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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

DOI Artikel:
Heilbut, Emil: Über die Kunst in England, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0216

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von German Lielferich

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Aianchmal flackert das Genie hell auf; da ist unter
vielem andern, eine Darstellung der „Queen Mab". Man
kennt jene Episode aus Romeo und Julia, die selbst von
Shakesspeare an phantastischem Reichtum kaum überboten,
eins der glänzendsten Gesichte ist, das „des Dichters Aug',
in schönem Wahnsinn rollend", je gesehen hat. Hier gab
Turner Magie. Es widerspricht den Möglichkeiten des
Ausdrucks, das mit der Feder schildern zu wollen. Man
kann es nicht Hervorbringen. Flüssiges Gold flutet in
Rötlichem, flutet in Grünlichem dahin, gemalte Zauber-
töne wie Feenfabeln in Dämpfen, man erkennt keine De-
tails, man sieht keinen Grund ein, alles wogt und flutet
und klingt durcheinander, und nichts gibt doch ein so
treues Bild der Vorstellung, die Shakesspeares Worte in
unfern Geistern geweckt haben.

Wer die verwandte Musik gehört hat, die Berlioz
zur Illustrierung der Queen Mab geschrieben, wird
Gleiches empfinden.

Eine Parallele zwischen dem englischen Landschafts-
maler, der weit mehr als ein Landschafter war und dem
französischen Komponisten, der mehr als ein Musiker ge-
wesen — mehr, und weniger als ein Musiker gewesen —
liegt allerdings nah. Auch Turner ist nicht ganz ein
ganzer Künstler gewesen. »Ts singe ckes genies« viel-
leicht? wie Wiertz? O nein, das nicht, ihm hat wirkliches
Genie angehört, eine ganze Fülle von Genie, dessen Herr-
schaft sich weit hinaus erstreckte, Küsten mit Palmen,
Felsgrotten und strahlende Meeresflächen, mythische Dunkel-
heiten, alle jene Sachen, bei denen die Natur sich Mühe
zur Phantastik gegeben, hervorbrachte; aber dem üppigen
Reich benachbart lag das Reich des Wahnwitzes, Er
lagerte an den Grenzen, begierig, die Blößen des Gegners
zu ersehen, und unternahm zuerst geringere, dann stets
eingreifendere Streifzüge in ein Gebiet, das ursprünglich
ihm nicht unterthan war; er fühlte sich hier behaglich, im
Vollen, er hatte etwas zum Greifen, der fremde Reichtum
reizte ihn, er wurde gewaltthätiger, gleichsam als wäre
er der Herr. Das Genie verteidigte sich, ohne zurückzu-
gehen — mit Genialität verteidigte es alle seine Positi-
onen und zuweilen gelang es ihm selbst, den frechen
Wahnwitz zu schlagen; doch weil es sich wieder üppige
Sorglosigkeit erlaubte, erhielt der Gegner neue Angriffs-
punkte, und drang vor, und im blutigsten Aneinander
trafen die beiden zusammen. Das sind dann die inter-
essantesten Gemälde von Joseph Mallord W. Turner
geworden.

Man hat vielleicht nie einen Band des verstorbenen
E. T. A. H offmann in die Hand genommen und wird
darum die Kühnheit besitzen, diese Geschichte vom Genius
und seiner Gefahr nicht glauben zu wollen. Aber ich
glaube gerade im eigenen Interesse des kunstgeschichtlichen
Verständnisses, bei Turner ist es das beste, an Magie
zu glauben.

Er gestaltet das Unwahrscheinliche — nicht ist es aber
die klassische Walpurgisnacht, wie sie Böcklins klares
Künstlerauge zu schauen scheint, sondern als spiegelte
sie sich in dem Auge jenes armen Teufels ab, der
Faustens Begleiter war und an die nordische gewöhnt
ist, während er die von Hellas erlebt. In der That:
Turner darf in diesen symbolischen Zug nordischer Na-
turen nach der Schönheit des Südens eingereiht werden.
Wir können ihn wie einen Barbaren denken, der Italien
der Heimat vorzieht. Er gehört zu den unglücklichen

unter ihnen, denen der Drang nach der glänzenden Schön-
heit den Ruin der Einheit brachte; denen es ein unruh-
volles Naturell versagte, in ihrer Nebelwelt sich zu be-
schränken, aber die so sehr in ihr ihre Stärke ruhen haben,
daß sie wesenlos werden, wenn sie sie verläugnen. Völker-
wanderer, die ihr Heimatsgefühl verlieren, aber noch um
die Griechcntempel nordische Nebel wallen sehen.

So ist er denn durch zwei Dinge zu charak-
terisieren. Ter Phantastik räumte er große Stücke ein
— der echte germanische Zug der Phantastik, dem
Albrecht Dürer und Rembrandt so vieles danken, ohne
je ihre Sklaven zu werden —. doch vernichtend wurde
für ihn der fremde Zug, die Sucht nach fremden
Idealen. Mit ihnen eine Vermischung des eigenen
Naturells suchen, wurde ihm zum Untergang. Die
Natur duldet keine Verbindung, die unnatürlich wäre.
Sein Talent ging zu gründe, weil er das Gefühl der
Einheit in seinem Talent verlor.

Sieht man genau hin, so findet man schon selbst in
seiner ersten Periode Anzeichen, daß er Gefahr läuft, der
Natur zu entfremden. Er wuchert schon zu Anfang mit
der Natur und ist spekulativ. Er sieht später nicht eine
graue Meeresfläche, ohne durch einen vehementen roten
Fleck mitten hinein ihr beispringen zu wollen, um da-
durch die Kühle der Meercsfläche zu erwärmen; einen
Fleck voll Farbe, »somevbst digger tknn n skülling«!
und von so unsinnig leuchtender Farbe, daß sie alles um
sich her aufzehrt und tötet. Er feuert Kanonen ab.
Kein Wunder, daß man ihn hörte.

In der That ist die Bewunderung, die ihm zu teil
geworden ist, eine ungeheure gewesen. Auch bei den
Franzosen. Doch, scheint mir, darf uns das letztere nicht
zu sehr wundern. Sie sind, trotz allem, in der Kunst
ein nachahmendes Volk. (Die prachtvollen Ausnahmen
können die Regel nur bestätigen.) Sie sind fast immer
und durchaus konventionell. Ihre Kunst kennt (die pracht-
vollen Ausnahmen immer abgezogen) keine Abnormitäten;
sie ist in gewissen! Sinne geradezu langweilig. Dieses
Volk hängt so sehr mit der Form zusammen und der
Größe der Linien. Poussin steht immer noch an ihrer
Spitze. Ihre Knnstschriftsteller, selbst wenn sie „radikal"
sind, sind doch noch immer in gewissen Dingen her-
gebrachter in der Beweisführung und der Wohlredenheit,
als die konservativsten bei uns. Das macht die lateinische

Seemanns-Begräbnis, von H. klk. kV. wurner
 
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