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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Wolf, Georg Jacob: Wie entstanden die deutschen Galerien?, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0173

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liolliek
e Museen

Wie entstanden die deutschen Galerien? Von Georg Jacob Wolf

Der gebildete Zeitgenosse nimmt die Schätze und
Segnungen der Kultur, die Einrichtungen und Mög-
lichkeiten der Bildung und des Unterrichts, die ihm
von Generationen her überkommen sind, mit der
gleichen bedachtlosenSelbstverständlichkeit hin, mit
der er sich die Erfindungen und Entdeckungen vom
elektrischen Licht und Radio bis zum Reißverschluß
und Tasohenfeuerzeug zu eigen machte. Wie sehen
fragt sich jemand, wie es denn zum Auf- und Aus-
bau unserer Hochschulen in ihren weitverzweigten
Disziplinen gekommen sei oder welchen Weg die
Schaubühne zurücklegen mußte, um zu werden, was
sie heute ist: das volkstümlichste Bildungsmittel!
Wie wenige auch mögen sich, wenn sie ein Museum,
eine Galerie durchschreiten, darüber Rechenschaft
geben, wie diese Sammlungen zustande kamen,
welche Idee ihnen zugrunde liegt, wer zu sam-
meln begann und wann, und wie diese Schätze aus
allen Windrichtungen, aus allen Kulturländern ge-
rade an gewissen Kunstmittelpunkten zusammen-
strömten und dort svstematisch in eigenen Gebäuden
aufgestellt, zu Gruppierungen unter dem Gesichts-
punkt des Urhebers, der zeitlichen und örtlichen Her-
kunft, des Materials usw.zusammengefaßt wurden.
Will man dies auszudeuten unternehmen, so ist eine
Vorfrage unerläßlich: Wie kam es überhaupt, daß
man Kunstwerke sammelte? Wir wissen, daß die
Kunst ursprünglich ausschließlich (oder fast aus-
schließlich) kirchlichen Zwecken diente, daß man
das Bild Gottes und die Bilder seiner Heiligen in
den Kirchen aufstellte und dtß diese plastischen
Werke aufs engste mit der kirchlichen Architektur
verbunden waren, daß es sich ebenso mit den Wer-
ken der Malerei verhielt, die als Fresken die Wände
der Kirche oder des Camposanto zierten, als Buch-
malerei die kirchlichen Bücher illuminierten oder,
wenn sie auf eine Holztafel gemalt waren, als Weihe-
gabe auf dem Altar aufgestellt wurden. Dieser Zu-
stand, in seiner Geradlinigkeit und in seiner zweck-
vollen Richtung „ideal", bestand das ganze Mittel-
alter hindurch. Erst als mit der Renaissance der
Mensch gleichsam erwachte, sich selbst und die Natur
und die Welt um sich entdeckte, als sich ein neuer
Persönlichkeitsbegriff entwickelte und die Ablösung
von der starren Kirchlichkeit, die Auflockerung des
Gefühlslebens begann, entstand eine Kunst, vor-
wiegend in der Erscheinungsform der Malerei, die
nicht mehr so unbedingt zusammenhängt mit kirch-
lichen Voraussetzungen. Was der Mensch jetzt mit
geschärften, beglückten Blicken wahrnimmt, will
er auch ins Bild gefaßt wissen: den weiten Umkreis
der sichtbaren Welt und die Dinge in der Welt,
Landschaft und Innenraum,Tisch und Krug, Blume,
Tier, Mensch und Menschheit in ihrem Beieinander;
sie alle werden nicht mehr nur in der Relation zu
Religion und Kirche, sondern auch um ihrer selbst
willen gemalt. So entstand das neue Bild, das nicht
an die Kirche gebunden ist, sondern auf Holz, Lein-

wand, später wohl auch auf Kupfer gemalt, beweg-
lich ist und leicht transportabel, heute an dieser,
morgen an jener Stelle gezeigt und als Schmuck
verwandt werden kann. Schon sind auch die Lieb-
haber dieser Kunstwerke da, die Sammler, die es
sich nicht genug sein lassen, das eine oder andere
Stück zu erwerben, sondern die ganze Reihen dieser
neuen Schöpfungen haben wollen: teils aus dem ge-
lehrten Bestreben, mit diesem Abbild gleichsam die
ganze Welt einzufangen und sich zu eigen zu machen,
teils aus reinem Sammeltrieb, der von jeher eine der
seltsamsten Begierden der Menschen war.
Wer aber sammeln wollte, wer Kunstwerke, Ge-
mälde, Dinge, die dem Bedarf des Tages und der
Notdurft entrückt waren, um sich haben wollte,
mußte Vermögen besitzen, Vermögen und Macht.
Dies waren in erster Linie die Fürsten, und sie, oder
wenigstens die kultiviertesten, aufgeschlossensten
unter ihnen, sind es, die als die frühesten Kunst-
sammler von Rang anzusehen sind. Vom Manzanares
bis zur Newa gibt es heute manche Galerie von For-
mat und Geltung; wo sie ins Große wuchs und wo
sie sich künstlerischen Mitbesitzes von historischer
Bedeutung rühmen kann, da steht landesfürstliche
Liebhaberei im Hintergrund. So ist es, begonnen
mit dem Herzog Jean von Berry, Prinzen von Frank-
reich, der in seinem Schloß Mehun-sur-Yevre seine
Kunstschätze zusammentrug, und mit den florenti-
nischen Mediceern, Jahrhunderte hindurch geblie-
ben bis zu Ludwig [. von Bayern und bis herein in
unsere Zeit, solange noch Fürsten an der Macht
waren: man kann sagen, daß — mit Ausnahme der
englischen Museen — alle Staatsgalerien aufgebaut
sind über altem landesfürstlichem Kunstbesitz.
Kunstgesinnung und Kunsturteil waren nicht von
Anbeginn da, sie blieben auch im Laufe der Zeiten
nicht gleich, sondern waren den mannigfaltigsten
Wandlungen unterworfen. So erging es auch mit
dem Kunstgeschmack der europäischen Fürsten. Wir
wissen, daß das heutige Kunsthistorische Museum
in Wien, daß die Alte Pinakothek in München, die
Galerien in Dresden, Braunschweig, Dessau und
viele andere Kunstsammlungen höchsten Ranges aus
alten fürstlichen „Kunst- und Wunderkammern"
hervorgewachsen sind, daß viele ihrer Hauptwerke
aus diesen stammen. Aber wenn durch Zufall ein
solches fürstliches Kunstgewölbe völlig intakt ge-
blieben wäre und wir beträten es heute, wir ge-
rieten in Verzweiflung über menschliche Dumm-
heit oder wir brächen aus in unauslöschliches Ge-
lächter. Denn in einem solchen Kabinett sah man
nicht allein Werke eines Dürer und Cranach, eines
Raffael und Correggio, der besonders beliebt war,
nicht nur die Goldschmiedearbeiten eines Cellini
neben ausgegrabenen antiken Torsi und edelsten
Gläsern und Waffen stolzer Gestaltung, sondern hier
gab es auch Narwal-Zähne (sogenanntes..Einghürn")
als Arcanum. ausgestopfte exotische Tiere, Amulette,

Kunst f. Alle. Jahrg. 19, Heft G. Marz 1934

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