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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 17.1919

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Heft 2
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Winter, Franz: Von vergleichender Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.4754#0058

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bau der Kunstgeschichte des Altertums, wird sie doch
immer nach Italien als dem wenn nicht mehr eigent-
lichen, so doch reichsten Kunstboden zurückgeführt.
Hier ist die Kunstgeschichte gewissermassen in ihrer
Achse befestigt. Weil hier — und hier allein — nicht
eine 7.eitlich und lokal begrenzte Kunst, sondern eine
vom Altertum bis in die Gegenwart ununterbrochen
fortlaufende Reihe von Kunstentwicklungen in einer
grossen, ein geschichtliches Ganzes umfassenden Über-
lieferung sich darbietet. Die Bedeutung dieser Über-
lieferung für das kunstgeschichtliche Studium steigert
sich, je mehr mit der fortschreitenden Vervollständi-
gung der Kenntnis von der Kunstthätigkeit aller Zeiten
und aller Völker die Forschung, in die Weite geführt,
zu einem Erfassen des gesamten Kunstgeschehens vor-
dringt und damit ihrer Endaufgabe, einer verglei-
chenden Kunstgeschichte, näher gebracht wird.
Von einer Lösung dieser Aufgabe sind wir heute noch
weit entfernt. Aber schon immer hat es an Einzel-
beobachtungen in dieser Richtung nicht gefehlt und
nicht zufällig ist es die griechische Kunst des Altertums
und die italienische Kunst der Renaissance und nach-
folgenden Zeit gewesen, deren Werke zu vergleichen-
den Betrachtungen Anlass gegeben haben. Goethe ist
solchen Betrachtungen gern und oft nachgegangen und
hat sie in dem Aufsatz 'Antik und modern' vom
Persönlichen aus ins Allgemeine geführt. In dem
Masse, wie das Wissen von der antiken Kunst gewachsen
ist, mehrten sich die Möglichkeiten und Anlässe, für
die neu sich öffnenden Erkenntnisse aus der griechi-
schen Kunstwelt Parallelen in anderen Regionen und
hauptsächlich in der italienischen Kunst zu suchen.
Der Einfluss, den die Antike auf die Renaissance ge-
übt hat, bleibt dabei ganz ausser Betracht. Nicht so-
wohl, weil es die römische, nicht die griechische Kunst
war, von der diese Einflüsse ausgingen, als weil es sich
bei der Vergleichung um ein unabhängig erfolgendes
Wiederkehren von Erscheinungen der inneren Ent-
wicklung, sozusagen der inneren Struktur des Kunst-
körpers handelt.

Über das in einzelnen Fällen derart Beobachtete
hinaus lässt sich nun aber innerhalb der antiken grie-
chischen und der neueren italienischen Kunst eine Ent-
sprechung auch in der Gliederung der Abfolge
erkennen, in der wesensverwandte Äusserungen der
künstlerischen Auffassung und Gestaltung sich wieder-
holen. Sie schliessen in analoger Reihe mit gleicher
Stufenfolge aneinander. Wenn ich versuche, die darin
sich aussprechende Gleichartigkeit des Verlaufs der
beiden grossen Kunstentwicklungen in den folgenden
Ausführungen aufzuzeigen, so muss ich mich auf die
für die verschiedenen Epochen charakteristischen, in
einzelnen hervorragenden Meistern hervortretenden
Hauptzüge beschränken.

Bei dem Suchen nach dem festen Punkte, an dem
vergleichende Betrachtungen einsetzen können, kommt

uns die alte Überlieferung selbst zu Hilfe. Wir finden
in demselben Sinne, in dem Giotto als der Begründer
der neueren italienischen Kunst gefeiert wird, in einem
Abriss der griechischen Kunstgeschichte, der in kurzem
Auszug bei Quintilian erhalten auf hellenistische Kunst-
forschung, wie es scheint, des aristotelischen Kreises
zurückgeht, Polygnotos von Thasos an die Spitze der
griechischen Malerei gestellt. In den Werken der bei-
den Meister kam die Loslösung der Kunst von der
altertümlichen Gebundenheit, das Eintreten in ein
freies, alle Abhängigkeit von der Tradition fremder
Vorbilder und Einflüsse abwerfendes Schaffen zu vol-
lem Ausdruck. Sie sind die Hauptvertreter einer neuen
Entwicklung. An deren Eingang stehen grosse, das
Leben der Zeit aufs tiefste berührende Ereignisse, die
nationale Erhebung Griechenlands in den Perserkriegen,
und die religiöse und soziale Bewegung in Italien, die
durch das Auftreten des heiligen Franz von Assisi in
Fluss kam. Beide Male ein Kampf um die höchsten
Güter, eine Befreiung, die eine neue Zeit mit neuen
Idealen hervorrief. Und beide Male war es die grosse
Wandmalerei, die vor anderen berufen, den Gefühlen
der Zeit Ausdruck zu geben, und in den zwei bahn-
brechenden Meistern vertreten, die Führung gewann.
Mit der Steigerung der Bauthätigkeit verknüpft, die
hier wie dort der Bewegung folgte, fand die Kunst
ihre bedeutenden Aufgaben in der Ausschmückung der
neu erstehenden Bauten, in Griechenland der Tempel
und Hallen, in Italien der gotischen Kirchen des Fran-
ziskaner- und Dominikanerordens. Sie schöpfte den
StofF für die Darstellungen aus den alten Quellen der
Götter- und Heldensage und der Christuslegende und
Heiligengeschichte. Es waren nicht neue Stoffe, die
sie behandelte, aber das Altbekannte wurde mit neuem
Inhalte gefüllt, erschien in anderer Auffassung und
in neuer Form. Die Ereignisse der Zeit hatten den
Sinn auf das Hohe und Grosse gelenkt. Äschylos und
Pindar und in Italien Dante, jenen griechischen Dich-
tern in der Seele verwandt, sind aus diesen Zeiten her-
vorgegangen. Und dieselbe Sprache voll Kraft und
Innerlichkeit, wie deren Dichtung, hat jetzt die bil-
dende Kunst für ihre Schilderungen gefunden. Sie hat
sich von der Wiedergabe des Äusserlichen, in der die
vorausgegangene Kunst ihr Genüge gefunden hatte,
zur charakteristischen Darstellung und zum Ethos er-
hoben.

Das Ethos wird in der griechischen Kunstliteratur
von den polygnotischen Gemälden vor allem gerühmt.
Wir wissen von diesen Gemälden nur mehr aus den
Nachrichten bei den alten Schriftstellern, sie selbst
sind mit den Gebäuden, deren Wände sie einst be-
deckten, untergegangen. Aber andere erhaltene Werke
derselben Zeit, die nachweislich in Art und Auffassung
der Kunst Polygnots nahe stehen, wie das bedeutendste
Monumentalwerk der Epoche, der Skulpturenschmuck
des Zeustempels von Olympia, oder in engster

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