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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Nannen, Henri: Von der Notwendigkeit künstlerischer Volkserziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0217

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einer Besserung der materiellen Lebensverhältnisse
der arbeitenden Volksschichten und nach Mehrung
ihres Wissens. Aber gibt es nicht auch unter denen,
die in Not und Elend leben, viele, denen die Sehn-
sucht nach Schönheit und sittlicher Vervollkomm-
nung ebenso in der Seele brennt, wie sie der Hun-
ger des Leibes quält. Lud nur das unerfüllte Sehnen
nach Verschönerung ihres Lebens hat viele unserer
Volksgenossen zu seichten Vergnügungen irregelei-
tet und sie für billigen Kitsch empfänglich gemacht.
Es kommt alles darauf an. den Ansprüchen dieser
für unser Volk nicht weniger wertvollen Menschen
wieder eine ideelle Richtung zu geben, und es ge-
hört zu den größten und schönsten Aufgaben des
neuen Feierabendwerkes der deutschen Reichsregie-
rung, alle Stände des Volkes teilnehmen zu lassen
an Kunst und Literatur als den höchsten Gütern der
Xation.

Es sind in der Geschichte des kunsterzieherischen
Gedankens ungezählte Methoden der Hinführung
des Volkes zur Kunst angepriesen worden. Der weit-
aus am meisten propagierte Weg ist die Pflege der
sogenannten Volkskunst. Ich halte ihn für den ge-
fährlichsten. Denn jede echte Kunst — wann wer-
den wir das endlich wissen — wird aus dem Volks-
empfinden geboren, ist Kind ihrer Zeit. Wirkliche
Kunst hat nichts gemein mit dem unorganischen
Kunstbetrieb volksfremder Großstädte. Nicht aber
gilt es, die Kunst zu popularisieren und sie für das
Volk besonders zuzurichten, es kann sich bei unse-
ren Bestrebungen nur darum handeln, das Volk
emporzuheben, damit es sein Leben vom Wesen der
Kunst durchdringen lasse. Nicht die Kunst dem
Volke, sondern das Volk der Kunst! Nicht die Kunst
zu uns herunter, sondern wir hinauf zur Kunst!
Denn es gibt nur eine Kunst und die hat ein be-
stimmtes Milieu zur Voraussetzung. Wo dieses nicht
ist, fehlt die Kunst.

Als sich am Ausgang des Mittelalters die Kunst
von der Wandmalerei lossagte und sich in das iso-
lierte Rahmenbild zurückzog, begann mit diesem
gleichnishaften Vorgange die Loslösung der Kunst
aus dem Volksleben. V as änderte an dieser Tat-
sache die stetige Entwicklung der historisch-theore-
tischen Beschäftigung mit der Kunst? Das ist der
tiefste Grund unserer Kulturlosigkeit. daß uns die
Kunst heute nur noch ein dem Leben äußerlich auf-
gesetztes Ornament ist. Zwar fehlt es nicht an Alu-
seen und Ausstellungen, in denen zu bestimmten
Stunden des Tages Kunst verabreicht wird, wäh-
renddessen aber werden Straßen gebaut plunder-
haft und armselig, protzend und voller Stumpfsinn,
schreiend von Lichtreklamen und grellbunten Pla-
katen, die jede Form vermissen lassen. Handwerk
und Kunst haben sich voneinander getrennt, und
mitleidig lächelnd blickt die höhere Kunst auf das
Kunstgewerbe herab. Dabei läßt das Handwerk die
Kunst vermissen und der Kunst mangelt es am
Handwerklichen.

Muß es uns angesichts solcher Tatsachen nicht nach-
denklich stimmen, daß zu archäologischen For-
schungen und zur Ausgrabung ägvptischer, assyri-

scher oder babylonischer Kunsterzeugnisse Millio-
nen verwandt werden, während für die künstle-
rische Bereicherung unseres eigenen Lebens keine
Mittel vorhanden sind. Leben nicht in Deutschland
Künstler, an deren Talent nicht zu zweifeln ist, in
erbarmungsloser Not? Und bedenken wir, daß noch
heute in vielen unserer Schulen und in den meisten
Universitäten junge eindrucksfähige Menschen sit-
zen zwischen kahlen Wänden, die im besten Falle
einige armselige Reproduktionen klassizistischer
oder auch nur antiker Kunst zieren? In denselben
Räumen aber vermittelt man denselben jungen
Menschen Kunstgeschichte und hält ihnen theore-
tische Vorlesungen über Ästhetik. So macht man
aus ihnen gelehrte Barbaren, denn wer vermöchte
diese Arbeit als Bildung zu bezeichnen!
Als die Kunst das Leben floh, wurde sie zu einer
wissenschaftlichen Disziplin. Mußte nicht an einer
solchen Kunst die Masse des Volkes uninteressiert
bleiben?

Wo aber Kunsterziehung geübt werden soll, da
muß zuerst und vor allem immer wieder betont
werden: Kunst wird nicht gemacht, um analysiert
zu werden, sondern sie entsteht, damit wir sie er-
leben. Alle Kunst ist für den Laien geschaffen, wo
man sie erst deuten muß, um sie nachfühlen zu kön-
nen, da ist sie keine Kunst, sondern gleichsam eine
Bilderschrift, die erst durch Entschlüsselung lesbar
wird. Darum ist es zuerst unsere Aufgabe, gute
Kunst an das Aolk heranzutragen. Wir brauchen
Anschauungsmaterial. Nicht eine Sammlung von
Musterbeispielen der Kunsterzeugung, sondern we-
senseinheitliche Verbindung von Kunst und Arbeits-
stätten. An uns ist es, die Kunst vom registrierenden
Geist der Wissenschaft zu befreien und sie wieder
mitten ins pulsende Leben der Zeit hineinzustellen.
Daneben aber muß die freie Entwicklung des jedem
Menschen eignenden Schaffenstriebes durch Anlei-
tung zu eigener künstlerischer Gestaltung gefördert
werden. Freie Entwicklung, sage ich, denn es wäre
sinnwidrig, wollte man hier kneten und umformen
oder gar nur nach technischen Gesichtspunkten oder
perspektivischen Regeln verfahren. Hier liegen die
Aufgaben der Schule, und niemals sollte sie, die den
mündlichen und schriftlichen Ausdruck pflegt, die
ungeheure Bedeutung des bildhaften Ausdrucks
vergessen. Denn nur aus Anschauung und eigener
schöpferischer Tätigkeit wird jene künstlerische
Durchdringung des Lebens geboren, die den Men-
schen hinführt zu sich selber und damit zu den ewi-
gen Werten seines Volkstums.

In der Tat also, es fehlt nicht an Vorschlägen für
die Gestaltung unseres Wollens. Nur wenige sind
völlig unbrauchbar, keiner ist allein-seligmachend.
Sorgen wir nur dafür, daß uns in den Kämpfen um
Methoden und Wege das Ziel nicht verlorengehe:
V ir wollen nicht, das aus einem Zeitalter der Wis-
senschaft und der Technik ein Zeitalter der Kunst
hervorgehe. Wir fordern zuerst eine Zeit der Besin-
nung auf Volk und Rasse, als den einzigen Weg zu
einem Zeitalter reiner edler Menschlichkeit. Dazu
aber soll die Kunst unser Helfer sein.

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