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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Lang, Heinrich: Wörth: aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0141

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lVörth. Aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers. Von Heinrich Lang

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der That dem Donner vergleichbar, vernahm. Die gut
unterscheidbaren einzelnen Schüsse schätzte ich etwas rechts
von mir, das Hauptgcfecht schien sich also mehr im Süd-
westen entwickelt zn haben; dort mußte das 5. preußische
Korps engagiert sein.

So war ich vielleicht eine Stunde fortgewandert,
hatte mich auch mehrmals verleiten lassen, eine kleine An-
höhe neben der Straße zu erklettern, um Ausblick zu ge-
winnen — bis jetzt war aber noch immer bloß das Gehör
an der Schlacht beteiligt. Ich hätte, ohne an Beobach-
tungen viel einzubüßen, ruhig noch die Lebcrknödel in
Climbach essen können! Von einer dieser Höhen in der
Nähe von Lembach gewahrte ich endlich einzelne Leute,
auch verschiedene Fuhrwerke mit Heu und Stroh beladen,
später eine ganze Menge Soldaten, welche Schlachtvieh
zurücktrieben. Als ich auf die Straße wieder herunter-
gesticgen war, begegneten mir auch mehrere Wagen mit
Bcrwundeten, bei denen man sich über das Gefecht als
ein für uns günstiges äußerte, obwohl mir die ganze
Situation mit allen den mir entgegen — also zurück —
kommenden, zum Troß einer Armee zu rechnenden Gruppen
nicht recht behagen wollte. Als ich nun vollends auf
einem rechts an der Höhe führenden Weg eine geschlossene
lllancnabteilung ebenfalls zurück reiten sah, drängte sich
mir die Wahrscheinlichkeit einer rückgängigen Bewegung
unsrerseits immer mehr auf, und ich freute mich, als ich
einige hundert Schritte weiter gehend, in einem mir nahen-
den Reiter Herrn Major Heilmann von unsrem Korps-
stab erkannte, mich endlich sicher über den Stand des
Gefechtes informieren zu können. Indem ich ihm meine
kleinen Beobachtungen und Befürchtungen mitteilte, bat
ich um seinen Rat, ob ich weiter Vorgehen könne, in welche
Richtung ich mich wenden, kurz was ich am richtigsten
thun sollte.

„Ja, mein Lieber", sagte der Herr Major, „Sie
haben ganz gut beobachtet; es ist zwar kein Rückzug,
was Sie da sehen, aber es ist ein Befehl gekommen, das
Gefecht abzubrechen. Die Sachen standen gut, wenn man
auch so brave Soldaten wie die Franzosen doch sind, nur
Schritt für Schritt zurückdrängt, aber es ging doch stetig
vorwärts. Jetzt sind die Leute ineinander verbissen, und
da ist ein Abbrechen des Gefechtes nicht so leicht — der
andre drückt eben nach, wenn man ihm Luft läßt. Ich
möchte Ihnen also nicht gerade raten, viel weiter vorzu-
gehen, sicher finden Sie hier einen höher gelegenen Punkt,
wo Sie sich orientieren können, wenn es wieder vorwärts
geht, was ohne Zweifel geschehen wird — von da drüben
hallt es ja auch sehr ernsthaft herüber." Ich folgte seinem
guten Rat und hatte das Glück, auf einem nahegelegencu
Hügel eine von den Franzosen flüchtig aufgeworfene halb
fertige Erdschanze zu entdecken, welche meinen Zwecken
vorderhand vortrefflich entsprach. Von ihr hatte ich einen
prächtigen Ausblick.

Jetzt konnte ich deutlich den gewaltigen Pulverdampf
erblicken, der immer neu aufqualmend, sehr bedeutende
Truppenmassen im Kampfe stehend vermuten ließ. Das
Terrain war durchaus hügelig. Da, links vorne, scheint
eine sehr starke feindliche Position energisch angegriffen zu
werden; um diesen Höhenzug kracht und dampft es am
mächtigsten, auch scheint es in einigen Dörfern zu brennen.
Vor mir direkt ist alles Wald. Da ist vorderhand nicht
viel zu unterscheiden, obwohl auch zwischen den Baum-
kronen einiger Pnlverdampf zum Vorschein kommt. Eine

