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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Proelß, Johannes: Modelle, [2]: ein Novellenkranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0380

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Modelle. Lin Novellenkranz.

eines jungen Künstlers, zu denen doch eben auch die
Freiheit gehört, sich austoben zu dürfen. Nun — der
endlich freigelassene Gotthold tobte sich aus. Am dritten
Tage versenkte er seine sämtlichen Glaceehandschuhe, die
ihm mütterliche Sorgfalt eingepackt hatte, feierlich in die
Isar und verschwor sich, nie in seinem Leben wieder
welche tragen zu wollen. Er gefiel sich darin, seine
Gewohnheiten ganz dem Landesüblichen anzupassen, ließ
seine aus Bremen mitgebrachten feinen Kleider und Hüte
im Schranke hängen und trug dafür eine Lodenjoppe
und auf dem Kopf schief aufgesetzt einen weichen breit-
randigen Filzhut. Er verachtete hinfort, wie ein echter
Altbajuvare, jede überflüssige Inanspruchnahme von Tisch-
tuch, Messer und Gabel; trank das herrliche Bier nie
aus Halben, sondern aus ganzen Maßkrügcn; erwarb
sich in Bälde eine große Kunstfertigkeit im Zerteilen der
Radi; scherzte frank und frei mit den Kellnerinnen, an
deren behender Kraft in Handhabung der Maßkrüge er
sich nicht satt sehen konnte; würzte seine norddeutsch
gespreizte Redeweise mit allerlei Zierwerk aus der Schatz-
kammer des oberbayrischen Dialekts, lernte das Jodeln
und Schnadahüpflsingen, wo immer Gelegenheit war, kurz
er „vermünchnerte" sich in wenigen Wochen so gründlich,
so echt, daß seine feinen Väschen und Muhmen in Bremen
sicher in Ohnmacht gefallen wären, wenn sie diese Er-
ziehungsresultate der Münchener Luft hätten beobachten
können. Selbst seine engeren Landsleute, die Hanseaten
unter den jüngeren Künstlern, die es ihm keineswegs
alle gleichthaten, waren höchlichst erstaunt über diese
plötzliche Metamorphose.

Dabei war er auch im äußeren ein frischer, munterer
Bursch, der leicht Freundschaft fand und den Mädchen
gefiel. Auch zeigte er sich begeistert für die Kunst und
keineswegs gesonnen, über dem Bummeln das Arbeiten
zu vernachlässigen. Während wir in eifrigem Meinungs-
austausch die weiten Säle der Alten und Neuen Pinakothek
durchschritten, uns bald für jenen Meister begeisternd,
bald über andre in jugendlicher Einseitigkeit aburteilend;
während wir in den Straßen Münchens, in den Arkaden
des Hofgartens, im Banne der Kunstschöpfungen Ludwigs I.
die Arbeiten der Klenze, Schwanthaler, Cornelius, Rottmann
nicht ohne kritische Bedenken anstaunten, fühlten wir in
uns die frische treibende Kraft eines Kunstgeschmacks, der
mit der Natur und der Gegenwart innige Fühlung suchte,
dem darum auch nicht die Historienmalerei Pilotys genügte,
der sich aber mächtig angezogen fand von jenen Jdeal-
realisten wie Defregger und Grützner, die mit der getreuen
Wiedergabe einer Natur, die ihnen selbst gefiel und ihrem
Schönheitssinn wohlthat, eine freudig gestimmte Lebens-
auffassung voller Humor und Herzensfrische verbanden.
Während wir hinterm Biertisch oder auf Ausflügen in
die Umgebungen Münchens bis zum Starnberger- und
Tegernsee mit rückhaltloser Lebhaftigkeit unsre Eindrücke
austauschten, unsre Ansichten klärten und über die eigenen
Ziele und Absichten disputierten, stellte es sich heraus,
daß jeder von uns seinen ersten Versuch, selbständig ein
Bild zu schaffen, in der bezeichnten Richtung vorhabe.
Die Wahl der Gegenstände war charakteristisch genug.
Ich, der ich von klein auf eine große Vorliebe für
unfern treuen Ludwig Richter gehabt und jetzt mich von
den Gassenbuben Murillos in der Alten Pinakothek ganz
besonders angeregt fühlte, hatte eine humoristische Kinder-
szene, deren Zeuge ich im Bavariakeller gewesen, mir zum

vi- U-nS für All- lV

Von Johannes Hroelß 2yr

Vorwurf erkoren. Unser tiroler Kamerad, der über eine
Reihe selbstgemalter Jnterieurstudien verfügte und eine
besondere Freude an den gebrochenen Lichttönen in nur
halb von außen erleuchteten Räumen hatte, wollte ein
altes Mütterchen im Lehnstuhle in eine seiner Bauern-
stuben hineinkomponieren.

