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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 2.1922

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Heft 1 (Januar 1922)
DOI article:
Müller, Alexander: Rhythmisches Gestalten
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Dietl, Johann Baptist: Umgestaltung des Zeichnens: eine Kulturaufgabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.21684#0008

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127

Er ist den Kinderil durch Ausübung kn seinen
verschiedenen Formen durchaus verständlich.

Ekn Hinblick auf die Musik linterstl'rtzt diese
Erkenntnis.

Die Bewegungen des Taktstockes, die der Musik-
dirigent ausführtz mit Kreide niedergeschrieben, stellen
einen graphisch verständlichcn Nhythmus dar: ruhig/
bestimmt, feierlich, schwankend, bewegt, stürmisch,
leidenschastlich, zerbrechend.

——

Die graphische Linie bildet somit einen Ausdruck
für jedes Gefühk der menschlichen Seele.

Der Rhythmus ist daher etne fedem Menfchen
verständliche Sprache.

Den graphkschen Rhythmus zu gebrauchen, wie
den der Musik, bedeutet daher ein Zurückgehen zum
Wesentlichen, eine Sprache auf allgemeinver-
ständlkcher Basks.

Der Zeichenunterricht befaßt sich mit dem Rhyth-
mus der Lknie, Fläche und Farbe.

Dies ist selbstverständlich ein weiter Weg und
umfaßt den Unterricht der ganzen Schulzeit.

Der gesamte bildende Kunstunterricht wird stets ein
Auseinandersetzen mit diesen problemen sein, welche
weiter-m Aufgaben dabei auch gestellt sein mögen.

Bei diesen Arbeiten wird den Schülern aber
durchaus klar, daß sie jedem Gefühl ihrer Seele
bildliche Ausdrücke verleihen können.

Die zwiespältkgsten und abgestustesten Empfin-
dungen finden in den Nhythmen der Formen und
Farben der Schülerarbeiten ofi ungewollten Nieder-
schlag.

So zeigt sich die klare Sprache der Empfindung
darin, daß gestellte Aufgaben, dke dem Gemütszu-
stand der Schüler nicht entsprechen, nur von wenigen
gelöst werden.



So z. B. Mollstimmungen von Knaben im 1Z.
und 1-j. Iahre, die dagegen Durstimmungen von
ciner Einfachheit und Bestimmthekt schufen, die
Erwachsenen nicht mehr möglich ist.

Die einzige Aufgabe, die eine Mollstimmung in
den Iungen erzeugt, war die der Trauer, des Todes.

Diese Arbeiten waren durchweg tief empfunden.
Im übrigen herrschte die Freude, die §ust bis zum
Nbermut, und Symphonien von wechselnder Tonart
vor, wie wir sie auch in der Musik beobachtcn können.

Es gibt wohl keine bessere Möglichkeit, die Schüler
in ihrer persönlichkeit kennen zu lernen, als in
dkesen Arbeiten.

Wer die Sprache dieser Arbeiten zu lesen ver-
steht, fchaut in ernste und heitere, bestimmte und
provlematische Kinderseelen. —

Zur Unterstützung meiner Ausführungen mögen
jetzt eknige musikalische Erläuterungen dkenen, bei
welchen rhythmische Farb- und Formübungen direkt
in Musik übertragen werden.

Es kann sich bei diesem Gestalten nicht um
Formen hanöeln von irgendwelcher bleibenden Gültig-
keit, deshalb nicht die Frage, was weiter? — was
morgen? — nächstes Iahr? — oder in Iahren? —

Hker ist ein Grundgesetz und hier wirken rings
um uns Möglichkeiten, deren Grenzen uns ver-
schloffen sind.

Wir können nichts weiter tun, als darauf achten,
daß wir uns nicht vom lebendigen Sein weg an
das tote Gewordene verlieren oder gar Kinder,
junges, hefiig bewegtes Leben in eine tote Form
zwingen wollen.

Es ist ein Neichtum unseres Daseins, daß der
Nhythmus des Lebens unsere Borfahren und unsere
Kknder zu anderen Formen führte und führen wird,
als wir sie gefunden haben.

Alexander Müller, Lkchtenberg.

Umgestaltung des Zeichnens eine Kulturaufgabe

Lektwork: Glücklkcherweise sind unsere ekgenen
Ansichten zugleich dkejenigen zahl-
rcicher Zektgenoffen. Man steht nkcht
allein, wenn man dke tradktkonelle
pädagogkk bekämpst. Noorda

Kulturaufgabe ist Hebung des Menfchentums
durch Freimachung und harmonische Entwicklung
aller Kräfte und Fähigkeiten der menschlichen Seele,-
was nicht darauf abzielt, kann nur mit dem ge-
sellschastlichcn Gleichklang in tausend Wünschen der
behäbigen Maffe nach wohllebcndem Behagen zu-
sammenhängen.

Sie hat einzusetzen bei der Möglichkeit, innerstes
Wesen der kerngesunden, gedkegensten Gattungs-

vertreter des Menschen Zu entfalten und das ganze
Menschheitsdasein damit zu durchtränken.

Die gedanklichen Folgerungen aus diesem Satze
wage ich nicht auszusprechen, dcnn alles Bürger-
liche, Gleichmäßige, Wohlgeordnete würde dabei in
Mitleidenschaft gezogen.

Mkt unseren Lehrplänen und Schulen geteilt kn
Humanisten, Nealisten usw., gestaffelt nach Alters-
klassen und elterlichen Finanzen, kommen aber unsere
Lehrer niemals an dieses hohe, höchste Ziel der
Menschheit heran. 2st es notwendig, diese Be-
hauptung zu beweisen? 2st es notwendig darzutun,
daß unsere Erziehung einem träge dahinschleichenden
Bächlein gleicht, statt dem Gießbach, der in seinem
 
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