vorüber-— —

Hochbordige Schiffe fahren gegen den Strand. Epeios,
der Verfertiger des trojanischen Pferdes, baut den retten-
den Göttern einen Tempel, die Stadt um diesen her führt
den Namen Metapont. Lukanier zerstören sie; die Götter
helfen ihr zu einer Blüte. Sie schließt mit Sybaris und
Croton ein Schutzbündnis. Timoleon, der den Syraku-

sanern zu Hilfe eilt, landet bei Metapont.-

Da drüben bei der schmutzigen Lagune von S. Pelagiano,
war der Hafen der Stadt; auf dem schlammigen Grunde
liegen die Überreste antiker Mauern. Der heldenmütige,
unglückliche Alexander Melassus wird von den wilden
Lukanern geschlagen und getötet, seine Asche kommt nach
Metapont. Dann sucht der Spartaner Kleonymos, von
den Tarentinern gerufen, die Fluren von Metapont als
Räuber heim, nimmt der Stadt 600 Talente Goldes ab
und entführt 200 der schönsten metapontinischen Mädchen
als Geiseln. Pyrrhus tritt in Italien auf. Metapont
steht mit ihm gegen Rom und fällt mit ihm durch das
römische Schwert. Und dann liegt Hannibal vor Meta-
pont. Die Römer siegen am Metaurus und der Kopf
seines Bruders Hasdrubal sagt dem punischen Feldherrn,
daß seine Hoffnung dahin. Er zieht ab, viele Metapon-
tiner gehen mit ihm, und Rom diktiert der verlorenen
Stadt die grausamsten Bedingungen. Metapont verödet
mehr und mehr. In den Sklavenkriegeu plündert Spar-
takus die Verarmte gänzlich aus und erschlägt den Rest
der Einwohner.

Später war sie nur noch eine historische Erinnerung.
Cicero kommt im Jahre 50 hierher, um womöglich das
Haus des Pythagoras und den Ort, wo er gelehrt und
gelebt, zu sehen. Zu den Zeiten Pausanias, des Reise-
schriftstellers, war von Metapont nichts mehr zu sehen,
als Teile der Stadtmauer, des Theaters und Ruinen
eines Tempels.
 
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