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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Ebers, Georg: A. Schelfhouts Traumbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0159

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A. Schelfhouts Traumbild, von Georg Lbers

Baurrnaliackr. von w. Diez

über die Alpen", sagte ihm eine liebe Frauenstimme, und
der Greis .erwiderte lächelnd: „Was soll der Winterland-
schaftenmaler da, wo's keinen Schnee gibt?"

Aber er war fest überzeugt, daß seinem Künstler-
auge in Italien auch noch vieles andre fehlen werde,
und besonders das Maß, das er liebte und hochhielt, die
maßvollen Formen und Farben. Die Bläue des Meeres
und des Himmels der südlichen Breiten waren ihm zu
grell, das Licht und der Schatten standen für seine Em-
pfindung doch in einem Gegensätze, der ihn verletzte.
„Ein blaues Meer im Sturm, huh!" hörte ich ihn
sagen, und er ließ sich nicht überzeugen, daß die Wogen
der Mediterranea grau und gelb und schwarz aufzubrausen
vermögen, wenn Poseidons Dreizack ihren Grund auf-
wühlt und die Tritonen mit wütender Lust in die
Muscheln stoßen. Über das herrschende Blau in der
Landschaft des Südens konnte er sich förmlich ereifern;
denn überall suchte er in der Natur das Widerspiel
menschlichen Wesens. Eine italienische Mittagslandschaft
kam ihm vor wie ein wiehernd lachendes Gesicht, eine
niederländische wie ein maßvoll und freundlich lächelndes
Antlitz.

Als ich einmal versuchte, für den Zauber der ita-
lienischen Landschaft und besonders den der römischen
Kampagna lebhafter einzutreten, unterbrach er mich fröh-
lich und sagte: „O, ich kenne das alles, wenn ich es
auch nicht wie Sie den Zugvögeln nachgethan habe;
aber," — und nun winkte er seiner treuen Gefährtin
zu — „aber ich will Ihnen beweisen, daß ich ans ganz
eigenen Wegen in den Süden gelangt bin". Und die
liebenswürdige alte Dame rief: „Ja, ja, im Traum!
Das müssen Sie sehen. Kommen Sie gleich mit mir."
Und wenige Augenblicke später stand ich vor einem kleinen
Gemälde: Schelshouts Traum, seine einzige italienische
Landschaft.

Gott Morpheus hatte dies Bild dem Schlummernden
gezeigt, greifbar deutlich, und am Morgen, nachdem er
erwacht war, hatte sich der alte Herr sogleich an die
Staffelei gesetzt und die Landschaft, die er im Traume
erschaut, getreulich wiedergegeben. Dabei war in Vier-

Stunden mehr Ultramarin aufgegangen als sonst in ebenso
vielen Wochen, und wie leuchtete und blitzte Himmel,
Luft und Meer aus dem goldenen Rahmen, wie strahlten
die Felsen, wie schwarze Schatten warf das breite
Schirmdach und der Stamm der Pinie auf das heiße
Gestein! An glühenden Augusttagen hatte ich im süd-
lichen Spanien ähnliches gesehen, aber der zarte Duft,
der auch, wenn die Sonne am höchsten stehr, die Ferne
in der Landschaft des Südens so zart und vornehm
verschleiert, jener Duft, der dem Auge so wohl thut, das
die blendende Nähe verletzt hat, war wie weggewischt,
oder besser: das Traumbild hatte dem Schläfer solchen
gar nicht gezeigt. Die Pinien sahen aus wie von lackiertem
Blech und das Meer glich einem Stück blitzblauer Seide.

„Nun?" fragte der Greis.

„Ich habe ähnliches wohl im Süden gesehen" lautete
die Antwort; „indessen..."

Aber er ließ mich nicht ausreden, wies mit der einen
Hand auf das leuchtende Traumgemälde und mit der
andern auf ein reizendes, graues, liebevoll durchgeführtes
Dünenbildchen und sagte: „Ein Götze mit diamantenen
Augen oder ein schlummerndes Bettlerkind.. Was gefällt
Ihnen besser?"

„Das Bettlerkind", versetzte ich. „Aber Sie haben
es lieb und verstehen seine Sprache, während Sie.."

„Nun?"

„Während Sie es nie für der Mühe wert gehalten
haben, indem Götzen das wahrhaft Göttliche zu suchen."

„Wozu auch", versetzte er gelassen. „Was mir in
der Nähe entgegenwächst, brauch' ich nicht in der Ferne
zu suchen. Mein Traumbild gefällt Ihnen nicht, und mir
würde selbst unwohl werden, wenn hier zwei oder drei
dergleichen nebeneinander hingen. Denken Sie sich ein
Zimmer mit lauter italienischen Landschaften an den
Wänden — man ginge darin zu Grunde; aber in drei
Sälen voller Darstellungen unsrer niederländischen Natur
hält man es aus, da geht man gern von der Matte mit
dem Vieh zu dem Gehöft im Schnee, von dem Dünen-
bild zum Laubwald in der thauigen Frische des Morgens,
von der Mühle am Kanal zu der Marine mit den heim-
 
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