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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Weiss, Konrad: Der Kunstgedanke im Zeiterleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0363

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Michele Cascella. Ostern im heiligen Jahr (Petersplatz in Rom)

Ausstellung der Biennale, Venedig

Der Kunstgedanke im Zeiterleben. Von Konrad Weiß

Geistige Treulosigkeit der Zeit hatte auch für die
Kunst seit langem, eine Verflüchtigung der Stam-
meswerte gebracht. Auch das echte Künstlertum
schien, ähnlich den religiösen Zeitkräften, eine Si-
tuation verloren zu haben, die tatsächlich viel weni-
ger von ihm her, sondern von den Besorgern des fal-
schen Zeitgeistes zweideutig und schädlich gewor-
den war. Gerade in Deutschland aber wird die Kunst
immer mehr als anderwärts auch die Frage eines
weltanschaulichen Zeitgeistes sein, weil der deutsche
Sinn von jeher nicht nur Werke will, an denen ihn
die Könnerschaft erfreut, sondern die ihm zugleich
Spiegel, Zeugnisse und oft unergründbar starke
Symbole seines tieferen Daseins sind. Der aktive
deutsche Sinn will solche tieferen Anschauungsbil-
der als seine notwendige Ergänzung.
Es kann nun nicht ausbleiben, daß über den Wert
und Gehalt solcher Anschauungsbilder, die zunächst
nicht anders als aus dem Einzelwesen eines Künst-
lers heraus geschaffen werden, Gegensätze unter
den Volksgenossen entstehen. Es wäre aber falsch.

deshalb einen unverbundenen, aristokratischen und
eigenmächtigen Charakter der Kunst zu betonen.
Die Kunst braucht eine Verbundenheit, nicht nur,
indem sie eine solche zum Volke hin sucht, sondern
gerade auch, indem sie diese vom geistigen Volks-
wesen her empfängt. Und wenn jemand zweifelnd
fragt, ob der Künstler einen politischen Anstoß in
sein Schaffen aufnehmen könne, so ist diese Frage
nur aus einer liberalen mittleren Meinung her zu
verstehen, fn Wirklichkeit ist alle geistig beträcht-
lichere Kunst gleichzeitig der Ausdruck eines Volks-
zustandes. Sie ist nicht nur wie ein Acker mit im-
mer gleichartigem Wachstum, sondern sie trägt in
ihren zeithaften Formen und Farben einen gewis-
sermaßen heraldischen Charakter, oder sie trägt wie
eine Frakturschrift über den bloßen gegenwärtigen
Inhalt hinaus in ihren Formen die wechselnden
Zeichen einer tieferen Geschichte. Und von hier aus
ist sie, falls sie je nicht in ihrem eigenen Instinkt
schon zuvor darauf hingearbeitet hat, für den poli-
tischen Anstoß zugänglich. Dieser Anstoß macht

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