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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 2.1922

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Heft 4 (September 1922)
DOI Artikel:
Krüger, Anna: Die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung des Werkunterrichts für die höheren weiblichen Bildungsanstalten
DOI Artikel:
Wolfer, Marta: Über das Formen mit Kindern
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https://doi.org/10.11588/diglit.21684#0084

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200

F o r d e r u,i g.

1. Da wir m dem WerkunterrichL kulturelle und
wirtschastliche Werte für die Bildung unserer weib-
lichen 2ugend erkannt haben, bitten wlr, den Werk-
unterricht als obligatorisches Fach mit zwei Wochen-
stunden in der Mittel- und Oberstufe aller weib-
lichen Bildungsanstalten neben dem Zeichnen ein-
führen zu wollen. ,

2. Es sind Mittel bereit zu stellen, um auch
äutzerlich einwandfreie Arbeiten zu erzkelen.

Z. Wir wünschen aus künstlerischen und päda-
gogischen Nücksichten^ daß der Werkunterricht mög-
lichst in die tzände der Zeichenlehrerin gelegt wird.
Es sind zu diesem Zweck genügende Gelegenheiten
zu ihrer Aus- und Weiterbildung zu schaffen.

Uber das Formen mit Kindern


Was wir übermitteln können unseren Kindern, was
in ihnen an Kräften auslösen, wenn wir mit ihnen for-
men, darüber soll hier einigcs gesagt werden. — Wenn
Kknder ihren knneren Formenreichtum/ den sie anfangs
noch unbewußt in stch tragen, und auch durch Auf-
nehmen vermehren, wenn ste den einmal herauslassen,
offenbaren, kundgeben nach außen, so tun fie dkes oft so,
Vaß ste nur den Umriß, dke üinie von dem geben, was
ste heraussetzen wollen aus flch. — Es ist oft schwer,
dem Kind von dem bloßen Strich weiterzuhelfen zur
Fläche, es dahkn zu bringen/ daß es auch Flächen sieht
und sich in Flächen kundtun kann. Dies oersuchen wir
durch Papierschnttt, durch Farbenerleben überhaupt. Da
beachten wkr nicht nur Linienführungen, dte wir z. B.
herausschneiden, da rechnen wir auch mkt den Flächen-
teilen, die stehen bleibcn — mit der Art des Anekn-
andergrenzens der verschiedensten Farbflächen. Dkes alles
jedoch verläuft immer nur in zwei Ausdehnungen — nach
Höhe unv Breite. — Betm Formen in Lehm, da geht es
oiel weiter, da kommt noch Eiefe oder Dkcke dazu,- da
wird die Geschichte handgreiflich. Beim Modellleren han-
delt es sich umS Tasten, ums Abtasten der Dlnge. —
Das kletne Kind versucht so bald als möglich stch durch
Abtasten der Dinge zu orientieren. Es taslet fast mit
seinem ganzen Körperchen. Muß es sich doch zugleich
nach so oielen Nichtungen zurechtstnden — so vkele puffe
und Stöße aushalten und so vkele Fallstrkcke überwtnden
— — doch dadurch wird Vas Kind auch langsam bewußter.
Es lernt im Raum ausweichen, stch zurecht finden. Und
eines Tages, da richtet es stch aus seiner kriechenden
Tierstellung auf zur senkrechten Menschenstellung. Der
Mensch, Vas ist ^Ver AufrechtgehenSe"! — Der Tastsinn
des Kindes, der erst mehr in den Glievchen stch bekundet,
der geht viel feiner, bewußter und welter in den Augen
vor stch. Unsere Augen, die tasten gleichsam die Dlnge
ab. Unsere Sehkraft saugt dke Linie, die Farbe, dke Form
der Dinge in sich auf. Dieses alles wird durch einen
wunderbaren Borgang in unser Innerstes eingebettet.
Darum ist es wesentlich, welche Formengebilde eln wer-
dendes Kindchen mit seinen tzändchen und Augen abtasket,-
denn die Ergebnisse dieses Tastens lagern sich wke ein
Extrakt im Gehirne des Kindes ein und helfen damlt
am Aufbau, oder sie hemmen. — Wenn wir nun daran-
gehen, dkese, mkt den Augen abgetasteten Formen Ver
Außenwelt, dke !n uns wie Bilder stehen können, wieder
aus uns herauszugeben, nachzuformen, da werden wtr
gewahr, daß es sich dabei in erster Linie darum hanvelt,
das Wesentlkche der jeweiligen Form zu stnden, zu
wissen. Da können wkr erleben, daß wir dos, was unser
Auge mit elnem Blick umfaßt, umspannt, abkastet und
nach innen wirft, selten bewußt erfaffen und das meiste
gar nicht oder nur sehr mangelhast wkedergeben. Diese
Erlebnisse sind wertooll, denn sie sagen uns unverblümt,
!n welcher Weise wir Vie Außenwelt in unser Inneres

