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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Christoffel, Ulrich: Wo stehen wir heute in der Kunst?
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0259

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Wo stehen wir heute in der Kunst? Von Ulrich Christoffei

Mancher hatte erwartet, daß die Zeitenwende, die
dem Menschen wieder eine tiefere nnd feinere Füh-
lung für das Nahe und Erbvertraute geschenkt und
seinen Blick von der flachen Horizontale auf die
bilderreiche, aus geschichtsloser Vergangenheit in
unsere Tage hineinragende Vertikale umgestellt
hat, in den Künsten von heute auf morgen ein Phö-
nixwxrnder hervorrufen könnte. Dem ist nicht so.
Im künstlerischen Leben reifen die Früchte lang-
sam, auch wenn die Urteile, Meinungen und For-
derungen sich überhasten. Es ist wenig mutig, wenn
man sich in die Zeiten Dürers, des hohen Mittel-
alters oder gar der Griechen und der Urgeschichte
flüchtet, wo eine dringende Verantwortlichkeit den
lebenden Künstlern gegenüber nach unmittelbaren
Verständigungen verlangt, denn die deutsche Kunst
der Zukunft kann nur von den heute auf deutschem
Boden geborenen Künstlern gemacht werden, und
fliese dürfen nur nach den Bedingungen beurteilt
werden, die der Staat und die Gesellschaft ihnen
bereitet haben. Allgemein ist das Gefühl: daß man
aus einem bösen Traum erwache und die Qualge-
sichter des Fiebers im Nebel schwinden sehe. Die
V erke der Kunst, da die Künstler immer noch die
Herolde und Seher der Völker sind und in ihren
Bildern die unsichtbaren AVellen des geistigen Le-
bens auffangen, erscheinen uns schon als die wir-
ren, dunklen, verstörten Erinnerungsmale eines Er-
lebnisses, das wir heute vergessen wollen. Aber es
waren vielfach die begabtesten und empfindlichsten
Künstler, die auf die Leiden der Zeit am heftigsten
reagiert haben, und selten ist das Groteske, Schreck-
hafte, Teuflische in der Kunst so eindrucksvoll dar-
gestellt worden wie in den letzten zwanzig Jahren.
Die Frage: Wo stehen wir heute in der Kunst? kann
nur durch die weitere beantwortet werden: Aus wel-
chen Wurzeln ist die heutige Kunst entstanden und
welche Hemmungen und Einflüsse haben sie in die
Irre abstrakter Formspielereien und eines unbe-
herrschten Materialismus der Farbe getrieben?
Wenn die „Kunst" diese Fragen in einer auf grund-
sätzliche und sachliche Kritik gestimmten Aufsatz-
reihe untersuchen möchte, soll dabei nicht etwa ein
,.Alles Verstehen'" zu einem ..Alles Verzeihen" füh-
ren, sondern nur die Diskussion um die Kunst aus
dem Dunstkreis der Theorien und Schlagworte zu
den Bildern zurückgeleitet werden, zu den Bildern,
die sich nicht selber verteidigen können, wenn sie
angeklagt werden, und zu den Künstlern, die, wenn
sie auch zu wenig stark waren, um das Zeitbild
statt es zu spiegeln gestalterisch zu überwinden,
doch immer Künstler sind, d. h. Ausnahmemen-
schen, denen ein besonderes Pfund anvertraut wurde
und die in einem Gebiet des Geistes wirken, zu dem
dem Nichtkünstler der Zugang verschlossen ist. Es
würde nicht so leidenschaftlich über Kunst und
Künstler gestritten, wenn in ihnen nicht etwas Gei-
stiges und Überlegenes wäre, denn die technisier-

ten Unterhaitangen des LTngeistes und ihre Schäden
werden von vielen Vv ächtern der wahren Kunst nur
allzu lässig übersehen. Der Machtbereich der Kunst,
der früheren Alleinherrscherin in der Mitteilung
durch das Bild, ist durch Druck. Illustration, Pho-
tographie und Film immer mehr geschmälert und
der Baum, den die Kunst in der Gesellschaft ein-
nimmt, immer mehr eingeengt worden, bis die
Kunst sich vom Leben gänzlich abwendete und in
der dünnen Luft der Ateliers ihre Abstraktionen
ausklügelte.

Aber nicht die Kunst hat sich vom Volksboden, Hei-
mat und Vergangenheit getrennt, denn es hat in
Haider, Leibi, Thoma und noch im jüngsten Mün-
chen in Schinnerer, Gött. Teutsch, Caspar undUnold
immer Maler der heimatlichen Landschaft gegeben,
sondern die Gesellschaft hat die Kunst aus ihrem
Interessenkreis verdrängt und durch lärmende Ge-
schäftigkeit verschüchtert, daß sie schließlich nur
noch bei romantischen Außenseitern oder gar nur
bei Extravaganten und Pathologen eine ungesunde
Unterkunft fand. Wenn heute zornige und billige
Anklagen gegen die Kunst erhoben werden, haben
sie leider meist nur die Wirkung, daß die Kunst
überhaupt in den Augen der Leser verächtlich ge-
macht wird, nicht der einzelne Künstler. Die unbe-
stimmten Anklagen gegen die Kunst fallen auf die
Kläger zurück, die nur selten zur rechten Zeit für
jene stillen, vergessenen, tapferen Künstler einge-
treten sind, die im verborgenen am echten Teppich
der deutschen Kunst gewoben haben. Nicht die
Künstler muß man ändern, sondern die Menschen,
die ihre natürliche Empfänglichkeit für künstle-
rische Erlebnisse verloren haben und jenes meta-
physische Bedürfnis in sich verkümmern ließen,
ohne das ein fruchtbarer Austausch von Geben und
Nehmen zwischen Künstler und Publikum nicht
bestehen kann.

Als sich König Ludwig von Peter Cornelius mit den
Worten trennte, ,,ein Maler muß malen können"",
klang das wie eine Absage an die deutsche Kunst,
die der König selber zwanzig Jahre lang gefördert
hatte, denn Cornelius war trotz seiner römischen
Schulung von dem „glühend strengen" Geiste Dü-
rers erfüllt und die Gestalten und Formen seiner
Kunst waren aus einem charaktervollen heimischen
Idealismus erstanden. Die Maler aber, auf die der
König anspielte, waren Belgier und Franzosen, die
Gallait, Biefve, Delaroche, die mit ihren prunk-
vollen malerischen Darstellungen von dramatischen
Bühnenauftritten und historischen Kostümierun-
gen einen neuen, auf feinentwickeltem Pinselkön-
nen und wissenschaftlichem Erkennen der farbigen
Stoffimitation beruhenden Kunstgeschmack ver-
breiteten. Die deutschen Schüler der westlichen
Maler, die Kaulbach, Piloty, Makart entfalteten
ein erstaunliches Virtuosentum, aber in dem Maße,
als sie in ihren Bildern mehr vom Gesellschaft-

Kunst f. Alle, Jahrg. 49, Heft 9, Juni 1934

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