Albin Egger-Lienz. Ruhende Hirten. 1911
Künstler im Lichte einer neuen Zeit: Albin Egger-Lienz
Von Werner Teupser
Wir schicken uns gegenwärtig an, unter dem ge-
waltigen Eindruck und eindeutigen Erlebnis eines
gewandelten Volksempfindens auch die großenkünst-
lerischen Persönlichkeiten aller Zeiten und Gene-
rationen auf ihre volksverbindenden Kräfte hin zu
prüfen und zu beurteilen, um sie schließlich ganz
besonders in dem Bewußtsein unseres Volkes leben-
dig werden zu lassen. Daher bedarf es zunächst
auch keiner näheren Begründung, wenn gerade
heute wieder einer so eigenwilligen und starken
Künstlernatur wie Egger-Lienz gedacht wird, dem
erst kürzlich der Leipziger Kunstverein eine größere
Gedächtnisausstellung widmete. Denn in der Tat
scheint dieser Künstler, der vor sieben Jahren aus
einem immer noch verheißungsvollen Schaffen
abberufen wurde und am 29. Januar dieses Jahres
erst seinen 65. Geburtstag gefeiert hätte, erst heute
uns etwas ganz Besonderes zu sagen. Der Kampf,
der bei seinen Lebzeiten um die Tragweite und Be-
rechtigung seiner formalen Bildauffassungen mit
besonderem Temperament allseitig geführt wurde,
ist fast schon vergessen, da er sich letzten Endes
auf eine ästhetische, nur scheinbar bestehende
Antithese von Monumental oder Dekorativ zuge-
spitzt hatte. Die Gegenspieler, die in diesem Bingen
um eine neue große Stilkunst sich recht weit vor-
gewagt hatten, sind aus der Arena einer allgemei-
nen Kunstpolitik längst zurückgetreten, und eine
neue Zeit voll Bassebewußtsein, Blut und innerer
Berufung sucht das Wahre und Echte, Große und
Gewaltige aller künstlerischen Bekenntnisse sich zu
erhalten, um sie als Vorbedingungen für den Auf-
bau einer neuen heldischen Kunst zu dauerndem
Besitz sich zu erringen. Kein Zweifel, daß von
einem solchen Standpunkt aus gesehen das Lebens-
werk dieses letzten großen Tiroler Monumental-
malers reife Entscheidungen enthält, die mehr als
nur retrospektive Betrachtung verdienen. Eggers
Kunst ist nämlich ganz aus dem Boden eines reinen,
echten Volkstums herausgewachsen. Alles nur Arti-
stische und Atelierhafte hat ihm immer ferngelegen,
obwohl er es verstand, sein Schaffen mit geist-
reichen, glänzend formulierten theoretischen Be-
trachtungen zu stützen und zu verteidigen. Die
Urwüchsigkeit und Stärke seines Volksstammes sind
eben immer die einzige Quelle seiner künstlerischen
Kunst f. Alle, Jahrg. 49, Heft 4, Januar 1984
14
101
Künstler im Lichte einer neuen Zeit: Albin Egger-Lienz
Von Werner Teupser
Wir schicken uns gegenwärtig an, unter dem ge-
waltigen Eindruck und eindeutigen Erlebnis eines
gewandelten Volksempfindens auch die großenkünst-
lerischen Persönlichkeiten aller Zeiten und Gene-
rationen auf ihre volksverbindenden Kräfte hin zu
prüfen und zu beurteilen, um sie schließlich ganz
besonders in dem Bewußtsein unseres Volkes leben-
dig werden zu lassen. Daher bedarf es zunächst
auch keiner näheren Begründung, wenn gerade
heute wieder einer so eigenwilligen und starken
Künstlernatur wie Egger-Lienz gedacht wird, dem
erst kürzlich der Leipziger Kunstverein eine größere
Gedächtnisausstellung widmete. Denn in der Tat
scheint dieser Künstler, der vor sieben Jahren aus
einem immer noch verheißungsvollen Schaffen
abberufen wurde und am 29. Januar dieses Jahres
erst seinen 65. Geburtstag gefeiert hätte, erst heute
uns etwas ganz Besonderes zu sagen. Der Kampf,
der bei seinen Lebzeiten um die Tragweite und Be-
rechtigung seiner formalen Bildauffassungen mit
besonderem Temperament allseitig geführt wurde,
ist fast schon vergessen, da er sich letzten Endes
auf eine ästhetische, nur scheinbar bestehende
Antithese von Monumental oder Dekorativ zuge-
spitzt hatte. Die Gegenspieler, die in diesem Bingen
um eine neue große Stilkunst sich recht weit vor-
gewagt hatten, sind aus der Arena einer allgemei-
nen Kunstpolitik längst zurückgetreten, und eine
neue Zeit voll Bassebewußtsein, Blut und innerer
Berufung sucht das Wahre und Echte, Große und
Gewaltige aller künstlerischen Bekenntnisse sich zu
erhalten, um sie als Vorbedingungen für den Auf-
bau einer neuen heldischen Kunst zu dauerndem
Besitz sich zu erringen. Kein Zweifel, daß von
einem solchen Standpunkt aus gesehen das Lebens-
werk dieses letzten großen Tiroler Monumental-
malers reife Entscheidungen enthält, die mehr als
nur retrospektive Betrachtung verdienen. Eggers
Kunst ist nämlich ganz aus dem Boden eines reinen,
echten Volkstums herausgewachsen. Alles nur Arti-
stische und Atelierhafte hat ihm immer ferngelegen,
obwohl er es verstand, sein Schaffen mit geist-
reichen, glänzend formulierten theoretischen Be-
trachtungen zu stützen und zu verteidigen. Die
Urwüchsigkeit und Stärke seines Volksstammes sind
eben immer die einzige Quelle seiner künstlerischen
Kunst f. Alle, Jahrg. 49, Heft 4, Januar 1984
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