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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Proelß, Johannes: Modelle, [2]: ein Novellenkranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0381

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2Y8

Modelle

Nachweis eines geeigneten Modells gebeten. Dann war
ich beim Kastellan in der Akademie. Der hat mir ein
gutes Dutzend von Wohnungsangaben gegeben. Und
nun, anckianao! Ich kann euch nicht sagen, wie gespannt
ich dem Ausgang der Expedition entgegensehe. Und sie
selbst, diese Entdeckungsreise in die Mansarden und Hinter-
hauswohnungen Alt-Münchens nach dem besten Modell
für mein Jung-München — das gibt Abenteuer! Das
wird famos!"

Wir waren natürlich ganz seiner Ansicht und, als
handelte es sich um eine Lustfahrt, machten wir uns mit
ihm auf die Modellsuche.

Es war schon recht warm an jenem Maitag und
das viele Treppensteigen wurde bald zu einer Strapaze.
Auch brachte ein Besuch nach dem andern dem guten
Strömberg nur Enttäuschungen. Aber die frohe Jugend-
stimmung, die von allem nur das beste und dieses im
rosigsten Lichte sieht, war in jenen Tagen in uns von so
unverwüstlicher Kraft, daß wir auch in dem schmutzigsten
Gewinkel und den ärgsten Vogelscheuchen gegenüber nicht
die gute Laune verloren. Du lieber Himmel! Was
hatte sich da dem Kastellan nicht alles zum Modellstehen
empfohlen! Schiffbrüchige Existenzen jeder Art. Oft
ward es offenbar, daß man dies Mittel nur gewählt
hatte, um auf bequeme Weise Herrenbekauntschaften zu
machen. Und nicht immer waren cs „arme Mädchen",
die da mit kokettem Lächeln und vielsagendem Augen-
ausschlag uns bedeuteten, mit drei Herren zugleich könnten
sie in so diskreter Angelegenheit nicht verhandeln; sie
müßten um Einzelbesuche bitten. Und welcher Einblick
in erbarmungswürdige Zustände, in Jammer und Elend,
bei ehrlicher Arbeit und Reinheit der Sitten wurde uns
dann wieder eröffnet. Eben noch hatte leichtsinniger
Dirnenmund ziemlich unverblümt das Modellstehen als
vorteilhafte Einrichtung bezeichnet, um galantere Neigungen
damit zu verdecken, und nun gerieten wir in einen von
Armut und Sorge niedergedrückten Familienkreis, wo der
Entschluß, die älteste Tochter Modell stehen zu lassen,
sichtlich erst nach langen Kämpfen zur Reife gekommen
war und unter Thränen uns eingestanden wurde als
etwas, das dem ehrbaren Herkommen in der Familie
völlig zuwiderliefe. Ja wohl, ein Sittenschilderer von
pessimistischer Richtung, hätte auf dieser Wanderung durch
entlegene Vorstadtquartiere recht viel trübes Wasser auf
seine Mühle bekommen. Wir aber waren damals Opti-
misten von Grund aus und am meisten der Strömberg.
Wohl empfanden wir Mitleid mit den verschämten Armen
und Abscheu vor den schamlosen Dirnen; der Ernst des
Lebens warf seine Schatten auch in unser Herz. Aber
wir ließen diese Eindrücke nicht die Herrschaft gewinnen
über uns. Unsre Sinne und Gedanken verweilten bei
den Sonnenstrahlen, die auch die Finsternis erhellten, bei
den Anzeichen zufriedenen Sinnes selbst im Elend, bei
den Spuren von Glück in den Heimstätten der Armut.
Und als ich über Müdigkeit zu klagen begann, hatte
Strömberg wieder gleich ein Trostwort. „Was lange
währt, wird gut", sagte er vergnügt. „Was lange
währt, wird gut." Und er trieb uns an, ihm weiter
zur nächsten Adresse zu folgen.

Und er behielt Recht. Zunächst fand die Sache ein
gutes Ende. Oder einen guten Anfang — wie man es
nehmen will. Unsre Bemühungen waren schließlich doch
noch von Erfolg gekrönt. Von einem vollen Erfolg!

