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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 9.1911

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Heft 9
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Vogt, Emmy: Erinnerungen an Karl Stauffer-Bern
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https://doi.org/10.11588/diglit.4706#0428

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eingebüsst, und er erlahmte gleich, wenn ihm etwas
nicht gelingen wollte. Nachdem er nun aber in-
stalliert war, stürzte er sich mit eisernem Fleisse in
seine Thätigkeit. Unaufhörlich von Früh bis Abend
sass er und malte, und wenn er dann abends zu
uns kam, beschäftigte ihn fast ausschliesslich der
Gedanke, wenn er doch nur endlich die falschen
Anklagen, die auf ihm lasteten und ihn an jeg-
lichem neuen Aufschwung hinderten, los wäre.
Dann erst sei für ihn die Möglichkeit vorhanden,
sich zu einem neuen Leben aufzuraffen und irgend-
wo in unbekannter Umgebung wieder zur inneren
Ruhe zu kommen. Eines Tages äusserte StaufFer
den Wunsch, ein Porträt von mir zu malen, und
das veranlasste mich, eine Zeitlang nun täglich ein
paar Stunden bei ihm zu verbringen.

Bei dieser Gelegenheit erzählte er mir viel
Heiteres und Schmerzliches. Oft plauderte er
voller Humor und Witz von alten Erinnerungen
aus der Berliner Zeit; dann aber gabs wieder
Tage, an denen er verzweifelt mit dem Kopfe an
die Wand schlug und bitterlich weinte und nur
„Lydia, Lydia" rief, so dass es Einen erbarmte
und ich rat- und hilflos diesem Jammer gegen-
überstand. — Da erzählte mir StaufFer, wie all das
Leid über ihn gekommen sei, ungefähr folgender-
massen:

Ich war in Zürich und malte ein Porträt von
Gottfried Keller, als ich, an einem sehr heissen
Tage, keine Lust zur Arbeit verspürte und mir vor-
nahm, statt dessen ins Belvoir zu meinem Klassen-
kameraden Welti zu gehen und mich nach diesem
umzusehen. Ich wurde dort ausserordentlich freund-
lich aufgenommen und unterhielt mich sehr
gut. Es folgten diesem Besuche infolge Aufforde-
rung von Seiten des Ehepaares Welti noch viele
Besuche, und ich fand besonders bei Frau Welti viel
gemeinsame Interessen für Literatur und Kunst, so
dass wir uns immer mehr befreundeten. Wir
fuhren und ritten zusammen aus, diskutierten über
alles Mögliche und glaubten uns sehr gut zu ver-
stehen. Herr Welti, der eine mehrwöchent-
liche Vergnügungsreise mit einem Freunde unter-
nahm, bat mich, während dieser Zeit ins Belvoir
zu ziehen, damit Frau Welti nicht allein sei und
zugleich möge ich sie porträtieren. Ich folgte
dieser Einladung und verbrachte an der Seite dieser
mir innig befreundeten Frau mehrere Wochen in
absoluter Abgeschlossenheit. Hierbei kamen wir
beide zum Bewusstsein, dass wir mehr als Freund-
schaft, ja heisse Liebe zueinander empfanden. Als

Frau Weltis Gatte von seiner Reise zurückkehrte,
schlug uns das Gewissen, und ich erklärte Frau
Welti, ich wolle mich losreissen, nach Italien an
die Arbeit und jeglicher Versuchung aus dem Wege
gehen. Meine Absicht wurde zur That und ich
blieb, ungfähr zwei Jahre von Frau Welti getrennt,
aber stets freundschaftlich mit ihr verbunden, in
Rom und widmete mich dort mit aller Energie der
Skulptur. Aus dieser Zeit stammt der Adorant.
Eines Tages teilte mir Frau Lydia brieflich mit,
dass ihr Gatte sehr niedergeschlagen sei durch die
schwere Erkrankung eines Familiengliedes — ich
möge kommen, ihn aufzuheitern. Ich bat sie, das
nicht von mir zu verlangen, da ich gerade tief in
der Arbeit sei und diese nicht unterbrechen könne.
Auch fürchtete ich mich vor dem Ausbruch der
alten Leidenschaft, die ich mühsam zurückgedrängt
hatte.

Frau Welti telegraphierte mir, da gebe es keine
Absage, mein Kommen sei Freundespflicht und so
riss ich mich los, meine begonnene Arbeit schweren
Herzens verlassend. Wie ich erwartet, entfachte
das Wiedersehen die alte Leidenschaft. Ich war
einige Zeit bei Herrn und Frau Welti, als diese
Pläne schmiedeten, gemeinsam mit mir in Italien
zu wohnen. Da war ich es, der von diesem Plane
nichts wissen wollte, und ich erklärte, ein gemein-
sames Zusammenleben sei schon wegen unserer
verschiedenen Lebensaufgaben ausgeschlossen —
wir könnten wohl in der Nähe, doch nicht in der-
selben Stadt wohnen. Herr Welti bat mich, statt
seiner nach Florenz zu reisen und für ihn eine
Villa zu suchen. Er gab mir das Reisegeld und ich
führte seinen Auftrag aus. Nachdem ich die ge-
wünschte Villa ausfindig gemacht, schrieb ich, sie
möchten nun nach Florenz kommen und ich wolle
wieder nach Rom an die Arbeit zurückkehren.
Kaum war das Ehepaar Welti in Florenz einge-
troffen, ersuchte mich Herr Welti, noch acht Tage
seiner Frau Gesellschaft zu leisten, da er noch ein-
mal nach der Schweiz zurückkehren müsse - - und
nun beginnt die Tragödie.

Frau Welti und ich waren in Florenz ganz auf-
einander angewiesen, und da erklärte mir Frau
Welti, sie gebe mich nicht mehr frei, ein Leben
ohne mich sei ihr unmöglich und ich dürfe sie
nicht mehr verlassen. Ich machte ihr die Schwierig-
keit der Erfüllung ihres und auch meines Wunsches
klar. Ich erinnerte sie an die einflussreichen Per-
sönlichkeiten in ihrer Familie und an anderes mehr.
Darauf erklärte mir Frau Welti, sie werde mich





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