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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Pecht, Friedrich: Die Eröffnung der ersten Münchener Jahres-Ausstellung 1889
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0371

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vor Eröffnung der ersten Münchener Iahres-Ausstellung 188Y

Stillvergnügt. von G^za Peske

Erste Münchener Iahres-Ausstellung !889
Photographieoerlag der Photographischen Union in München

heutigen wie das damalige klägliche, zum Spott des Auslandes gewordene Deutschland zum heutigen stolzen,
vielumworbenen deutschen Kaiserreich. Oder wie das damalige, 90,000 Seelen zählende, bei der Schützenstraße,
dem Krankenhaus und dem Herzog Max-Palais aufhörende München zu dem die dreifache Einwohnerzahl, aber
das zwanzigfache an Kapital und Arbeitskraft zählenden der Gegenwart. Doch das ist nicht einmal der Haupt-
unterschied zwischen einst und jetzt, dieser liegt vielmehr darin, daß die damals noch ganz von der Gunst
eines wohlwollenden Fürsten abhängende Kunst heute ein Gemeingut, ja der Liebling der ganzen Nation
geworden ist. Wenn jetzt zehnmal so viele Künstler in München leben und ihre Werke durch die ganze Welt
gehen, wenn außerdem das Münchener Kunstgewerbe viele tausende fleißiger und intelligenter, künstlerisch
gebildeter Arbeiter beschäftigt, während es zu jener Zeit noch gar nicht existierte, so beweist das nur, daß die Kunst
erst jetzt ein wirklich lebendiger Besitz der Nation geworden, mit dem ganzen Dasein derselben aufs innigste ver-
bunden, daß die Saat, die König Ludwig damals erst ausgesäet, seither in wahrhaft glänzender Weise aufgegangen ist.

Eine andre Frage bleibt es, ob von dem Geist, der im Laufe eines halben Jahrhunderts eine so
ungeheure Triebkraft äußern konnte, jetzt noch ebensoviel vorhanden, vorab ob jene Unabhängigkeit desselben,
die aus sich heraus eine neue Welt erschuf, in ausreichendem Maße vorhanden sei, daß sie ihren Schöpfungen
den Stempel der Zeit und Nation, in der sie entstanden, auch deutlich genug aufzudrücken vermöge, oder ob
aus selbstschöpferischen Künstlern geschickte Nachahmer oder gar Fabrikanten geworden seien, kurz, ob die heutige
Münchener Kunst noch Maß gebe, oder ob sie es von andren empfange? Wir sagen hier Münchener Kunst,
meinen aber damit doch eigentlich die gesamt-deutsche, sowohl weil sie auf der Ausstellung glänzend vertreten
sein wird, als auch weil die Künstlerschaft keiner andern Stadt so gleichmäßig sich aus allen Teilen Deutschlands
zusammensetzt, ja sich durch eine nicht geringe Zahl von Ausländern ergänzt sieht, deren Einfluß mehr und
mehr bemerklich wird.

Technische Fortschritte, die andre gemacht, kann man sich ja immerhin bis zu einem gewissen Grade
aneignen, ja man kann selbst ziemlich unsinnige Moden mitmachen, aber auf eigenen Füßen zu stehen, darauf
kann man nie verzichten; Zopf und Perücke kann man mit Frack und Cylinder vertauschen, man folgt da der
Bewegung des Zeitalters. Aber die eigenartige Weltanschauung, die selbständige Naturempfindung kann der
Künstler nicht aufgeben, ohne alle Bedeutung zu verlieren. Der König Otto ist längst vergessen, sein Königreich
in andre Hände übergegangen, aber des Heße-Bild seines Einzuges in Nanplia lebt als ein unvergleichlich wahres
Zeugnis jener romantischen Epoche, wie des kühl objektiven aber männlich kräftigen Charakters seines Urhebers fort.
 
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