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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Voss, Georg: Die Augenblicksphotographie und die Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0197

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15(1

Die Augenblicksphotoaraxbie und die Künstler. Don Georg Doß

Lroxardenfamilie

Augenblicksphotographie >on V. An schütz in Lissa

kürzesten Zwischenräumen, einer nach dem andern, geöffnet
werden. Auf diese Weise erhält man in den neben ein-
ander gestellten Photographien die Gangart des Pferdes,
in ihre einzelnen sonst mit dem Auge nicht wahrnehm-
baren Zustände zerlegt, dargcstellt. Die ganze Reihen-
folge dieser Einzelaufnahmen läßt sich dann wieder in
dem bekannten Lebensrade (Zootrop) oder in einem von
Anschütz besonders konstruierten Apparat so schnell an
unscrm Auge vorüber führen, daß dadurch der Eindruck
der fortlaufenden natürlichen Bewegung hcrvorgerufen
wird. Dieser Apparat wird "unter dem Namen „Der
elektrische Schnellseher" in dem Berliner Ausstellungs-
lokal von Anschütz dem Publikum vorgeführt.

Auch die Aufnahme großer, bewegter Menschenmassen
ist erst durch die Angenblicksphotographie möglich geworden.
Anschütz hat das Leben in dieser Beziehung nach den
verschiedensten Seiten hin belauscht und sich mit seinem
Apparate überall da aufgestellt, wo er bewegte und zu-
gleich interessante Szenen beobachten konnte: Volksfeste,
charakteristische Nationaltänze, einen Pferdemarkt, die Frauen
beim Waschen der Schafe und bei der Ernte z. B. bei
dem Aufbau einer Heumiete. Doch nicht nur für den
Genremaler, sondern für die Darstellung der geschichtlichen
Ereignisse der Gegenwart hat Anschütz in diesen Auf-
nahmen gearbeitet. Seine Bilder aus dem Manöver-
leben, die Darstellung der verschiedensten Truppenteile in
den einzelnen Gefechtsformen, sind nicht nur für den
Schlachtenmaler wichtig, sondern bilden einen so treuen
Spiegel unsres militärischen Lebens, daß diese Aufnahmen

Leopard

Augenblicksphotographie von V. Anschütz in Lissa

als geschichtliches Material zur Veranschau-
lichung der Kriegsführung der Gegenwart der
Nachwelt aufbewahrt werden sollten. Das
Letztere gilt namentlich von denjenigen Bil-
dern, welche die dahingeschiedenen Kaiser in-
mitten ihrer Generale bei den mannigfachsten
Ereignissen des Manöverlcbens zeigen. Die
neuesten für Kunst und Wissenschaft geradezu
epochemachenden Erzeugnisse sind die soeben
im zoologischen Garten zu Breslau hergestellten
Aufnahmen wilder Tiere außerhalb ihrer
Käfige. Diese Tiere in den gebräuchlichen
Käfigen aufzunehmen, würde den gewünschten
künstlerischen und wissenschaftlichen Erfolg
nicht haben, weil einmal die Beleuchtung zu
mangelhaft ist, ferner aber auch der enge
Raum die Freiheit der Bewegungen der Tiere
beeinträchtigt und schließlich die auf dem Bilde
mit erscheinenden Käfigstäbe jeden künstlerischen Eindruck
zerstören. Die Aufnahmen erfolgten deshalb in einem
speziell hierfür erbauten sehr geräumigen Zwinger, welcher
oben vollständig offen war. In diesem Zwinger wurden
die Tiere so lange gelassen, bis sie sich an den neuen
Aufenthaltsort und die scheinbar wiedcrerlangte Freiheit
gewöhnt hatten und sich in ihren Stellungen und ,Be-

Löwr

Augenblicksphotographie von D. Anschütz in Lissa

wegungen völlig frei und ungezwungen zeigten. Erst
dann war eine Aufnahme, sollte sie für Kunst und Wissen-
schaft von Nutzen sein, möglich. Der hohe Wert dieser
Bilder für Künstler liegt klar auf der Hand; aber auch
ihre wissenschaftliche Bedeutung ist nicht zu verkennen,
wenn man nur einen vergleichenden Blick auf die un-
vollkommenen und manchmal geradezu unwahren Illu-
strationen selbst unsrer hervorragendsten naturwissen-
schaftlichen Werke wirft.

Die Bedeutung der Anschützschen Augenblicksphoto-
graphie für die verschiedensten Zweige unsres künstlerischen
und wissenschaftlichen Studiums hat bereits seit Jahren
den Kultusminister vr. v. Goßler veranlaßt, diesen Aus-
nahmen seine besondere Förderung zu teil werden zu lassen.
Wesentlich dieser umfangreichen Unterstützung ist es zu
danken, daß bereits jetzt ein so reiches Material von
Aufnahmen vorliegt. Wie sehr diese Aufnahmen von den
Künstlern benutzt werden, läßt sich auf unfern Aus-
stellungen vielfach verfolgen. Manche sklavische Kopie
nach diesen Photographien hat sich bereits dadurch gerächt,
daß sich auf derselben Ausstellung Bilder zusammen
 
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