Denn, daß dieser darin bestehen könnte, daß Strömberg
für sein „Jung-München" genau das ideal-schöne Vor-
bild fände, das seiner Phantasie vorschwebte, darauf hatte
auch er während unsrer abenteuerlichen Expedition ver-
zichtet. Und daß wir schließlich in der Walpurga Greuzinger,
der jüngsten Tochter eines Schuhflickers in der Au-Vorstadt
ein Mädel fanden, das jenem Ideal wider Erwarten nahe
kam und durch seine jugendliche Frische, reizvolle Anmut
und naive Herzensheiterkeit uns allen gleichzeitig das
Geständnis entlockte: „Das ist die rechte" — das war
nur unsrer Ausdauer zu danken.

Es war sieben Uhr geworden. Wir hatten vorher
unsre ermüdende Wanderung durch einen kleinen Vesper-
trunk unterbrochen, worauf der durstige Klampfner be-
standen hatte, welcher erklärte, ohne a bisl Auffrischung
könne er nicht weiter gehen. Er glaubte schon längst
nicht mehr an ein günstiges Resultat. Er wies den
enthusiastischen Kunstgenüssen zurecht: es sei ein Unsinn,
gleich eine „Idee" malen zu wollen und dazu sich erst
ein Modell zu suchen. Er solle sich an das halten was
ihm die Natur darbiete, und was ihm davon gefalle,
solle er malen so treu er es könne, aber ohne „Idee".
An diesem Jdeenkultus seien die Cornelianer „kaput"
gegangen. Und nun fange er — trotz seiner realistischen
Theorien — gleich mit solchem Jdeenspuk an. Eine junge
Münchnerin solle er malen, das wär' schon recht, aber
nicht „Jung-München". Strömberg aber ließ sich nicht
aus der Fassung bringen. Wenn er die rechte junge
Münchnerin nur finden würde, so werde auch schon auf
ganz realistischem Wege sein „Jung-München" zu stände
kommen. Er mahnte, daß wir austränkeu, wiederholte
sein „Was lange währt, wird gut", und neugestärkt gingen
wir vorwärts.

Die Burgei war die dritte Tochter eines offenbar
äußerst zufriedenen Menschenpaares. Und sie hatte von
diesem das gleiche Temperament geerbt. Der Schnster
wohnte in einem niedrigen Hintergebäude, das aber nach
Malerbegriffen zwei große Vorzüge besaß: es lag dicht
an der Isar, deren stürmisches Bergwasser mit fröhlichem
Rauschen heraufgrüßte, und stand mit einem kleinen, aber
von reicher, wildwuchernder Vegetation belebten Garten
in so inniger Verbindung, daß schwer zu sagen war, wo
das Haus aufhörte und der Garten begann. Die Schuster-
werkstatt befand sich teils im Hausflur, teils in einem
kleinen Weingang, der zwei Schritt vor der Thür seinen
Bogen spannte. Dort saß bei unserm Eintritt der Schuster
auf seinem Dreibein, mit Pfriem und Hammer eifrig
hantierend und dabei eine lustige Melodie im Gleichtakt
vor sich hinpfeifend. Aus dem Hause erscholl eben ein
Helles Lachen. Die Burgei war's, die auf des Vaters
Ruf schnell herbei kam. Und wie kam sie die Treppe
herunter gesprungen! Wie ein junges Reh, so behend und
mit ebenso neugierigen Augen. Sie war weit zierlicher
gebäut, als Strömberg uns sein Ideal von „Jung-
München" geschildert hatte. Aber die knospenden Formen
der Siebzehnjährigen, die sich in der leichten, engan-
liegenden, rot und weiß gestreiften Kattunbluse scharf
ausprägten, waren von klassischer Schönheit. Ihr neu-
gieriges Gesichtl saß auf einem schlanken Hals, der so
beweglich wie der einer Eidechse war. Schön war in
dem Gesicht das weiche Oval, das in einem, ein klein
wenig hervorspringcuden niedlichen Kinn auslicf. Ihr
weißes Stumpfnäschen und ihr roter Mund, dessen obere
 
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