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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Heimeran, Ernst: Hat Dürer geschielt?
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0374

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Hans Thoma. Aus dem Wandfries für einen Musiksaa

Hat Dürer geschielt? Von Dr. Ernst Heimeran

Es gibt viele Bücher über Rembrandt. In keinem
habe ich gelesen, daß er schlechte Zähne hatte.
Dabei geht es doch aus seinen Selbstbildnissen
hervor.

Michelangelo berichtet in einem seiner Gedichte,
scheinbar scherzhaft, von seinem ..dicken Hals".
Prüft man daraufhin die Bildnisbüste von der
Hand seines Schülers Volterra, so erweist sich, daß
dies kein Scherz ist. Es war bei Michelangelo tat-
sächlich eine kropfartige Halsmuskulatur vor-
handen.

In keiner Biographie ist dies festgestellt. Warum
eigentlich? Legt man keinen Wert darauf ? Schweigt
man aus Takt? Nun. es wird doch sonst mit derlei
Details nicht gespart. Alan darf also annehmen,
daß diese natürlichen Dinge einfach übersehen
wurden.

In der seinerzeitigen Nürnberger Dürer-Gedächt-

nis-Ausstellung betraf ich eine Mutter, ihr Sölm-
chen an der Hand, vor der bekannten Erlanger
Zeichnung.

„Muttä," rief der Kleine, ,.der Mo da ist schicklet."'
Mama, dieser Mann schielt!

Dieser Ausruf hat mir einen gewaltigen Eindruck
gemacht. Das Kind sagte heraus, was Tausende
nicht sahen oder festzustellen sich scheuten, es
sagte, was es sah.

Und es sagte die Wahrheit. Dürer, der Meister
des Auges, der Aufrichtigkeit in der Topographie
eines Gesichtes wie in der Schilderei einer Land-
schaft (man denke an das ..Walberla" bei Forch-
heim auf dem Blatt ,,Die große Kanone"), Dürer
bezeugt es selbst mit unerbittlicher Treue. Dürer
schielte, da ist kein Zweifel. Er tut es auf allen
Selbstbildnissen mehr oder weniger auffallend und
immer mit demselben Auge (im Bilde rechts), das

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