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Dichtkunst, der neben der Musik Vater Decker be-
sonders zugethan war, ihr Kontingent, in dem zwei
Gestalten auffallen, weil sie auch äusserlich aus
dem Rahmen der durchschnittlichen Gesellschafts-
fähigkeit heraustreten. Die eine ist der ganz ver-
gessene Gottlob Wilhelm'Burmann (1737—1805),
dessen „Gedichte ohne den Buchstaben R" in
längst aus der Mode gekommenen Chrestomathien
noch als Proben eines barocken Sonderlings spuken,
die andere ist „Deutschlands Sappho", die Karschin,
deren Stegreifdichtungen auch den Deckerschen
Familienfesten zugute kamen. Hier im Deckerschen
Hause erlebte sie als einen der grossen Augenblicke
ihres Lebens die Überraschung, dass in glänzender
Gesellschaft Se. Exzellenz der Herr Staatsminister
Wöllner ihr den huldreichen Entschluss Friedrich
Wilhelms IL verkündigte, sie mit einem eigenen
Hause zu begnadigen.*
So sorgenvoll Deckers Beginn in Berlin sich
angelassen hatte, so freundlich und beruhigt zog
sein Lebensabend herauf. In dreissigjähriger Thätig-
keit hatte er die verwahrloste und verschuldete
Druckerei seiner Schwiegermutter zur angesehensten
Offizin Berlins erhoben. Friedrich Wilhelm IL, der
an Standeserhöhungen und Titelauszeichnungen sich
nicht genug thun konnte, ernannte ihn zum Ober-
hofbuchdrucker, in den Händen des Sohnes, den
er bei Gelegenheit des Druckes der Werke Fried-
richs d. Gr. zurückgerufen und als Teilhaber in das
Geschäft aufgenommen hatte, lag die Zukunft wohl
geborgen. So konnte er denn an das Ausruhen
denken, um so mehr, als häufige Gichtanfälle ihn
ermahnten, dass die Zeit dazu gekommen sei. Bald
nach seinem sechzigsten Geburtstag überliess er im
* Das Haus wurde ihr an der Ecke des Haakeschen Marktes
erbaut. Ihr Testament, das Ernst FrensdorfF in den Mitteilungen
des Vereins für die Geschichte Berlins 1907, S. 321F. veröffent-
licht hat, giebt .eine Vorstellung von der Ausstattung ihrer
Wohnung mit Ölgemälden (in der Hauptsache Bildnissen),
Kupferstichen, Silber, Porzellan, ausgestopften Vögelbälgen usw.
Auf dem bekannten Rosenbergschen Stich des Haakeschen
Marktes vom Jahre 1780 ist es natürlich noch nicht zu linden.
Inzwischen ist es längst verschwunden, wie sich denn über-
haupt der Haakesche Markt gegen die damalige Zeit bis zur
Unkenntlichkeit verändert hat.
Juni 1792 das Haus in der Brüderstrasse, die Ober-
hofbuchdruckerei, Schriftgiesserei und das Verlags-
geschäft dem Erben und ging, um nicht im Wege
zu stehen, zunächst auf Reisen. Noch einmal in
dem deutlichen Vorgefühl, dies sei nun der Ab-
schied für immer, besuchte er die Stätten seiner
Kindheit, die Baseler Freunde und die geliebte
Tochter. Dann kehrte er in die schöne Bel-Etage
der Brüderstrasse zurück. Und hier im dankbaren
Rückblick auf die Schicksalswege seines Lebens,
von denen er gern mündlich und zuletzt auch
schriftlich den Kindern Kunde gab, verlebte er
noch sechs Jahre in einem ruhigen Altersidyll.*
Um ihn herum formte sich allmählich neu,
was er in feste Bahnen geleitet hatte. Der Sohn
kaufte 1794 *n ^er Wilhelmstrasse 75 das palast-
artige Haus des Herzogs Friedrich August von
Braunschweig-Oels und verlegte dahin, wo genü-
gend Raum war, sich auszubreiten, Geschäft und
Wohnung. Hier hat die Oberhof buchdruckerei
namentlich unter dem Enkel Rudolph Decker (1 804
bis 1877) ihre höchste Blütezeit erlebt, bis sie in
den Besitz des Reiches überging und mit der Preussi-
schen Staatsdruckerei vereinigt in der Reichs-
druckerei wieder auflebte. Der Verlag spaltete
sich ab und besteht noch heute, von vornehm kon-
servativen Traditionen geleitet.
Das Haus Brüderstrasse 29 ging schon 1795
in andere Hände über. War es unter dem alten
Decker eine Pflegestätte für Musik und Dichtung
gewesen, so dauerte es nicht lange, bis der neue
Besitzer die bildende Kunst darin heimisch machte.
Das zweite Kapitel dieser Hausgeschichte wendet
sich von den Bewohnern weg mehr dem künstle-
rischen Schmuck des Hauses zu.
* Georg Jakob Deckers Persönlichkeit ist mehrfach im
Bilde, am besten von Anton Graff festgehalten worden. Dies
Porträt entstand bei einem der Aufenthalte Deckers in der
Schweizer Heimat. Es befindet sich mit anderen Familien-
bildnissen bei dem Erben, Herrn Grafen von Rothkirch-Trach,
auf Schloss Bobersbach bei Eicherg in Schlesien, doch war es
nicht möglich, die Vorlage zu einer Abbildung von da zu er-
langen.
(Schluss folgt.)
