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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Heimeran, Ernst: Hat Dürer geschielt?
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0375

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Hans Thoma. Aus dem Wandfries für einen Musiksaal

deutlich nach dem Winkel zu und etwas nach ohen
ausweicht. Hält man auf sämtlichen Selbstbildnis-
sen erst das eine Auge Dürers zu. während man
das andere scharf fixiert und nimmt dann die Hand
weg. so bemerkt man deutlich, daß die Augen dif-
ferieren. Sogar auf dem zu nah gesehenen Münch-
ner Selbstbildnis, auf dem das Gesicht wie eine
Landkarte gleichsam aufgerollt erscheint, wird
trotz der bekannten Schädigung durch die Messer-
stiche der vorgeschlagene Versuch überzeugen und
zugleich das seltsam überallhin Verfolgende des
Blickes erklären.

Es mag kühn klingen, wenn man weiterhin be-
hauptet, es habe bei Dürer erbliche Belastung vor-
gelegen. Die Zeichnung, die uns seiner Mutter
altes Gesicht überliefert, legt den Schluß nahe.
Denn der große Sohn gab getreulich wieder. Avas
er sah: man denke etwa an die Frau mit dem ge-
lähmten Augenlid.

Xicht genug: Auch andere sahen Dürers kleinen
Schönheitsfehler! Der Meister des Peringsdörfer
Altars bildete den jungen Malschüler Dürer als
Daniel in der Löwengrube ab. Man sieht sofort:
das ist Porträt, dazu saß jemand (was die Löwen

im Gegensatz dazu nicht taten). Und auch hier ist
es der eigentümliche Blick der Selbstbildnisse. Der
Fixierversuch bestätigt es. Und doch ein wenig an-
ders, denn es handelt sich hier ja nicht um ein
Spiegelbild. Auch blickt es in gerade entgegenge-
setzter Richtung wie Dürers Halbprofil-Selbstbild-
nisse, die alle im Bilde nach links gewandt sind
(damit ihm nämlich beim Malen vor dem Spiegel
die arbeitende Hand nicht im Wege war).
Kann man nun aus solchen Künstler-Personalien
irgendwelche Schlüsse ziehen? Sicherlich doch so
weit, als Leben und Werk jeden Künstlers inein-
andergefügt sind. Daß der Genuß am Kunstwerk
durch solche Beobachtungen erhöht werde, wird
niemand erwarten. Dem bloßen Genießer ist es
freilich nicht erforderlich zu wissen, daß etwa
Shakespeares Dramen nicht von Shakespeare ge-
schrieben sind, sondern von einem Schriftsteller
gleichen Namens — um ein unfreiwillig humor-
volles "U ort zu zitieren. Aber für manchen mag es
gerade tröstlich sein zu wissen, daß Leonardo da
Vinci gelähmt, Menzel ein Zwerg und Toulouse-
Lautrec verwachsen war und daß diese Umstände
ihrem Ingenium nichts anhaben konnten.

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