Unser Freund hatte sich seine Aufgabe einfacher,
aber doch auch schwieriger gestellt. Einfacher — insofern
er vorhatte, nur eine einzige Figur und auch von dieser
nur das Brustbild auf die Leinwand zu bringen. Schwie-
riger — durch die Bedeutung, den Sinn, die er in sein
Bild legen wollte. Es dauerte einige Zeit bis wir volle
Klarheit darüber erhielten, was er eigentlich malen wollte.
„Ich male Jung-München", hatte er dazwischen gerufen,
als wir ihm eines Abends beim Nachhausegehen von
unfern bereits begonnenen Entwürfen ausführliche Mit-
teilung gemacht hatten. Erstaunt hatten wir ihn ange-
sehen. „Ja wohl! Dies junge, lebensprühende München,
wie wir es in diesen Tagen kennen und lieben gelernt,
das uns vom ersten Tage an so herzig sein „Alleweil
fidel, fidel" entgegen gejauchzt und so warm an sein Herz
genommen." Er sei doch kein Landschaftsmaler, hatte
Klampfner kopfschüttelnd bemerkt. „Daß ihr mich nicht
versteht: eine Verkörperung dieses reizenden Städtewesens
habe ich vor, in das ich verliebt bin, wie ich es noch in
kein wirkliches Mädchen gewesen! Ein Sinnbild von
München, das sein Wesen wirklich erschöpft, als zeit-
gemäßes Gegenstück zu dem drolligen „Münchner Kindl"
mit seinem Gebetbuch in der Hand, das wohl für das
alte lVlormcbum mcrnacllorum, die Mönchsstadt, aber
nicht mehr für das neue lVlonackum artium, die Kunst-
stadt, zutreffend ist. Das braucht eine andre Wappen-
figur! Die will ich erfinden." Er blieb stehen und blickte
hinauf in den blauen Himmel, als ob er dort sein Bild
bereits fertig sähe. „Seht, so ein Ideal von einer
Münchener Kellnerin, gesund und kräftig, dabei graziös;
blitzend blaue Augen und blinkend weiße Zähne zwischen
den lachenden Lippen; einen Alpenrosenstrauß in dem
mit silbernen Kettchen behangenen Mieder. Mit der
Rechten schwingt sie starken Armes einen überschäumenden
Maßkrug. Die Linke ruht auf einer Zither. Das Ganze
muß ausjehen, als riefe das lebensprühende Kind der
Welt zu: „Seid's lusti und habt's a Schneid! Allweil
fidel!" Aber wo dafür ein Modell finden? Bei der
Loni, der schönen Kellnerin bei „Abcnthum", bin ich
schön abgefallen. Sie lachte mich aus und sagte mir,
sie verdiene mittags in einer Stunde an Trinkgeldern
mindestens ebensoviel, wie ein Modell den ganzen Tag.
lind dabei sei's wahrlich g'spassiger, Kellnerin sein, als
den lieben langen Tag das G'sicht nicht verziehen dürfen.
— Nun, ist's die nicht, ist's eine andre. Es muß sich
doch ein geeignetes Mädel finden." — Wir versprachen,
ihm in seinen Nachforschungen helfen zu wollen.

Am nächsten Tag blieb er mittags am Stammtisch
beim Abenthum aus und auch im Cafe Probst ließ er
auf sich warten. Plötzlich kam er eilig heran, mit dem
Ausdruck höchster Spannung im erhitzten Gesicht. „Kinder",
rief er, indem er vor uns stehen blieb, „werft nur eure
Dominosteine zusammen. Es geht auf die Modellsuche!
Und ihr müßt mit. Seht einmal, welche Auswahl!"
Er hielt uns sein geöffnetes Notizbuch hin, in dem
mehrere Blätter nnt Adressen bedeckt waren. Ich habe
heute Vormittag mehrere ältere Künstler besucht und um

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