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Dichtkunst, der neben der Musik Vater Decker be-
sonders zugethan war, ihr Kontingent, in dem zwei
Gestalten auffallen, weil sie auch äusserlich aus
dem Rahmen der durchschnittlichen Gesellschafts-
fähigkeit heraustreten. Die eine ist der ganz ver-
gessene Gottlob Wilhelm'Burmann (1737—1805),
dessen „Gedichte ohne den Buchstaben R" in
längst aus der Mode gekommenen Chrestomathien
noch als Proben eines barocken Sonderlings spuken,
die andere ist „Deutschlands Sappho", die Karschin,
deren Stegreifdichtungen auch den Deckerschen
Familienfesten zugute kamen. Hier im Deckerschen
Hause erlebte sie als einen der grossen Augenblicke
ihres Lebens die Überraschung, dass in glänzender
Gesellschaft Se. Exzellenz der Herr Staatsminister
Wöllner ihr den huldreichen Entschluss Friedrich
Wilhelms IL verkündigte, sie mit einem eigenen
Hause zu begnadigen.*
So sorgenvoll Deckers Beginn in Berlin sich
angelassen hatte, so freundlich und beruhigt zog
sein Lebensabend herauf. In dreissigjähriger Thätig-
keit hatte er die verwahrloste und verschuldete
Druckerei seiner Schwiegermutter zur angesehensten
Offizin Berlins erhoben. Friedrich Wilhelm IL, der
an Standeserhöhungen und Titelauszeichnungen sich
nicht genug thun konnte, ernannte ihn zum Ober-
hofbuchdrucker, in den Händen des Sohnes, den
er bei Gelegenheit des Druckes der Werke Fried-
richs d. Gr. zurückgerufen und als Teilhaber in das
Geschäft aufgenommen hatte, lag die Zukunft wohl
geborgen. So konnte er denn an das Ausruhen
denken, um so mehr, als häufige Gichtanfälle ihn
ermahnten, dass die Zeit dazu gekommen sei. Bald
nach seinem sechzigsten Geburtstag überliess er im
* Das Haus wurde ihr an der Ecke des Haakeschen Marktes
erbaut. Ihr Testament, das Ernst FrensdorfF in den Mitteilungen
des Vereins für die Geschichte Berlins 1907, S. 321F. veröffent-
licht hat, giebt .eine Vorstellung von der Ausstattung ihrer
Wohnung mit Ölgemälden (in der Hauptsache Bildnissen),
Kupferstichen, Silber, Porzellan, ausgestopften Vögelbälgen usw.
Auf dem bekannten Rosenbergschen Stich des Haakeschen
Marktes vom Jahre 1780 ist es natürlich noch nicht zu linden.
Inzwischen ist es längst verschwunden, wie sich denn über-
haupt der Haakesche Markt gegen die damalige Zeit bis zur
Unkenntlichkeit verändert hat.
Juni 1792 das Haus in der Brüderstrasse, die Ober-
hofbuchdruckerei, Schriftgiesserei und das Verlags-
geschäft dem Erben und ging, um nicht im Wege
zu stehen, zunächst auf Reisen. Noch einmal in
dem deutlichen Vorgefühl, dies sei nun der Ab-
schied für immer, besuchte er die Stätten seiner
Kindheit, die Baseler Freunde und die geliebte
Tochter. Dann kehrte er in die schöne Bel-Etage
der Brüderstrasse zurück. Und hier im dankbaren
Rückblick auf die Schicksalswege seines Lebens,
von denen er gern mündlich und zuletzt auch
schriftlich den Kindern Kunde gab, verlebte er
noch sechs Jahre in einem ruhigen Altersidyll.*
Um ihn herum formte sich allmählich neu,
was er in feste Bahnen geleitet hatte. Der Sohn
kaufte 1794 *n ^er Wilhelmstrasse 75 das palast-
artige Haus des Herzogs Friedrich August von
Braunschweig-Oels und verlegte dahin, wo genü-
gend Raum war, sich auszubreiten, Geschäft und
Wohnung. Hier hat die Oberhof buchdruckerei
namentlich unter dem Enkel Rudolph Decker (1 804
bis 1877) ihre höchste Blütezeit erlebt, bis sie in
den Besitz des Reiches überging und mit der Preussi-
schen Staatsdruckerei vereinigt in der Reichs-
druckerei wieder auflebte. Der Verlag spaltete
sich ab und besteht noch heute, von vornehm kon-
servativen Traditionen geleitet.
Das Haus Brüderstrasse 29 ging schon 1795
in andere Hände über. War es unter dem alten
Decker eine Pflegestätte für Musik und Dichtung
gewesen, so dauerte es nicht lange, bis der neue
Besitzer die bildende Kunst darin heimisch machte.
Das zweite Kapitel dieser Hausgeschichte wendet
sich von den Bewohnern weg mehr dem künstle-
rischen Schmuck des Hauses zu.
* Georg Jakob Deckers Persönlichkeit ist mehrfach im
Bilde, am besten von Anton Graff festgehalten worden. Dies
Porträt entstand bei einem der Aufenthalte Deckers in der
Schweizer Heimat. Es befindet sich mit anderen Familien-
bildnissen bei dem Erben, Herrn Grafen von Rothkirch-Trach,
auf Schloss Bobersbach bei Eicherg in Schlesien, doch war es
nicht möglich, die Vorlage zu einer Abbildung von da zu er-
langen.
(Schluss folgt.)
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