Die Aunü sü> Alle IV

hochgelegene Ortschaft zeigt sich lang gestreckt über diesen
Wäldern, wenigstens glaube ich durch den eigentümlichen
Dunst in der Atmosphäre (ist es Pnlverdampf oder Nebel,
vielleicht beides?) Pappeln und Firste unterscheiden zn
können; nach meiner kleinen Karte dürfte es Langcnsulz-
bach oder Fröschweiler sein. Das stimmt — erstcres war
ja gestern im Befehl erwähnt worden; ich bin also ans
der richtigen Fährte. Das Wetter ist leider noch immer
trüb, es nässelt und macht nur ganz schwache Versuche
zu Wolkenbildungen; das drückt auch den Pulverdampf
herunter und hindert dadurch die Beobachtung.

Aber ohne alle Frage bin ich im Bereich einer wirk-
lichen Schlacht; das ist kein Gefecht mehr, wie vorgestern
bei Weißenburg; dieses ununterbrochene Wettern des dröh-
nenden Geschützkampfes, welches selten nur eine einzelne
Detonation dem Gehör zu fassen erlaubt, hat etwas groß-
artig Imponierendes, und ich muß gestehen, es ist dieser
erste Eindruck einer großen Schlacht, dessen Wucht ich
mich wie bestrickt lange Zeit mit eigentümlicher Freude
— fast möchte ich sagen mit Stolz — hingab, eine
meiner nachhaltigsten Erinnerungen aus dem ganzen Feld-
zug. Freilich wird dieser „Stolz", eine große Schlacht
in der Nähe zu sehen, gar sehr gedämpft durch das recht
niederdrückende Gefühl, dieselbe dadurch noch nicht eigent-
lich mitgemacht zn haben, und die ärgerliche Ungeduld
darüber wuchs zu einer wahren Pein heran, als nach
einiger Zeit das wieder stärker beginnende Feuer auf
unsrem Flügel mich belehrte, daß es — wie Herr Major
Heitmann voraussagte — wieder vorwärts ging. Warum
sollte ich nicht auch vorwärts gehen? Aber in diesem
toupierten und so stark bewachsenen Terrain war es in
der That schwer zu bestimmen, auf welchem Wege?

Dafür genügte mein kleines Reimannschcs Kärtchen
nicht und diesmal kam mir kein Generalstabsmajor in den
Wurf, der mich freundlich zurechtweisen konnte. Auf der
Straße begegnete ich wohl einem Bekannten, Major Lob
vom 9. Regiment, der verwundet mit noch einem Kame-
raden in einem Bauernwagen zurückgebracht wurde. Glück-
licherweise war er nur leicht blessiert, so daß ich seine
Hauptsehnsucht (nach Zigarren) befriedigen konnte. Unter
den Details über das Gefecht, welche er mir geben konnte,
war schon eine Trauernachricht: Major v. Schlichtegroll
vom 1. Regiment, mir von München her wohlbekannt,
sei geblieben.

Seiner Weisung, mich halb rechts zu halten, folgend,
kam ich auf irgend einem Holzweg oder Gangsteig wieder
auf eine Kuppe, welche mir schon eine weit bestimmtere
Beobachtung ermöglichte. Jetzt sah ich deutlich links vor
einem Dorfe Artillerie in vollster Arbeit, konnte auch die
gegnerischen Granaten teils in der Luft platzen sehen, teils
den schrillen Ton vernehmen, mit dem sie ihre Spreng-
stücke nach allen Seiten schleuderten. Weiter links sah ich
auch in ein Thal hinab, in welchem größere Infanterie-
Abteilungen gedeckt vorzugehen schienen. Drüben war das
andre Dorf, wahrscheinlich Fröschweiler, aus dem all-
überall größere und kleinere Massen von Pnlverdampf
hervorqnollen, dem häufigen Knarren nach auch zum Teil
von den berühmten Mitrailleusen herrührend. Gegen
Süden zu wütete die Schlacht in gleicher Heftigkeit, wie
vor einigen Stunden weiter. Da ich noch immer zu ent-
fernt war, um selbst irgend einer Gefahr ausgesetzt zu
sein, so benutzte ich den verhältnismäßig so günstigen
Punkt, um die landschaftliche Situation, unter anderem

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