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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Proelß, Johannes: Modelle, [4]: ein Novellenkranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0422

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Modelle

streifte." — Wieder schwirrte es leis durch die Lust —
wie silberhelles Lachen, von weiter Ferne gedämpft. —
„Nun, was sagen Sie nun?" Dies sagend, gab er mit
seinem linken Ruder dem Book einen kräftigen Ruck, der
seinen Lauf in die Richtung brachte, aus welcher der ge-
heimnisvolle Klang gekommen. Das Gesicht spähend nach
der Landseite gewandt und mit verhaltenem Atem
lauschend, trieben wir unser Boot vorwärts. Doch kein
neuer Laut unterbrach die Stille des Meeres. Nur die
Tropfen von unfern Rudern plätscherten leise. „Es war
doch Einbildung", nahm ich nach längerer Pause wieder
das Wort. „Und dort fliegt auch eine Möve." —
„Aber hinter ihr — da unten — der schwarze Punkt
gerade über dem Meeresspiegel, sollte der nicht die
richtige Fährte weisen?" — „Eine neue Grotte?" —
„Kein Zweifel. Nur zu! Wir können uns ja überzeugen."
Der schwarze Punkt vergrößerte sich. Er wurde ein
Höhlenloch, ein Thor. Wir hatten von Ungeduld gespornt
die letzten Rnderschläge mit Heftigkeit geführt und so
fuhr das Boot mit großer Geschwindigkeit in die ent-
legene Grotte ein, von welcher, weil ihr Inneres keine
besonderen Lichteffekte aufweist, die Reisehandbücher keine
Notiz nehmen.

Aber statt der Lichteffekte erwarteten uns in ihr
ganz andre Reize. Unsre Augen hatten sich noch nicht an
das Halbdunkel gewöhnt, als ein fröhliches Plätschern
unsre Blicke nach dem Hintergrund der Grotte lenkte.
Und plötzlich, während wir die Ursache dieses Geräusches
mit frohen Künstleraugen gewahrten, erscholl von eben
daher ein Helles Geschrei. Weiße Glieder sahen wir auf-
und niedcrtauchen im sprühenden Schaum der von kräftigen
weißen Armen bewegten Wellen; in flüchtender Bewegung
ans Hintere Ufer klimmend, hoben sich im Halbdunkel
lichte Gestalten aus dem Wasser mit schimmernden Nacken
und Brüsten, die von schwarzem Haare Überflossen gleich
antikem Marmor erglänzten. Und jetzt erklang mitten
durch das ängstliche Schreien laut und übermütig jenes
Helle, kichernde Lachen, dessen gedämpfter Wiederhall uns
in die Grotte gelockt. Dies Lachen aber kam nicht aus
dem Hintergrund, sondern ganz aus der Nähe vor uns.
Wir beugen uns vor; in demselben Moment sprüht uns
ein voller Schwall salzigen Wassers ins Antlitz und
wieder kichert und lacht es, jetzt spottend und schadenfroh.
„Halt, Nixe; ich fang' dich", ruft Tömsen, sich die prickelnde
Nässe aus den Augen reibend. Ich folge seinem Beispiel
und führe aufs neue einen Ruderschlag, der das Boot
vorwärts treibt. Da fühlt plötzlich Tömsen sein linkes
Ruder gepackt. Zwei bräunlich Helle Arme schwingen sich
auf die von ihm in wagrechter Lage erhaltene Ruderstange.
Ein bildschöner Mädchenkopf von fast hellenischer Anmut
der Züge, doch mit zornsunkelnden Augen, über dessen
dunkelblauschimmerndes Haar Silbertropfen rieseln, taucht
über den Armen auf. Wie silberumschuppt erscheint der
klassisch geformte Leib, der sich schwimmend in der klaren
Flut vor uns ausstreckt. Doch all dies Wahrnehmen war
nur Sache weniger Sekunden. „Eindringlinge, ihr! Kecke
Fremde . . . Hier ist kein Eintrittsrecht . . . Die
Grotte ist uns. Darum hinaus, sonst ziehe ich euch ins
Wasser oder überschwemme euer Boot!" So klang es
auf uns ein im melodischen Tonfall des capresischen
Dialekts. „Seht — so!" Und verschwunden war das
Weib in der Flut. Doch während wir noch ihm nach
spähten, schlug von der andern Seite ein mächtiger

Wasserschwall in das Boot und Schlag auf Schlag spritzte
uns nun die kühne Schwimmerin ganze Flutwellen ins
Gesicht. „Hinaus!" rief sie dazu. „Hinaus!" Und aus
dem Hintergrund gab es das Chor der geflüchteten
Nymphen zurück: „Hinaus, hinaus!"

