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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 17.1919

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Heft 11
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4754#0481

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V

an der Errichtung des für einen vorübergehenden Zweck
bestimmten Bildwerks „Der eiserne Hindenburg" un-
mittelbar so gut wie nicht beteiligt; sie hat auf die
Auswahl des Künstlers oder die Gestaltung der Figur
keinen Einfluss geübt. Gleichwohl zögere ich angesichts
Ihres Angriffs nicht, die Verantwortung freudig mit zu
übernehmen. Denn unendlich höher als die von Ihnen
dargelegten Einwendungen gegen den Kunstinhalt des
Werkes und als die aus der Nagelung zu erwartenden
Gaben für Kriegswohlfahrtszwecke steht mir der Geist,
der die Veranstaltung trägt und der durch sie lebendig
gehalten werden soll.: der Geist schrankenloser Opfer-
willigkeit in der Kriegsnot des Vaterlandes. Dieses
höchste Gut einzuschätzen fühlen sich alle Deutschen
gleichmässig und selbständig befähigt; wir sind nicht,
wie Sie schildern, ein Volk von Unmündigen, das durch
wenige Auserwählte zum Höheren geführt werden
müsste. Der Krieg hat uns gezeigt, wenn wir es noch
nicht wussten, dass ein jeder von uns das Edelste und
Beste sehr wohl zu erkennen weiss. Niemand wird im
Eisernen Kreuz nach dem Kunstwerk sehen; jedermann
wird es ehren als den Lohn der Tapferkeit bis zum
Tode. So muss ich Ihren Brief, der mit Ausdrücken
wie „Barbarei" (dreimal) „Abscheulichkeit, Geschmack-
losigkeit, Verbrechen an der Volksseele, Blamage" ganz
angefüllt ist, auf das tiefste bedauern. Auch deshalb,
weil selbst der angesehenste Künstler nicht davon befreit
ist, seinen Mitbürgern die Achtung zu erweisen, auf
die sie alle Anspruch haben.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung

ganz ergebenst

Wermuth
Oberbürgermeister

Berlin-Grunewald, den 26. 9. if.

Ew. Exzellenz
Beantwortung meines Schreibens habe ich erhalten.
Eine weitere Auseinandersetzung zwischen uns erscheint
mir bei der fundamentalen Verschiedenheit der Auf-
fassung zwecklos; bemerken will ich nur, dass ich in
meinem Brief von Voraussetzungen ausging, deren
Elemente ich längst jedem Zweifel und jeder Diskussion
entrückt glaubte.

Der Vorwurf der Überhebung trifft daher, falls er
in dieserKorrespondenz erhoben werden kann, jedenfalls
nicht mich.

Mit dem Ausdruck grösster Hochachtung

L. Tuaillon

An den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Berlin
Exzellenz Dr. Wermuth.

Nach Kenntnisnahme von Professor TuaillonsProtest
gegen die Hindenburgstatue, der Antwort Ew. Exzellenz,
sowie der Replik Professor Tuaillons, versichern die

Unterzeichneten Ew. Exzellenz, dass sie Urteil und Stand-
punkt Professor Tuaillons restlos teilen.

Wir konstatieren mit Bitterkeit und Entrüstung,
dass beidieseraufsehenerrenendenUnternehmun!Teinzi(T
und allein die Sachverständigen beiseite gestellt worden
sind; sonst wäre dieseBlamage, fürderenKennzeichnung
kein Wort scharf genug ist, unserer Nation und ihrer
Residenzstadt erspart geblieben.

Wir bemerken ausserdem, mit Hinblick auf den
Inhalt des von Ew. Exzellenz an Professor Tuaillon ge-
richteten Antwortschreibens das Folgende:

Die ihm begrifflich zugrunde liegende Auffassung
von Kunst und Volkswert als getrennter, rivalisierender
und vergleichbarer Werte ist falsch — so klar und so
lange schon als falsch erkannt und anerkannt, dass eine
Diskussion darüber sich erübrigt. Kunstliebe, Kunst-
gefühl, Kunstverständnis sind vielmehr integrierende,
wesentliche Bestandteile des Wertes einer Nation:
an sich genau so wichtig, ernsthaft und der tiefsten
Achtung wert, wie Patriotismus, Tapferkeit, Treue, oder
irgend andere Tugenden.

Zweifellos und unbestreitbar falsch — sogar ganz
besonders falsch - ist ferner die Annahme, dass „ein
jeder von uns das Edelste und Beste sehr wohl zu er-
kennen weiss usw."

Es ist vielmehr notorisch Urteil und Geschmack in
Kunstdingen bei der weit überwiegenden Mehrheit nicht
nicht nur des Volkes, sondern auch der Gebildeten in
in unserem Lande so gering, dass selbst Vorfälle wie
der, der unsere Korrespondenz veranlasste, mehr Be-
dauern als Erstaunen zu verursachen pflegen.

Unser Volk, im weitesten Sinne genommen, bedarf
unbestritten auf dem Gebiet des Kunsrurteils und des
Kunstgeschmacks der Führung und des Rates höchst
dringend. Ihm darin guten Rat zu geben, auch das ist
ernsthafteste, patriotische Pflicht -■- und das beste Zeichen
der Achtung vor ihm nicht feige Konnivenz, sondern
die thatkräftige Erkenntnis, dass für dieses Volk das
Beste gerade gut genug ist; eine Erkenntnis, die übrigens
an unsere allerbesten Traditionen anschliesst. In diesem
Zusammenhang erscheint auch Ew. Exzellenz Hinweis
auf das Eiserne Kreuz nicht recht glücklich denn es
wurde gerade aus diesem besseren Geiste heraus vom
ersten Künstler seiner Zeit, von Schinkel, entworfen.

Hochachtungsvoll
ergebenst
Gaul, Lederer, Klimsch, Kraus, L. Cauer.

Der Oberbürgermeister

Berlin, den 2. Oktober 191 5
Ew. Hochwohlgeboren
und Ihrer Herren Mitunterzeichner Schreiben vom 1. die-
ses Monats habe ich zu empfangen die Ehre gehabt. Ich
erkenne danach auch meinerseits, dass unsere Anschau-
ungen weit auseinandergehen. Wie sehr dies der Fall

Die

So*

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