aufnehmen und wie vkel und wie wenig wir dazu
over davon tun durch unsere Wesensart. Unbeholfenheit
der Hande und Ungeschick, dke durch Ubung überwunden
werden, lernt jeder bald selbst zu unterscheiden von
tnnerem Formenmangel oder Formenreichtum. Höchste
Aktivität im Beobachten kann knnere Formenarmut auf-
heben. Wer aber glaubt, inneren Mangel mkt hand-
werksmäßkger Fingerfertigkett verdecken zu können, wkrd
gar bald dke bktteren Nüsse der Selbsttäuschung knacken
müffen. Dke innere Fülle eines überwältkgenden Erleb-
nisses, das einen Menschen zur offenbarenden Gestaltung
drängt, die wkrd alle Hemmnisse durchbrechen und den
Menschen die besten Mittel finden lassen, Vte geeignet
sind, das zu künden, was sie nun offcnsichtlich allen sagen
sollen.

All Vie unzählbaren Formgebilde, dke das Kkndchen
bestürmen, sind in seinem Onnern oft wie ekn bedrängen-
Ver Vulkan, der ungeklärt da innen brodelt. Bemüht
sich ein Kindchen frühe um Formenklarheit, lndem es ver-
sucht, sie aus sich herauszubringen zur Anschauung, zum
bewußten Betrachten, so verliert sich all dies Bedrängende.
Nur das Unbekannte macht uns Furcht und Angst —
wenn wtr es kennen, nehmen wir es in die Hand und
stellen alles Falsche richttg. Das Kind fühlt sich wie be-
freit, wenn das Lhaos kn seknem Innern durchs Formen
Klärung erfährt. — Anfangs isk sekne Formkunst ein be-
ständiges Hin und Her. Kaum haben dte Fingerchen
etwas geformt, so ist's auch schon wieder zu nkchte gemacht.
Nach längerem Mühen findet es die runde Kugelform
und wälzt diese mit Ausdauer und Wlllen kn selnen
Händen. Langsam entstehen auch andere Formen und
schließlich auch GebilVe, von denen meist nur das Kind
weiß, was ste bedeuten. Darnach zu sragen tst unnütz.
Es genügt voll und ganz, an dkesem gewaltigen Schaffen
mkt teilzunehmen. Dkes geschieht am besten, indem man
ganz still für sich auch etwas formt, so daß das Kind
empfindet: „Es ist wichtkg, was kch tue,- dke Großen
machen's auch^. — Und wenn es stch durch Tage unv
Wochen gemüht hat, kommt es eines Tages ganz lekse
mit einer ganz klaren Form und sagt fast zaghaft: „das kst
ein Schüffele' oder z. B. „das ist ein Körble". — —
Wie wenige Menschen haben eine Ahnung davon, was
da das Kind alles überwunven hat und was es alleS
ganz neu erschloffen hat in stch, bis es die etgene Augen-
auffaffung nun durch seln ganzes Wesen tretben konnte,
hinaus bks kn dke zarten Ftngerspitzen unv dkese dann
darangehen, aus eknem ganz anderen Stoff, der gar nicht
zum Kinde gehört, diese knnere Form nach außen zu
prägen, so, Vaß es vor sich steht, was ihm innen leben-
dig lebt. Das Kind erfühlt !n sich ekne schaffende Kraft,
mittels Ver es flch selbst mit dcr Außenwelt, mit den
Dingen verbinden kann. — Es kann sich in Beziehungen
sehen. Es ist nimmer allein. Es ist nicht in lähmender
Untätkgkeit der Langcweile ausgeliefert. Es weiß eineu
 
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