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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Oppeln-Bronikowski, Friedrich von: Zantoch: ein nordisches Troja, [1]
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Zantoch — ein nordisches Troja. Von Dr. h.c. Friedrich v.Oppeln-Bronikowski

Zehn Burgen übereinander gebaut, abwechselnd
zerstört und erneuert — welche internationale Sen-
sation gäbe das, wenn es sich um südliche Länder
und Steinbauten handelte! Doch sie sind bis auf
die zwei letzten nur Holzbauten und liegen beim
Dorfe Zantoch unweit Landsberg an der Warthe,
sind von slawischen Pommern und Polen, von
brandenburgischen Askaniern und Deutschrittern
erbaut. Kein Homer hat die langen Kämpfe besun-
gen, die um sie getobt haben, doch wir kennen sie
aus über tausend Urkunden des Mittelalters, die
jetzt durch die Ausgrabung eine glänzende Bestäti-
gung erhalten haben. Diese Ausgrabung, die größte
gegenwärtige in Ostelbien, ist vor kurzem beendet
worden, geleitet von W. Unverzagt, dem Direktor
des Berliner Staatlichen Museums für Vor-und Früh-
geschichte, und finanziert von der Notgemeinschaft
der Deutschen Wissenschaft, dem Archäologischen
Reichsinstitut und dem Preußischen Kultusmini-
sterium.

Anlaß zu ihr gab die Stromregulierung in der
Zantocher Enge, wo die Warthe die Netze auf-
nimmt (Zantoch bedeutet auf slawisch Zusammen-
fluß) und eine gegen den steilen nördlichen Talrand
vorspringende Landzunge den Strom derart verengt,
daß das obere Netzebruch ständig unter Hochwasser
zu leiden hat. Um den ewigen Klagen der Bevöl-
kerung abzuhelfen, hat sich die Strombauverwal-
tung entschlossen, die Landspitze abzugraben, und
bei diesen großen Erdbewegungen stieß man auf
eine Reihe alter Befestigungen, die nun im Eil-
tempo ausgegraben werden mußten.
Ihre Anlage erklärt sich aus den eben geschilderten
geographischen Verhältnissen. Das langgestreckte,
von Osten nach Westen streichende Urstromtal des
Netze- und Warthebruchs, seit Friedrich dem
Großen entwässert und angebaut, bildete in alter
Zeit eine Sperre zwischen der Ostseeküste und
Polen, die nur bei Driesen östlich des Netzebruchs,
bei Zantoch und bei Küstrin an der Mündung
der Warthe in die Oder überschreitbar war. Bei
Zantoch führte die uralte Bernsteinstraße nach dem
Mittelmeer über die Warthe. DerL bergang war also
auch handelspolitisch wichtig und wurde daher
heftig umstritten.

Nachdem die nordgermanischen Burgunder in der
Völkerwanderung aus Pommern abgezogen waren,
drangen Slawen in ihre leer gewordenen Sitze ein.
Sie nannten sich Pomoranier, Meerleute (von Po
Morje, am Meer), und übernahmen von den zurück-
gebliebenen Resten der Burgunder den altgermani-
schen Wehr- und Hausbau. So erklärt es sich, daß
der Brückenkopf, den sie auf der Landspitze gegen-
über von Zantoch um 1000 nach Chr. zur Siche-
rung des Übergangs anlegten, durchaus germanische
Bauart aufweist: einen Erdwall mit Falisadenkranz
und im Innern zweiräumige Pfostenhäuser mit
Wänden aus lehmverputztem Flechtwerk.

Doch diese Befestigung hat nicht lange gestan-
den; sie wurde von den gegen die Ostsee vordrän-
genden Polen zerstört, und die Pommern zogen
sich auf den steilen nördlichen Tal ran d zurück, wo
sie auf dem Schloßberg eine neue Befestigung an-
legten, die noch der Ausgrabung harrt. Die Polen
aber setzten ihnen auf der Landspitze eine große
Trutzburg vor die Nase; sie bestand nach einer
Urkunde von 1096 aus einem großen Burgwall
(Castrum), wo die Krieger, Handwerker und das
Volk hausten, und aus einer kleinen Herrenburg
(.Castellum), wo der Herzog wohnte. Die Ausgra-
bung hat beides bestätigt, und zwar fand sich die
Herrenburg an der äußersten Spitze des großen
Wallrings, Sie wurde daher von den Regulierungs-
arbeiten am stärksten erfaßt und ist fast ganz zer-
stört worden.

Im Gegensatz zu der Pommernburg bestand ihr
Burgwall aus einem Rost von kreuz und quer
liegenden Hölzern, darüber eine Erdschüttung, die
nur auf der Innenseite mit Holzbohlen abgesteift
war. Die heutigen Uferverkleidungen in Zantoch
geben noch ein anschauliches Bild dieser Abstei-
fung. Bei einem späteren Neubau wurde der Innen-
seite der Wallmauer noch ein starker Wehrgang
vorgelegt, anscheinend mit kasemattenartigen Un-
tertreteräumen für die Besatzung. Die Häuser im
Innern dieser Burg waren zwar auch zweiräumig,
aber im slawischen Blockbau aufgeführt, wie er sich
bis heute im Spreewald erhalten hat. Holzverschalt
waren auch die Brunnen, und selbst die Hausherde
bestanden aus Schichten von Holz und Lehm, eine
sonst nirgends beobachtete Eigentümlichkeit. War
eine Schicht durchgebrannt, so legte man eine neue
darüber; in einem Hause fanden sich fünfzehn sol-
cher Schichten übereinander. Um die Herde standen
vier Pfosten, die anscheinend einen dachartigen
Rauchfang getragen haben. Die Gassen hatten
Knüppeldämme, und alle Häuser standen buchstäb-
lich auf Stallmist, den man aus der Burg fortzu-
schaffen nicht für nötig hielt. Noch bei der Aus-
grabung verbreitete er an Regentagen unerträg-
lichen Gestank. Diese polnischen „Kulturschichten"'
reden eine deutliche Sprache, doch sie haben auch
ihr Gutes gehabt, denn der Mist hat das Holzwerk
und die Abfälle vorzüglich erhalten, und aus diesen
läßt sich ein Bild von der Lebensweise der Bewoh-
ner gewinnen. Neben der hier wie anderswo all-
verbreiteten Hirse, die das Hauptnahrungsmittel
gewesen sein muß, fanden sich Pflaumen- und
Kirschkerne, sogar unerwartet Pfirsichkerne, die
p.uf alte Beziehungen zu Südosteuropa deuten. Die
Tonware, deren Scherben sich in diesem Abraum
fand, war zwar auf der Töpferscheibe geformt, aber
schlecht gebrannt.

Heftige Kämpfe haben um diese Burg getobt; sie
ist dreimal in Flammen aufgegangen und wieder
aufgebautworden. Die Pommern, die sie belagerten,

(Fortsetzung Seite 143)

Kunst f. Alle, Jahrg. 49, Heft S, Februar 1934

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