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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Christoffel, Ulrich: Heinrich Wölfflin: zu seinem 70. Geburtstage am 21. Juni 1934
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0304

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Heinrich WÖlfflin. Zu seinem 70. Geburtstage am 21. Juni 1934

Es ist kein Zufall, daß alle Schriften Wölfflins den
Druckort München zeigen, denn München hat viel
bedeutet im Leben des Gelehrten. Er hat selber ein
schönes Bekenntnis zu München in das goldene
Büchlein des Bayrischen Verkehrsverbandes , .Unser
München" geschrieben: ,,Der Marienplatz als der
noch immer lebendige Herzpxmkt der Stadt, die
reichen Straßenbilder zwischen Tor und Tor, die
hinreißende Gewalt der kirchlichen Bauten, die
hochideale Absicht der Ludwigstraße und des Kö-
nigsplatzes, die unermeßliche Summe seelischen
Aufschwunges in den Kunstwerken der Sammlun-
gen, der Englische Garten, das Bergwasser der Isar
— was bedarf es weitern Zeugnisses, daß keine
Stadt des Deutschen Reiches München an Schön-
heit gleichkommt." In München hat Wölfflin, als
sein Vater von Erlangen an die Münchner Univer-
sität berufen wurde, die letzten Gymnasialjahre,
auf einer Schulbank mit Richard Strauß, verbracht
und an der Münchner Universität hat er später
seine Studien abgeschlossen und seine akademische
Laufbahn als Privatdozent begonnen. Als seine
Lehrer bezeichnete er immer den Basler Jakob
Burckhardt und den Münchner Archäologen Hein-
rich Brunn, und das Besondere seiner wissenschaft-
lichen Arbeit bestand nicht zuletzt darin, daß er
die typologische stilistische Kunstbetrachtung der
Archäologie auf die neuere Kunst angewandt hat.
In München auch hat Wölfflin in seinen Meister-
jahren 1912 bis 1924 als Lehrer gewirkt und da
haben in den Vorlesungen die Bilder der Pinako-
theken und der Schackgalerie immer einen breiten
Raum eingenommen, und zumal in dem Kolleg
über München vermochte der Gelehrte in wenigen
Strichen ein reiches, aus vertrauter Kenntnis und
Liebe geschöpftes Geschichtsbild des großgearteten
architektonischen Charakters der Stadt zu entwer-
fen. "Wölfflins ganzes W esen wurzelt im deutschen
Idealismus, und wenn er über Goethes italienische
Reise, über Peter Cornelius, die Bauwerke Klenzes
sprach, klang es, als ob er die großen Meister ge-
kannt hätte und sein Wort, selbst meisterlich pro-
phetisch geworden, weckte im Herzen der Schüler
ein unvergängliches Echo. Von der italienischen
Haltung der Ludwigstraße sprach er oft und auch
von dem kahlen, linearen Geäst der winterlichen
Bäume des Englischen Gartens, den er auf dem
Weg zur Universität so oft durchquerte, und als er
einen Sommer in Starnberg wohnte und jeden
Morgen in die Stadt ins Kolleg fuhr, da leuchtete
die ganze Herrlichkeit und Frische der Buchen,
Felder und des Wrassers aus seinen Worten über
Schwind und Böcklin. Wie die Schweizer Maler
Stäbli und Böcklin und wie Gottfried Keller hat
Wölfflin Land, Himmel und Kunst von München
in seinen Geist auf genommen'und der Stadt wieder
in seinem "Werke den Dank abgestattet, in dem
Nord und Süd, Heimat und Welt, Barock und Klas-
sik zusammentreffen.

Photothek) Berliti

Aber auch für München ist der Xame Heinrich
Wölfflin ein Stück Geschichte geworden, nicht nur
für die Universität und den Kreis der Schüler,
Freunde und Verehrer, als eine die Atmosphäre
der Stadt rhythmisch bestimmende Persönlichkeit,
sondern in dem besonderen Sinne, durch den Mün-
chen und die Münchner Kunst eine Verpflichtung
und eine Gesinnung bedeuten. Wo immer von dem
letzten großen Münchner Künstler Adolf Hilde-
brand die Rede ist. wird auch Heinrich Wölfflin
genannt werden. Er hat, als das ,.Problem der
Form"" erschien, sofort von Basel aus das Buch in
der ..Münchner Allgemeinen Zeitung" besprochen
und die grundsätzliche künstlerische Haltung Hil-
debrands bejaht. Seine ganze wissenschaftliche und
erzieherische Tätigkeit galt wie die künstlerisch
praktische Hildebrands der Gewissensfrage der
Form, des Gesetzmäßigen, Erkenntnishaften in der
Kunst, durch das ein Fundament der Kritik und
eines richtigen anschaulichen und gestaltenden
Verhaltens gewonnen werden konnte. Wölfflins Le-
benswerk selber basiert auf einem mehr künstleri-
schen als philosophisch historischen, einem mehr
synthetischen als analytischen Anschauen der W7elt
und obwohl er eine von der Ästhetik und der Hi-
storie unabhängige, begrifflich selbständige Kunst-
wissenschaft erst begründet hat, gehört er mehr in
den geistigen Zusammenhang der Marees, Hilde-
brand, Fiedler als nur in die Reihe der großen
Fachgenossen. Seine Bücher sind gleichsam in den
Werkstätten der Künstler, der lebenden und ver-
gangenen, entstanden, nahe bei den Farben, dem
Zeichnen und Modellieren und sie wahren auch in
jedem Wort den Reiz des Erlebten, als ob er den
Meistern bei der Arbeit zugesehen hätte. Das
Deutschrömertum der Cornelius und Marees lebt
auch in ihm weiter, der ein Bild von Italien als
dem Land der klaren, vollendeten, bewußt überle-

t5"

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