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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 17.1919

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Heft 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.4754#0484

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die herrlichen Götterhymnen, Gebete und Zaubersprüche
folgen und die grossen Mythen der geflügelten Sonne,
des Re und der Isis, der Himmelskuh und der Götter-
könige Schow und Geb. Die Götter, die wir wohl in
ihrer granitnen Erhabenheit thronen sehen, sind hier
Handelnde und Leidende, Erzürnte und Segenspendende.
Wir erfahren das Walten und die Beschlüsse der zur Gott-
heit erhobenen Tiergewalten, des menschengestalteten
Gottes mit dem Widderhaupt, die Verehrung des ibis-
köpfigen Thot, des „Stieres unter den Sternen, des
Mondes, der am Himmel ist", und die Käserei der
Sechmer, die ein Löwenhaupt auf dem Frauenleibe tragt.
Wir hören von der Prozession des geschmückten Gottes
bei den Osirismysterien, die im Gau von Thinis statt-
fanden, und von Ptah, dem Gewaltigen, „der das Herz
und die Zunge der Götterneunheit ist".

Die Totenliteratur nimmt — entsprechend ihrer
Bedeutung für den ägyptischen Glauben — einen grossen
Teil des Buches ein: Beispiele aus den Pyramidentexten
mit ihrer kühnen Bildkraft, Inschriften von Sargwänden
und die vielfach dunklen, uralten Totensprüche, die
seit der achtzehnten Dynastie zum „Totenbuch" ver-
einigt wurden. Das Ritual der Einbalsamierung schliesst
die Auslese. Sorgfältige Register ermöglichen eine
bequeme Orientierung. Die Sammlung religiöser, gleich-
zeitig dichterischer Dokumente ist ein vortreffliches
Hilfsmittel zum Eindringen in den Geist der ägyptischen
Kunstwerke, die zum grossen Teile dem Kultus dien-
ten.

Auf eine andere Sammlung authentischer Zeug-
nisse aus dem späteren Ägypten möchte ich in diesem
Zusammenhang hinweisen. Das Buch von W. Schubart:
„Ein Jahrtausend am Nil" - - Weidmannsche Buch-
handlung 191 2 — umfasst 100 Briefe aus der Zeit, in
der die ägyptische sich mit der griechischen Weltkultur
vermischte. In Ägypten in griechischer Sprache ge-
schrieben, spiegeln sie im kleinsten, durch keine Rück-
sicht verfälschten Ausschnitt politische, gesellschaftliche
und familiäre Beziehungen des hellenisierten Ägyptens
unter den Ptolemäern, des römischen und christlichen
Ägyptens bis in das siebente Jahrhundert hinein. Mehr
als die Hälfte des fesselnden Büchleins nimmt eine
vortreffliche Einleitung des Übersetzers ein: ein kurzer
Abriss der - Geschichte, Staatsordnung, Bevölkerungs-
und Sprachenverhältnisse und der allgemeinen Bildung
jener Perioden. Unter vielfältigen Verfügungen der
Herrscher, amtlichen und Geschäftsbriefen, Privat-
schreiben mit ihren Anliegen, Sorgen und intimen Be-
richten traf der Verfasser eine glückliche Auswahl;
Anmerkungen zu jedem Brief erleichtern das Verständnis
des Einzelnen. Beim Durchblättern verweilen wir bei
demNotschrei eines Bauern aus Kerkesephis im südlichen
Fayum an den Bauern Marres: „Wisse, dass unser flaches
Land überflutet worden ist, und wir haben nichts, nicht
einmal die Nahrung für unser Vieh. Du wirst also gut
tun, erstens den Göttern zu danken, und zweitens viele

Leben zu erhalten, indem du mir bei deinem Dorfe für
unsere Nahrung fünf Aruren Landes suchst, damit wir
davon unsere Nahrung haben. Wenn du das tust, wirst
du mir für alle Zeit eine Gunst erwiesen haben. Bleib
gesund." (2. Jahrhundert v. Chr.) Die Mutter schreibt:
(5. Jahrhundert n. Chr.) „Die Mutter ihrem Sohne
Ägelochos Freude. Zu später Stunde kam ich zu dem
Veteranen Serapion, um nach deinem Befinden und dem
deiner Kinder zu fragen; und er sagte mir, du littest
am Fuss von einem Splitter, und ich machte mir Sorge,
du wärest recht ernstlich krank. Und als ich zu Sera-
pion sagte: ,Ich gehe mit dir fort', sagte er mir: ,hält
dich nichts Wichtiges zurück? wenn du dir bewusst
bist, dass dich etwas zurückhält, so schreibe mir, und
ich gehe hinab; ich mache den Weg mit dem ersten
besten, den ich finde.' Vergiss es also nicht, mein
Kind, schreibe mir von deinem Befinden, denn du kennst
die Besorgnis um ein Kind." Tafeln mit Landschafts-
bildern aus Ägypten und kleine den Text illustrierende
Abbildungen sind erfreuliche Beigaben. — Seit 1914
veröffentlichte W. Wreszinski in den ersten fünf
Lieferungen seines „Atlas zur altägyptischen Kultur-
geschichte" —J.C.Hinrich'sche Buchhandlung — reiches,
hauptsächlich aus eigenen photographischen Aufnahmen
bestehendes Material zur Kenntnis der profanen und
religiösen Kultur der Ägypter: Unverfälschte Bild-
berichte für den Historiker, Ausschnitte für den Archäo-
logen; für den Kunstbetrachter eine Reihe anmutiger
Reliefs und Fresken, zumal aus den thebanischen
Gräbern der achtzehnten Dynastie. Den Rhythmus
solcher Frieskompositionen zeigen einige Gesamt-
aufnahmen von Grabwänden; die Figuren und Geräte
dieser Szenen werden durch kleine Textabbildungen
entsprechender Statuetten und Gegenstände oft glück-
lich erläutert. Erklärungen und Literaturnachweise sind
jeder Tafel beigefügt. Die vorliegenden 100 Tafeln
sind vielseitig anregend: Vogelfang und Fischstechen
im Papyrusdickicht, in Gesellschaft von Frauen und
Mädchen im zierlichen, aus Papyrusstengeln zusammen-
gebundenenNachen,dessenEndensichzuBlüten formen.
Auf einer anderen Tafel in teppichhaft ausgebreiteter
Ansicht einer jener prächtigen ägyptischen Gärten mit
dem niemals fehlenden Teich in der Mitte, von dichtem
Gesträuch umgeben, und den Reihen der Sykomoren,
Dattelpalmen und Dumpalmen. Wir sehen Königskolosse
unter den Händen ihrer Bildhauer entstehen. Männer
und Frauen beim Fest, von nackten jungen Dienerinnen
mitBlumen geschmückt undbedient;anmutigeMusikan-
tinnen mit Harfe, Laute und Tamburin, Taktschläger-
innen, ein lieblicher Wechsel von sitzenden, stehenden,
sich neigenden, blumenhaften Mädchenkörpern. Weiter-
hin eine feierliche Opferszene vor der Grabstelle; die
meisterhafte Bildkomposition der Klagefrauen aus dem
Grab des Ramose, der unter Amenophis IV. lebte;
Ernteszenen, Handwerker aller Arten bei ihrer Tätig-
keit. Von Arbeit und Spielen — von Festen und vom

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