Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

DOI Artikel:
Lang, Heinrich: Wörth: aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0142

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Wörth. Aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers, von Heinrich Lang

,oe

die Stimmung der Luft, ziemlich genau zu zeichnen, da
ich doch nicht wagte so ins blaue hinein bis vor in die
wirkliche Schlachtlinie zu laufen. Was hätte ich jetzt da-
rum gegeben, das in Aussicht gestellte Beutepferd schon
zu haben! Aber so mit Schustersrappen der Aktion nach-
zukrebsen, noch dazu völlig unvertraut mit den militäri-
schen Dispositionen, schien mir doch in verschiedener Be-
ziehung zu riskiert. Da war mein Kollega, Professor
Blelbtreu, schon kühner: der war heute Vormittag — wie
er mir später einmal erzählte — mit den Plänklern des
5. Korps, obgleich ebenfalls unberitten, mit vorgerückt bis
an die Sauer und erst als er sah, daß das Wasser den
Durchwatenden schier bis an die Brust reichte, entschloß
er sich hier Halt zu machen (hat auch bei dieser Gelegen-
heit einiges Pulver gerochen). Allerdings gab es für ihn
dabei auch nicht den mindesten Zweifel, richtig dahin zu
kommen, wo es sich für ihn handelte, zu sein — mir
war aber in diesem Moment absolut kein Anhaltspunkt
geboten, mein Bemühen durch Erfolg belohnt zu sehen.

In diesen etwas trüben Gedanken befangen, kam es
mir schließlich als das natürlichste vor, denjenigen mich
anzuschließen, an die ich offiziell gewiesen war und suchte
daher die ursprünglich betretene Straße wieder zu ge-
winnen, auf der ich eventuell das Quartier, hoffentlich
aber schon eher die nachrückende Kolonne des kleinen
Trains finden könnte. Den crstbestiegenen Hügel mit der
Schanze erklomm ich indessen nochmals und erblickte da
aus dem erwähnten Dorfe mehrere gewaltige Rauchsäulen
emporqualmeu, es mußte dort au verschiedenen Punkten
brennen. Jetzt hatte es auch eine Pappel erfaßt — ich
sah sie lichterloh aufflammen, wie ein Wachsznndhölzcheu.

Die armen Menschen dort, wie mag es denen zu
Mute sein! Offenbar wurde um ihren Heimatsort, wahr-
scheinlich auch in demselben, furchtbar gekämpft: ohne
Zweifel das gewiß so zäh als möglich verteidigte Boll-
werk des feindlichen linken Flügels. Man sieht ganz
deutlich, wie die braunroten schweren Brandwolken mit
den weißen und grauen Ballen und Streifen des Pulver-
dampfes über dem armen bisher gewiß noch ganz unbe-
kannten stillen Vogesendorfe sich vereinigen, wahrscheinlich
zum gänzlichen Verderben der friedlichen Ortschaft, die
von heute ab dafür vielleicht den Vorzug haben wird, in
der Weltgeschichte genannt zu werden wie Cannae oder
Salamis! Denn d i e Schlacht führt sicher zu einer ersten
Entscheidung!

Ich stieg herunter, darüber doch gleich etwas zu er-
fahren, gewiß mußte schon Botschaft da, doch wenigstens
unterwegs sein!

Bald erfuhr ich auch, daß der kleine Train nachbe-
ordert sei, vorerst auf Lembach, von da vielleicht noch
näher an das Schlachtfeld.

Ich traf die Wagenkolonne, als schon die Sonne im
Sinken war und später in Lembach, welches außerdem
vollgepfropft mit Truppen, Ambulanzen, Bauernkarren
u. s. w. war, ein leider in und um den Pfarrhof herum
nur allzu reich besetztes Feldspital.

