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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Wendland, W.: Die Kunst als Ausdruck der neuen Zeit, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0311

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Die Kunst als Ausdruck der Neuen Zeit. Von W. Wendland

Es war bisher eine allgemeine Ansicht, daß, wenn
Kunst als Ausdruck einer Zeit gewertet werden
soll, die formalen Dinge in der Kritik die entschei-
denden seien. Man legte nach solchen formalen
Gesichtspunkten nicht nur die Daten ganzer Kunst-
entwicklungen fest, sondern auch die Entwicklun-
gen der Künstler selber. Aus dieser Uberschätzung
des Formalen ergibt sich die allgemein verbreitete
Ansicht, daß Kunst eine Angelegenheit sogenann-
ter Spezialisten sei, die erst das Kunstwerk zu in-
terpretieren hätten: außerdem sei Kunst eine An-
gelegenheit des Geldbeutels für den Sammler. Wer
Kunst genießen wolle, habe dazu Gelegenheit in
den Galerien. Die Folge solcher Ansichten ist die
völlige Loslösung der Kunst aus dem Volksleben.
Auch heute lebt immer noch diese Anschauung,
die die Kunst zur veräußerbaren Ware gemacht
hat. Das brachte die Auflösung in die alten Bau-
ern- und Bürgerfamilien. Man suchte nach alter
Kunst für den Sammler. So lernten plötzlich diese
bodenständigen Menschen die Käuflichkeit des er-
erbten Väterhausrates kennen. Das, was ererbtes
Gut war, wird plötzlich Ware, Besitz wird „Geld".
Der Dichter Hermann Burte schildert in seinem
Buch „Wiltfeber11 den Untergang eines Hofes mit
uraltem \ äterhausrat. Der Hausrat, an dem Gene-
rationen geschaffen, den Jahrhunderte zusammen-
trugen, geht zum Antiquitätenhändler. Wo einst
die zinnerne Schüssel stand, war jetzt der billige
Blechnapf der Emailfabrik getreten, an Stelle der
eisenbeschlagenen Truhe stand ein billiger Schrank
oder gar eine Kiste da. Wie man den Boden zum
Geschäftsobjekt machte, wurde die Kunst zur Han-
delsware, zum Spekulationsobjekt. Boden ist nie-
mals Ware, sondern Lehen. Kunst ist niemals
Ware, sondern Gestaltung des Lebens aus dem
Geiste.

Aber die Spezialisierung, die Absonderung der
Menschen in Klassen und Einzelpersonen, die Zer-
störung des Gemeinschaftlichen bedingen weiter-
hin aufs schärfste den Verfall.

Die Kunst tritt dadurch aus der Öffentlichkeit zu-
rück. Sie ist nicht mehr Sache des ATolkes in einer
natürlichen Gestaltungssehnsucht, sondern Ange-
legenheit der Beichen, der Sammler, der Museen
und Galerien und falscher Repräsentanz. Der
Künstler lebt ein Leben „außerhalb" des Volkes.
Dieses liberale Jahrhundert ist das einzige unserer
Geschichte, das keinen selbständigen Kunstaus-
druck, sondern ein Chaos verschiedenster Kunst-
richtungen und Versuche hinterlassen hat. Wohl
gibt es Männer wie Böcklin, Menzel, Feuerbach
usw., um der größten einige zu nennen. Aber sie
stehen vereinzelt da. Sie haben ihren eigenen
,,Stil". Es gibt keinen Zeitstil.

Denn Stil ist die einheitliche künstlerische Aus-
drucksform einer Zeit, gewachsen aus einheitlicher
Lebensform, gemeinschaftlicher Weltanschauung

oder starker staatspolitischer Gemeinschaft, oder
einem besonderen Volksbewußtsein.
Infolge all dieser Umstände wird nun auch die ge-
samte künstlerische Produktion einer Änderung
unterworfen. Es wird nicht mehr für den wirk-
lichen Bedarf geschaffen, sondern infolge des
Grundsatzes Part pour l'art, Kunst als Selbstzweck,
ohne jede Bestimmung und ohne jeden Plan. Das
Angebot wird größer als der Bedarf.
Während die Industrie diese auch in ihrem Bereich
auftretende Tatsache durch Reklame und neue Ar-
tikel und Erfindungen immer wieder umgeht und
ihren Produktionswillen der V elt aufzwingt, er-
geben sich auf dem Gebiet der Kunst unerhörte
Zustände. Riesenausstellungen bergen die Produk-
tion eines hoffnungslosen Künstlerproletariats. Um
in diesen Ausstellungen etwas Besonderes darzu-
stellen, kam man auf Richtungen und Ismen. Die
Kunstmode zog ein. Heute stehen wir am Ende
dieser Moden. Zum ersten Male in der Entwick-
lung der modernen Staaten hat der Führer des
Staats in seiner Eigenschaft als Staatsmann dem
Künstler in seinem Volke, seinem Staat, die ihm
gebührende Aufgabe zugewiesen. Der Künstler soll
mit seiner Kunst ..die stolzeste Verteidigung"1 sei-
ner Nation übernehmen, d. h. seine Kunst soll in
den Dienst der Nation im Kampf um seine Exi-
stenz treten.

Das bedeutet das Ende der sogenannten Freiheit
der Kunst, denn sie erhält dadurch Auftrag und
Bindung in der Nation. In dem Augenblick, wo
diese Bindung hergestellt ist, gewinnt aber die
Frage nach dem Sinn der Kunst innerhalb der
Kultur des Volkes eine neue Bedeutung.
Kultur ist der schöpferische Lebensraum eines Vol-
kes. Kunst ist der Gestalt gewordene sichtbare Aus-
druck dessen. Das heißt, sie ist die Gestalt gewor-
dene Anschauung der tiefsten geistigen und seeli-
schen Zusammenhänge in dem schöpferischen Kön-
nen eines Künstlers.

Was Seele und Geist eines Volkes — bisher des
Einzelnen — bewegt, das nimmt Gestalt an im
„Können'1 des schöpferischen Menschen. Dieses
Können ist einmal rein technischer Natur und be-
zieht sich auf das Handwerk des Künstlers. (Dies
wurde leider bisher sehr vernachlässigt.) Zum an-
deren ist es geistiger-prophetischer Natur, dann ist
es Kündung, Verkündung bestimmter natürlicher
oder auch übernatürlicher Zusammenhänge des
menschlichen Lebens mit allen seinen Problemen
im Lichte einer bestimmten Weltanschauung. Diese
Weltanschauung ist dem Wandel der Zeiten unter-
worfen. Wir sind alle Kinder unserer Zeit. Ohne
sie sind wir undenkbar. Auch die Kunst ist ohne
sie undenkbar. Jedoch sind ihre Werte ewig! Ewig
ist das Königtum ägyptischer Pharaonen. Ewig ist
die Schönheit der Aphrodite, der schaumgeborenen

(Fortsetzung auf Seite 280)

Kunst f. Alle, Jahrg. 49, Heft 10, Juli 1931

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