Tömsen aber war trotz der abkühlenden Douche,
die beständig auf uns niedcrtroff, Feuer und Flamme.
„Wir müssen sie fangen, das wilde Ding. Ich muß sie
strafen!" rief er und fuhr, wie um sich gegen die herauf-
prasselnde Flut zu wehren, unbekümmert um die Nässe,
mit seinem Ruder in der Richtung des übermütigen
Mädchens, als wolle er ihr Haar damit erfassen und,
dies aufwickelnd, die schöne Unholdin fangen. Die aber
ließ nur um so ungestümer die Wellen sprühen und dabei
ihren Kriegsruf ertönen: „Hinaus, hinaus!" Da — auf
einmal — gab es im Boot einen gewaltigen Ruck und
Tömsen war von meiner Seite verschwunden. Hoch
schlug in dem gleichen Moment die Flut vor mir empor.
Ein Rauschen, ein Brausen . . . dann tiefe Stille. Auch
die sich ankleidenden Freundinnen der kampflustigen Nereide
bemerkten offenbar, daß Ungewöhnliches vorging. Und
nun tauchte es auf: ein Bild schön und einzig, wie cs
wohl den Bildhauern der Antike in ähnlicher Umgebung
das Leben öfter als Modell vorgeführt, nach welchem sie
die lebensprühenden Gruppen von kraftstrotzenden Tritonen
im Kampf mit sich sträubenden Nereiden erschufen; ein
Bild, das ich nimmer vergessen werde, so kurze Zeit es
auch nur bestand. Denn nur für wenige Sekunden war
cs Tömsen gelungen, die unter den Armen gefaßte Schöne
hoch emporzureißen, sodaß ihr Angesicht über dem seinen
schwebte — Auge in Auge . . . Sie bleich, von Schrecken
starr; er hochgerötet und leidenschaftlichen Blicks, während
an seinem roten Vollbart silbern das Meerwasser nieder-
rann. Dann war sie ihm entglitten und unter dem
Wasser fortgeschwommen, bis sie weit im Hintergrund
wieder emportauchte, um ohne umzublicken ans Land zu
den Freundinnen zu schwimmen, die ihr die Kleider ent-
gegenhielten und mit denen sie dann, nur flüchtig eineu
Blick rückwärts werfend, auf einem nach oben führenden
Höhlenpfad enteilte.

Es kostete mich Mühe, den vom Wasser triefenden
Tömsen, nachdem ich ihn wieder glücklich im Boot hatte,
zu beruhigen. „Schnell ans Ruder!" stieß er hervor.
„Wir müssen ihr nachsetzeu. Einen Kuß muß ich doch
wenigstens zur Entschädigung für all die Anstrengung
noch erbeuten. Die Tcufelsnixe! — Und bei so klassisch-
feinem Gliederbau diese Kraft! — Wetter, diese Mädchen
von Sorrent sind fast noch schöner als die Fischermädel
von Capri. — Daß ich sie nicht festhalten konnte!" Er
brachte das alles kurz und stoßweis hervor. Sein Atem
ging schwer. Er versuchte die Ruder zu ergreifen, doch
zitterten seine Hände noch zu sehr von der vorherigen
Anstrengung. Ich ruderte aus der Grotte. „Vor allem
müssen Sie trockene Kleider bekommen. Hier in der
kühlen Luft können Sie sich ja auf den Tod erkälten.
Und seien Sie froh, daß der Wellenkobold Ihnen ent-
ronnen ist, oder vielmehr, daß Sie ihm entronnen sind,
che er Ihnen wirklichen Schaden zufügen konnte. So
ein Biß in die Wange soll weh thun. Übrigens, da in
ihrem Bart rieselt ja Blut. So haben Sie doch daran
glauben müssen!" Tömsen griff an sein Kinn -— tastete
prüfend nach der Quelle der Blutstropfen und fuhr sich
dann mit Behagen über seinen Bart. „Das hat nichts
 
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