Wir zogen durch und weiter, nach Langensulzbach
hieß es. Auf der Straße unaufhörlich entgegenkommende
Verwundetentransporte in allen möglichen Vehikeln; leider
war es schon zu dunkel, um davon malerisch etwas zu
profitieren. Aber, obwohl das Wetter sich seit kurzem
aufgeheitert hatte, war doch der Marsch durch diese Be-
gegnungen kein lustiger. Wir hörten allzuviel der gräß-

lichen Jammer- und Schmerzenslautc, wie sie beim Aus-
weichen, Aufeinanderprallen und plötzlichem Halten der
Fuhrwerke den armen Opfern der großen, freilich sieg-
reichen Schlacht ausgcpreßt wurden. Ich dankte Gott,
als wir in Langensulzbach wieder mehr ins pulsierende
Leben einer zahlreichen, von Streit und Sieg erregten
Truppenmasse gelangten, wo nun der Kampf ums Dasein
für uns selbst sich geltend machte.

Überall wurden französische Gefangene hereingebracht,
massenhaft in den Gehöften zusammen eingepfercht und
bewacht, worunter auch Elsässer Bauern mit Zipfelmützen
und hohen Vatermördern. Vor einem ummauerten großen
Anwesen sah ich eine ganze Reihe größtenteils noch mit
Sattel und Zeug versehener französischer Beutepferde
stehen! Das war nun mein Fall! Ob wohl der mir
bestimmte Renner darunter sein mag? So gut es das
schwache Dämmerlicht gestaltete, musterte ich mir die statt-
liche Kollektion und schließlich blieb mein besonderes Interesse
an einem auffallend schönen dunklen Apfelschimmel haften,
dessen brillante Adjustierung mit voluminösen Packtaschen
an einem ganz neuen Sattel auf goldbetreßter Schabracke
mir gleich in die Augen gestochen hatte. Überdies schien
mir das Pferd jung und leistungsfähig, beim näheren
Hinzutreten auch fromm und vertraut, vor allem aber
entsprach mir die Größe — er mußte mich vortrefflich
„taillieren". Seiner herrlichen seidenartigen Mähne und
dem langen weißen Schweife nach durfte es ein Berber
sein, nur war er mir für einen solchen zu kräftig und
in der Kruppe zu edel geformt. Mit allen möglichen
schönen Hoffnungen, wie sie mir diese Inspektion erregte,
suchte ich meine Gefährten wieder auf und fand sie in
einem kleinen Wirtshause beschäftigt, sich den Verhält-
nissen entsprechend bestmöglichst einzurichten. Der gefällige
Freund Schultheiß bot nur gleich als Nachtlager einen
schönen großen Tisch an, welcher gegenwärtig noch zu
dem Versuche diente, einigen Käserinden und Brodresten
im Verein mit einer ziemtichen Anzahl leerer Teller den
Charakter einer wirklichen Abendmahlzeit zu verleihen.
Wein war aus unfern verschiedenen Schnappsäcken, wenn
auch nicht im Überfluß, zusammengesunden worden und
sogar einige Gläser Bier erschienen ans der Tafel der
Sieger, die letzte Leistung, deren das Gasthaus als solches
noch fähig gewesen.

Es war aber auch darnach! Einige unsrer Schicksals-
genossen, welche ihre bayrische Abstammung auch hier
nicht verleugneten, erklärten nach dem Genüsse dieses
überrheinischen Gerstensaftes, daß ihnen bange Zweifel
das Herz bestürmten, ob wir hier nicht einem Vergiftungs-
Versuch gegenüberständen.

Nach diesem Souper folgte noch der übliche Gang
ins Stabsquartier, zu erfahren, was für morgen bestimmt
sei, und dabei vollzog sich für mich die Erstickung eines
sehnlichen Wunsches, nämlich die wirkliche Überweisung
eines Reitpferdes. General v. Hartmann ließ mich rufen
und wiederholte auf den Bericht meiner heutigen persön-
lichen Erlebnisse hin sein Bedauern, daß er mich nicht
früher hatte beritten machen können. „Aber jetzt, lieber
Lang" — schloß er — „haben wir wirklich rittige
Beutepferde; davon sollen Sie eines bekommen." „Habe
schon mein Auge auf eines geworfen, Exzellenz", platzte
ich heraus und bereute meine eigentlich ungezogene Vor-
eiligkeit, als mir der gütige General bemerkte, ich könne
auch dieses gleich übernehmen, wenn es mir besser anstiinde
 
Annotationen