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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 2.1922

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Heft 5 (November 1922)
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Buchholz, Robert: Die einseitig Begabten
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https://doi.org/10.11588/diglit.21684#0097

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212

Die einseitig Begabten

Wie manches mal habe kch als Kmd bitterlkch
geweint, wenn ich meine Aufgaben im Kopfrechnen
nicht lösen konnte! Ich war nicht einmal imftande,
eine zweistellige Zahl mit ekner dreiftelligen im Kopfe
zu multiplkzieren, weil kch totsicher die Anfangs-
resultate vergessen hatte, wenn ich am Ende angelangt
war. Ni'cht anders erging es mir mit den Geschichts-
zahlen. Sie waren sür mich etwas Wesenloses, das
man nkcht fassen, nur mechanisch bebalken konnte.
Und für Zahlen versagte mein Gedächtnis. Dle
Meinen hkelten mich für dumm und klagten, daß
ich ihnen bei öffentlichen prüfungen, die kn mekner
gugendzeit regelmäßig zu Ostern stattfanden, Schande
mache. 2ch saß mtt rotem Kopf da und schamte
mlch. Dabek fehlte es mkr durchaus nicht an Denk-
krast, an Logik. Ich löste selbst schwere Aufgaben
im Rechnen, sobald mkr Papier zur Verfügung stand.
Ich wußte das Tatsächlicbe in Geschichte besser als
meine Mitschüler und stellte durch diesen Umstand
mein Ansehen wieder her. Aber trotzdem lastete ln
der Iugend dieser Druck, kein Gedächtnis für die
Zahl zu haben, schwer auf mlr.

Ich schrieb gute Aufsätze, ja ihre Herstellung be-
reitete mkr wirklich Freude. Ich lebte in der Geo-
graphiestunde während des Vortrages meiner Lehrer
ln den fremden Ländern, dke sich kn Bildern vor
meinen inneren Sinnen aufbauten. Daher brauchte
kch auch nur bei Wiederholungen von den geiftkgen
Bildern abzulesen, was ich dort verzeichnet fand,
um ohne Buch für den Unterricht präparkert zu sein.
Dagegen versagte ich völlig im Reiche der Zahl,
und beim Aufsagen der Geschkchtszahlen verkroch
ich mich so weit hinter dem Nücken meines Vorder-
manns, als es nur möglkch war. Dem Kopfrechnen
sah ich mit der größten Angst entgegen, dagegen
waren die Sinnen- und Beobachtungsfächer, Vatur-
geschichte und Zeichnen meine Lieblknge. Es ist das
Trauerspkel des einseitig Beanlagten, welches ich
soeben geschildert habe. 2ch habe es !n meiner
Iugendzelt zur Genüge kennen gelernt.

Boch heute wache ich ost auf, schweißgebadet, kch
träume von prüfungen und Zahlenrcihen,- trotzdem
jene Zeiten, in denen ich geprüst wurde, weit hinter
mir lkegen. Merkwürdigerweise beschästigen stch mekne
Träume nke mkt den späteren Fachstudien und dem
schweren Facheramen, immer nur sind es Schul-
szenen des jugendlichen ^llters. Dke damals erlebte
Angst muß sich doch recht tkef in das junge Gehkrn
eingegraben haben. Wke kommt es nun, daß von
der Arbeit und den Sorgen für das gewiß schwlerige
Fachepamen nichts in den Traumerscheknungcn wkeder-
kehrt, daß dagegen sich die Zekten, welche man auf

den höheren Schulen verbrachte, so quälende Spuren
hknterlassen haben? Dke Arbeit selbst kann nkcht
schuld daran sekn. Man arbeitet für seinen späkeren
Beruf weit intensiver als in seinem 1?. bis 20.
Lebensjahre. Nein, die Sorge wird hervorgerufen
durch das Vielerlei des Unterrichts. Man soll Dinge
bewälkigen, auf die dke Natur nicht eingestellt ist.
Man wird nach einem Bormalplane unterrichtet,
aber leider hat Gott dke entsprechenden Normal-
menscken zu dkesem plane nicht erschaffen. „Blemand
begreift etwas, als was ihm gemäß ift", sagt Goethe.
»Bur diejenigen Bildungsgüter wirken auf den
zu bildenden Menschen, die sekner Seelengestalt,
seiner Art und Beanlagung angepaßt sknd", schreibt
Dr. Karl Reinhardt in seinem Buche von der »Neu-
gestaltung des deutschen Schulwesens."

prüfen wir die normal beanlagten Iünglinge auf
ihre geistkgen Fähkgkeiten Hin, so trennen stch zunächst
deutlkch zwei Gruppen voneinander. Wir wollen
diese Gruppen benennen mit Namen, die wir alle
verehren, nnd scheiden die Schüler und später im
Leben dke Menschen in G o e t h e naturen und in
Kantnaturen. Diese Scheidung ist selbstverständlich
nicht in völlkger Neinheit möglich,- denn von der
einen Sekte zur andern stnd überall Brücken ge-
schlagen. Dke Kantnaturen haben es bisher auf den
höheren Schulen am besten gehabt, ste kamen glatt
durch die Fährniffe hindurch, während es den Goethe-
naturen schon schwerer wurde. Doch bewältigten
beide Arten von Schülern mit mchr oder wenkger
Freudigkeit die Aufgaben der Schule und leisteten
entweder auf mathematisch-naturwiffenschastlichem
Gcbkete oder dem sprachlich-geschkchtlichen so viel.
daß ein Ausgleich für dke Schwächen auf der einen
oder anderen Seite vorhanden war. Dle höhere
Schule kst heute so wekt, daß sie auf dke Goethe-
und Kantnaturen unter den Schülern Nücksicht nimmt.
Ske arbeitet auf die Bewegungsfreiheit der Schüler
in den oberen Klassen hin und will ihnen die Wahl
lassen, sich für die mathematisch-naturwissenschastliche
oder die sprachlich-geschichtliche Seite zu entscheiden.
So braucht der für Mathematik beanlagte Schüler
nur in seinem Fache etwas Besonderes zu leisten,
um ein Manko auf der sprachlichen Seite, welches
ihn sonst unweigerlkch zu Fall gebracht hätte, aus-
zugleichen. Damit hat sich die Schule ln lobens-
werter Weise dkesen beiden Schülernaturen angepaßt.

Aber es gibt noch ekne dritte Schülerqualikät,
dke noch heute abseits stehen muß, weil dke höheren
Schulen ihnen dke Lebensbedingungen versagten und
für die einzutreten der Zweck dieser Zeilen ist. Ich
erwähntc berekts ekn Werk des Wirklichen Geh.
 
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