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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Wolf, Georg Jacob: Zwei Münchner Künstler begegnen sich
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Hauptstadt herantrug. Oft glaubte er, jetzt erst seien
ihm die Wunder des Lichts ganz aufgegangen, jetzt
erst habe er erkannt, was Rot und was Grün be-
deute, jetzt erst blühe seine Palette auf, jetzt erst
gewinne sie das Leuchten, das ihm stets als das
Höchste seiner Kunst vorgeschwebt.
Zufrieden strebte er mit dem sinkenden Abend wie-
der der inneren Stadt zu. Er ging an dem neuen Bahn-
hof vorbei und erinnerte sich, wie hier in seiner
Jugend die Feuerschützen ihrem wehrhaften Ver-
gnügen oblagen; er lächelte, als er an dem Hause
vorüberschritt, wo eines der unsterblichen Originale
Alt-Münchens, der Lohnkutscher Krenkel, gehaust
hatte („Auch so ein seltsamer Kauz wie ich
brummte er vor sich hin): er stand vor dem Karlstor,
und da war auch schon die heimische Neuhauser
Straße und das Haus, in dem er, als wohlbestallter
Spezereihändlerssohn, vor mehr als sechzig Jahren
geboren worden war.

Spitzweg war ein wenig eigenbrötlerisch und unge-
sellig geworden mit dem nahenden Alter. Selbst
Schleich und Langko sah er nicht mehr so häufig
wie früher: was aber den Umgang mit Schwind
betrifft, so war er ihm bei dem oft überschäumen-
den Temperament des Freundes etwas beschwetlich
geworden. Denn die Gangart seines Spitzweg-Ge-
müts und seiner Spitzweg-Denkweise war behaglich
geblieben, wie es sich für einen Münchner seines
Schlags und seiner Zeit geziemt. So zog er es jetzt
auch vor, zuhause, in seiner Hagestolz-Bude, zu ver-
weilen : dort vertiefte er sich in Bücher, besonders
in die des Schweizers Gottfried Keller, dessen Wesen
sich mit dem seinen in manchem berührte und der
auch einmal in München sich der Malerei befleißigt
hatte. Besonders gern las Spitzweg im „Grünen
Heinrich" die phantastische Schilderung des Dürer-
Festes im Münchner Odeon, das im Jahre 1840
stattgefunden hatte, aller Münchner Künstlerschaft
zu Freude und Stolz. Damals war Spitzweg ein
beginnender Dreißiger gewesen, eben erst der Apo-
thekerei entlaufen und zur Malerei übergegangen,
und begeistert hatte er im großen Zug in Kaiser
Maximilians Gefolge den gelahrten Ratsschreiber
von Nördlingen gemimt . . .

Wie lange her das war! Aber heute drängten sich
die Erinnerungen gewaltsam zu und Spilzweg wollte
nicht mit ihnen allein sein in seiner Klause am
Heumarkt, bei den Türmen und Glocken und über
den Dächern und Mansarden. Rasch entschlossen
und gegen seine Gewohnheit trat er deshalb in das
Bräuhaus zum Augustiner ein und nahm in jenem
lang nicht mehr besuchten, schmalen Gelaß Platz,
das den Zunamen ,,Affenkasten" trug. Seitdem die
Akademie in dem ehemaligen Jesuitenkollegium
auf der anderen Seite der Neuhauser Straße ihre Her-
berge gefunden hatte, sprachen hier gern die jungen
Maler und Bildhauer zu, und so war es auch Spitz-
weg kein unvertrauter Raum.

Qualm und fröhlicher Lärm schlugen ihm entgegen.
Sie hatten heute etwas Wohltuendes, sie nahmen
ihn freundlich auf und legten sich wie ein schützen-
der Mantel um ihn. Der etwas kurzsichtige Herr

blieb am Eingang stehen, er mußte sich erst einen
Platz ausfinden. Da war ein Tisch, an dem nur
ein junger Mann saß, etwas verdrossen dreinblik-
kend, aber zugleich anziehend in der verhaltenen,
federnden Kraft seiner Erscheinung; zu dem setzte
sich Spitzweg mit kurzem Gruß.
Man kann sich nicht leicht stärkere Kontraste vor-
stellen als die beiden. Spitzweg: schmal, skurril, mit
einer aus dem kleinen Gesicht mächtig vorsprin-
genden Nase, die eine altmodische Brille trug. Tiefe
Falten verbanden Nasenflügel und Mundwinkel.
Das dunkelbrünette Haar und der Bart angegraut,
aber die Augen blickten ironisch, wenn er sonst
auch eher ein schüchternes und linkisches Wesen
bekundete. Dagegen der andere: ebenmäßig gebaut
und elastisch, trotz seiner hünenhaften Gestalt:
blond, kurzbärtig, prächtig modelliert die hohe Stirn
und die gerade Nase, funkelnden Auges unter den
starken, schöngeschwungenen Augenbrauen, jung
und sieghaft, aber in sich geschlossen, seines Wertes
sich bewußt, trotzdem ohne alle Pose.
Die beiden schwiegen sich lange an. Ab und zu
stieß der Junge Rauchwolken aus seiner Pfeife in
die Luft, griff nach dem Krug und tat manchen
tiefen Zug. Jetzt kramte Spitzweg aus seiner Rock-
tasche ein abgegriffenes, in Leinwand gebundenes
Skizzenbücherl hervor, suchte sich einen Bleistift
aus und notierte sich mitruhigen, sicheren Strichen
ein Philistergesicht mit einem ausgewachsenen
Nasenexemplar, einen Bräuhaustyp, wie er nicht
klassischer gefunden werden kann. Der Junge blitzte
mit seinen blauen Augen herüber und wußte gleich,
woran er war. Das war kein dilettierender Geheim-
aktuar oder Kanzleirat, für den man ihn seinem
Aussehen nach halten konnte, das war ein Künstler:
dies festzustellen, bedurfte es nicht erst des Blicks
auf die Zeichnung, das lehrte schon die Art, wie er
den Bleistift in die Hand nahm, lehrte der Duktus,
der Strich, das bewies die Art, wie er sein ahnungs-
loses Modell fixierte. „Ein origineller Kopf', brach
der Jüngere das Schweigen, „Sie sind Maler?" Spitz-
weg horchte auf. „Sie natürlich auch", meinte er
lächelnd. „Freilich", kam es zurück, „ich bin hier
auf der Akademie, schon seit fünf Jahren. Früher
bei Ramberg, jetzt bei Piloty. Aber nicht mehr
lang. Ich will fort!" „Sie sind kein Münchner, wie
ich aus ihrer Sprache merke?" ...Ich bin aus Köln:
mein Name ist Leibi."

Über Spitzwegs Gesicht ging ein heller Schein. Das
also war der junge Malerkönig, von dem ganz Mün-
chen, von dem die halbe Kunstwelt sprach; das
war der Künstler, von dem ein so echter, wahrheits-
liebender und vorurteilsfreier Mann, wie er selbst
einer war, fühlte, ja wußte, daß er in seinem Werk
vollenden und erfüllen würde, was er selbst gewollt
und erstrebt und schließlich doch nicht ganz er-
reicht hatte. Das war er. der Leibi, der Akademie-
schüler, dieser fünfundzwanzigjährige Hüne, an
dessen Tisch ihn ein Zufall geweht!
„So, Sie sind der Wilhelm Leibi, der Maler der
,Frau Gedon". Ja, das freut mich, sehen Sie, Sie
hätte ich schon lange gern kennen gelernt, obwohl

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