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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Heise, Carl Georg: Das Tier in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0113

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Unheil, das der erzväterlichen Idylle vorausging.
Erst wenn wir in den von Circe verwandelten
Menschen Tierleid spüren, wenn in der Mischgeburt
unheimlicher Fabelwesen Menschliches und Unter-
menschliches bedrohlich gepaart erscheint, wenn
Siegfried im germanischen, Georg und Michael im
christlichen Mythos durch das Sinnbild des getöteten
Drachens über das Böse triumphieren, ahnen wir
etwas von den im Tierbild waltenden, unausweich-
lich auf Leben und Tod bezogenen Mächten.
Der Heilige steht nicht nur durch den Vernich-
tungskampf, den er gegen Drachen und Unholde
führt, auch vielfach durch das „Attribut", das ihm
die Legende beilegt, mit der Tierwelt in engster
Beziehung; der Marcus-Löwe, der Adler des Jo-
hannes, in denen sich in irdischer Greifbarkeit die
himmlischen Eigenschaften verkörpern, verbinden
den Gottgesandten mit der Menschenwelt. Hier ist
das Tier nicht das Lebendige, sondern das Geringe,
das schlechthin zu überwindende oder das ans
Irdische bindende Element. Tief hinein in die Er-
kenntnis völkerpsychologischer Phänomene führt
die vergleichende Betrachtung: daß z. B. der für
abendländisches Empfinden das Böse verkörpernde
Drache bei den Chinesen das Symbol des Glücks
ist und gar das Abzeichen des höchsten Macht-
habers, des Kaisers selbst. Wir können das Böse nur
kämpfend besiegen, der Weise des Ostens setzt das
Untier als Tempelwächter vor das Allerheiligste.

Bewahrend und erfinderisch arbeitet auch unser
volkstümliches Denken der Gegenwart mit Tier-
vorstellungen. Turmhahn und Schützenvogel sind
uns so kennzeichnende Sinnbilder wie Osterhase
und Pieitegeier. Ihre Ursprünge freilich reichen
oft ins Dunkel der Vorzeit zurück, und ihre Aussage
ist nicht immer eindeutig, da sie weniger Illustra-
tionen bestimmter Vorgänge und Vorstellungen sind
als vielmehr die Sammelbecken schöpferischen my-
tischen Denkens. Wenn Hans Baidungs vor 400
Jahren erschienener Holzschnitt vom verzauber-
ten Stallknecht von Richard Billinger als Titel-
blatt für sein jüngstes Drama „Rosse" gewählt
wird, so spürt man unheimlich die uralte Wurzel
und zugleich ein Fortwachsen von umdeutender
Kraft. Als Stab des Perchtenläufers in Tirol und auf
der Maske des indischen Zauberers (Abb. 11) wehrt
die Schlange die bösen Mächte ab; das gleiche
Zauberbild wirkt, in der Tiefe ähnlich, im beson-
deren Gebrauch örtlich wechselnd bestimmt, in den
verschiedensten Kulturkreisen der Welt. Schließen
wir mit dem höchsten Beispiel: mit Dürers Meister-
stich. Es ist durchaus fraglich, wem das Blatt in
stärkerem Maße seine schöne Volkstümlichkeit ver-
dankt: dem so gelassenen Kämpfer trotz Tod und
Teufel oder dem edlen Roß oder gar den Spuk-
gestalten des Fabelreiches. Tierliebe und Tierphan-
tasie verbinden sich ebenso einfältig wie tiefgründig
mit schlichtestem Menschentum.

Abb. 11. Beschwörungsmaske. Ceylon

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