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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 2.1922

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Heft 4 (September 1922)
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Henselmann, G.: Über Kinderzeichnungen
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Mueller, A.: Der Zeichenunterricht - Gestaltender Kunstunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.21684#0074

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erzogcn zu werden,- dazu aber kann auch der fanaenen, Kunst zu erkennen, öie Fähigkeit des
Schwachbegabte gebracht werdcn, daß er Achtung gcistlgen Erlebcns auszubauen zur Bildung einer
und Ehrfurcht vor dem Kunstwerk hat. Den andern Gesinnung, eines künstlerischen Weltbildes.
aber ist der Weg gewiesen, ooll von dem Emp- G. Henselmann, Säckingen.

Der Zeichmunterricht — Gestaltender Kunstunterricht

Von A. Müller, Lichtenberg
(Äestältcnder Kunstunterricht)

Vortraaauf der 1. Hauptversammlnng des Neichsverbandes akad. Zeichenlehrer in Berlin. (Siehe dazu die Leitsatze.)

Alle bisherigen Ausführungen über Zeichen-
wissenfchast ließen in mir dke Frage entstehen:
welchem großen Ziel der Erziehung sollen diese
oft bis in Einzelheiten zerlegten Forderungen dicnen?
Damit kommen wir glekch zu der weiteren prinzk-
pkellen Frage nach dem Ziel menschlicher Erziehung
überhaupt. Das Zkel jeder Erzkehung kann nur
eine allgemeine Menschbildung sein, d. h. die Ent-
wicklung aller von der Natur in uns gelegten, auf-
bauenden Kräste. Um diese zu pflegen, dürfen wir
nicht hierauf zu den Höhen der Vollendung sehen,
sondern müssen zu den Wurzeln des Lebens herab-
steigen. „Wurzeln der Kultur müssen wir pflegen"
(Eagore). Bur hierum kann es sich bei jeder Er-
ziehung handeln und nur wenn diese Aufgabe ge-
wissenhaft und gründlich gelöst wird, kann die
Menschheitspflanze sich gesund entfalten.

Aus dieser Erziehungsaufgabe der Schule ergibt
sich auch ihre Stellung zu dem, was wir heut-
zutage unter Beruf verstehen. Niemals kann es
ihre Aufgabe sein, irgendeine Berufsvorbildung zu
treiben. Wollte die Schule die Möglkchkeit einer
Berufsvorbildung bieten, so müßte sie dies für alle
Berufe tun und ihre Arbeit müßte in ungeheurer
Breite verflachen. Ebenso unsinnkg ist cs, einzelne
Berufe zu bevorzugen und durch einseitige Aus-
bildung einzelner menschlicher Fähigkeiten, andere
in der Entwicklung zu hemmen oder gar zu unter-
drücken. Das Ziel der Schule kann nur die
Entfaltung des ganzen Menschen sein und
der einzige Beruf, auf den ske ihr Auge
richten kann, istderBeruf, derdemMcnschen
von der Batur gegeben ward, nämlich: die
»Schöpferische Arbeit". »llber sich hinaus
schaffen, das will Euer Selbst am liebsten, das ist
seine ganze Inbrunst (Zarathustra). Diese Arbeit
ist des Menschen Leben, Ziel und seine ganze Welt.
Niemals darf er von dkeser Arbekt getrennt werden.
Eine Trennung von ihr führt zu dem unendlichen
Elend, öas sich vor unseren Augen immer mehr
ausbreitet. Ein matcrialistischer Zweckwert tötet des
Menschen natürlichen Beruf, ekn ganz kleiner, will-
kürlich angenommener Zweck nkmmt ihm den großen
Zweck seknes persönlichen Dafeins. „Der beständige.

ungeheure, mechanische Druck des Leblosen auf das
Lebendige ist es, worunter die heutige Welt stöhnt"
(Tagore). Die Schule beginge unsagbare Frevel,
wenn sie, der das Leben in frischester und doch
zartester Form anvertraut wird, sich an diesem
Druck des Leblosen beteiligen wollte. Darum
kann ihr Weg nur sein, fort von allem Mechanis-
mus und hin zu schaffender Arbeit als Ouelle der
Lebensfreude. —

Die Stellung eines Unterrichts, der sich mit Zeich-
nen befaßt, wird bezeichnet durch die Fä'higkeiten, dke
durch ihn ausgelöst werden. Zeichnen ist zunächst
Gestalten. Darum muß das Gestalten als Wurzel
dcs Zeichenunterrichts anerkannt und gepflegt werden.

Der Gestaltungstrieb ist des Menschen stärkster
Helfer bei seiner Arbeit. Alles menschliche Werk,
jedes alltägliche Ding trägt eine Form, die den
Geisteszustand des Schaffenden ausspricht. Seien
diese Werke nun eine Kathedrale von Cordova oder
ein Tempel von Masura, ein Fidibusbecher der
Biedermeierzeit oder eine Schnellzugslokomotive,
aus ihren Formen lesen wir den Geist der Schöpfer
und schätzen wir dke Höhe ihrer Kultur ein. Feder
Mensch hat die Fähigkeit, diese Formensprache in
sich aufzunehmen, ticfer und intenfiver als mit dem
Verstand durch das Gefühl. Das Kunstgefühl ist
eine jedem Menschen angeborene Fähkgkeit von
weittragcnder Bedeutung. Es ist neben dem Kampf
ums Dasein der zweite Herrscher im menschlichen
Leben. Sobald Ernährung und Unterkunst sicher
gestellt sind, geht der Mensch daran seknem Kunst-
gefühl Genüge zu tun, sci er nun ein Bauer, der
seinen Hausrat verziert oder ein Schicber, der sich
eine sogenannte „antike" Wohnungseinrichtung kauft.
Der Trieb zur künstlerischen Form ist km Menschen
so stark, daß er damit seine Welt erfüllt. Alle
Freude, jede Feier, unser Wohnen, Kleiden, unsere
Sitten erhalten hierdurch ihre Gepräge.

Ekner Formenänderung muß einer Gefühls-
änderung vorausgehen. Eine Formenänderung
ohne innere Botwendkgkeit ist unmöglich. — Das
menschliche Gefühl kann auf eine Bcrstandesform
antworten, nicht aber umgekchrt, der Verstand auf
das Gefühl, weil cr es nicht erfassen kann. Eine
 
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