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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Kaden, Woldemar: Auf den Ruinen von Metapont: ein Küstenbild vom jonischen Meer
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0047

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Lin Rüstenbild vom jonischen Meer, von Wolde mar Raden

Ein Handel. Skizze zu seinem Bilde auf der Iubiläums-Runstausstellung in München von Fred, vezin

Das werden die Tempelruinen gewesen sein, die auch
heute meine rückwärtsschauende Seele gar mächtig ergreifen.
Von der kleinen Bodenerhebung, auf der sie stehen, blicken
sie weit in die Einsamkeit des Meeres und des Landes,
dem vorübersegelnden Schiffer ein Wahrzeichen. Welcher
Gottheit war dieses Heiligtum geweiht? Scuola di Pita-
gora nennt es das Volk. Haben ihm die in den Spalten
des Gesteins nistenden Vögel erzählt, daß die Metapon-
tiner dem Gedächtnis dieses Großen die höchsten Ehren
weiheten, daß sie sein Haus in einen Cerestempel ver-
wandelten und die Straße, in der es stand, nach den
Musen benannten. Ist diese Straße, die heute der
fieberkranke Hirt mit seiner Herde zieht, diese Musen-
straße, sind diese Ruinen die Reste jenes Cerestempels?
Oder ist es jener Trümmerhaufen da drüben, von aller-
hand zusammengestürzten Marmorwerk gebildet, den das
Volk von heute „Chiese di Sansone", Simsons-Kirche nennt?

Simson-Pythagoras hatte gehofft, in Metapont die
ersehnte Ruhe zu finden, aber der Haß seiner Gegner
suchte ihn auch hier. Sie brannten ihm den Lehrsaal
über dem Kopfe an; er rettet sich durch die Flammen
und gibt, niedergedrückt vom Schmerz, seinen Leib frei-
willigem Hungertode preis ....

Fünfzehn schlanke schöne Dorer-Säulen stehen in der
Einöde, und erinnern an die vornehmen Tempelbildnngen

Pästums, Girgentis und Segestas; auch sie haben Griechen-
hände errichtet.

Diese Säulen sind kanneliert; sie haben eine Höhe
von beinahe fünf Metern, einen Basisdurchmesser von
einem Meter und verjüngen sich stark nach oben. Fast
zwei Meter stehen sie voneinander, und die ganze Länge
der zehnsäuligen Reihe kommt beinahe der am Neptun-
tempel von Pästum gleich. Die zweite Säulenreihe,
parallel mit der ersten, hat einen Abstand von 15 Metern.
Die Architrave sind nur teilweis erhalten, Friese und Ge-
simse zerbröckelt, auch die Mauern der Cella gänzlich ver-
schwunden. Vom Fundament keine Spur, auch vomPaviment
nicht und von den Treppensteinen in den Jnterkolumnen.

Der Stein ist harter grober Kalkstein, mit Spuren von
gelbem feinem Stuck. Kein Ornament ist übrig geblieben.

Trotz des Hellen Mittagscheines, trotz des festlich
blauen Meeres liegt es wie Trauer auf dieser Landschaft.
Mit Wehmut betrachten wir diesen Zeugen einer dahin-
gegangenen Kultur, diesen verwitternden Rest eines schönen
Göttertempels, der uns an die rosenbekränzte Jugend der
Menschheit erinnert und klagen mit dem Dichter:
„Schützest du so, Natur,

Deines Meisterstücks Meisterstück?

Unempfindlich zertrümmerst du
Dein Heiligtum?

Säest Disteln drein?"
 
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