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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 2.1922

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Heft 2 (März 1922)
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Hartlaub, Gustav Friedrich: Der Genius im Kinde, [1]
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Dietl, Johann Baptist: Umgestaltung des Zeichnens, [2]: eine Kulturaufgabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.21684#0034

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152

Eine anderc Frage, die unZ in dresem Kapitel
gewiß angeht, ist die Wirkung eines solchen Ver-
haltens auf die Kinder selbst. Es schadet gewiß
nichts, daß man die Kinder in ihrem, die Wirklich-
keit abwehrenden Spiel befestigt und stärkt, daf, man
sie fühlen lätzt, wie ein Genirrs sie leitet und hütct
rn ihrem Sagen, Bilden und Tun, rhrem Spielen
und Träumen. Aber durch die ästhetische Bewertung,
welche der Erwachsene dem ohne künstlerische Ab-
sicht entstandenen Kinderwerk an sich mit Recht ent-
gegenbringen darf, kann auch umgekehrt für fruh-
reife Kinder der Anreiz entstehen, in ihrem Bilden
den Kreis des Spiels zu verlassen und vorzeitig
zu versuchen, dem Erwachsenen »vorzuspielen", den
Nbergang zur Kunst treibhausartig zu beschleunigen.
Dies würde nkcht dke Hebung, sondern km Gegen-
teil dke Entwurzelung des Kindes km Kknde bedeuten.

Wir ge>tehcn, datz wir gegen diese letzte Zwangs-
läufigkeit, in den der eirculus vitiosus moderner
Bewußtheit uns zu reißen droht, kein allgemein an-
zuweisendes Heilmittel wiffen. Dke Lösung muß jeder
einzelne suchen, der das Glück und Unglück hat, ein
Kind ;u erleben, hinter dem der Genius stchtbarlich
steht. Herjönlicher Takt muß zwischen Zuernstnehmen
rmd ironischer Unterschähung vermitteln, persönlicher
Takt muß den Weg weisen, wie man selber ein
jtiller Lernender bleiben kann vor dem Kinde und
doch sekn Lehrer. Vielleicht ist Humor, der das
Schwere leicht macht und das Leichte schwer, der
ttefsinnig „einzugehcn" weiß und doch km Lächeln
sich vor Selbstaufgabe bewahrt, diejenkge seelische
Haltung, welche das Ktnd am ehesten von uns Er-
wachsenen erwartet. Zu Humor aber und seinem
erlösenden Takt führt nur Lkebe denunfehlbarenWeg."


Umgestaltung des Zeichnens eme Kulturaufgabe

2. B. Dietl, Münnerstadt.

(Fortsehung.)

Dies ist nur eine kleine Arislese, die unendlich
fortgesetzt werden kann und uns vor Augen führt,
wke unzufrieden alles ist mit dem Ergebnis unserer
Schulen, unserer Kunsterzkehung, dem Zeichenunter-
richt lm besonveren als einer Grundlage des Wirt-
schaftslebens. Man möchte fast fragen: Weiß das
Zeichnen was es will?

Man empfindet überall ständlg und deut-
lich und ist überzeugt davon, daß es seine
Kulturaufgabe nicht erfüllt.

8. ^Heute gilt es, der Welt klar zu machen, daß
das Zeichnen wirklich die großartigste Kraft-
quelle für das ganze Wirtschaftsleben isk, daß
ohne das Zeichnen die Welt um Tausende
von Iahren kn der Cntwicklung zurück wäre."

Feder Einsichtkge muß mit Krkeger verlangen:
„Engste Anpassung des gesamten Schulwesens an
das Wirtschaftsleben." Aber nicht nur das allein,
also nicht nur Anpassung an die Forderungen des
herrschenden merkantilen Fntellektualismus hat noch
mehr wie bisher platz zu greifen, sondern die
Grundlage ist zu schaffen für schöpferksche
Möglichkeiten der sogenannten Kulturmenfchheit,
die gestattet, darauf aufbauend zu einer neuen Zeit,
zu ekner neucn Kunst, zu eknem einträchtigen „Sich-
verstehen" zu gelangen, das eine Einheit im
Fühlen und Schaffen erkennen läßt.

Zst also Sehnsucht nach einer Umformung vor-
handen und ebenso Ursachen gewichtkger Vatur, die
dazu treiben, dann ist ebenso wahrscheknlkch, daß

8) K. Kn'eger.Zeichnen und Dolkswirtschaft", Verlag
Natur und Kultur, München.

die wirkenden Kräfte ständig wachsen, bis das alte
Erzkehungsideal und jede damit zusammenhängende,
so oft beklagte Unkultur fällt.

Leitsatz für unsere kommende Erziehung darf
nkcht sein, durch krgend eine Tätigkeit und den dar-
aus entspringenden Erwerb Rentner zu werden
und das bürgerlkche Behagen in vollen Zügen zu
schlürfen, sondern es ist anzustreben, die im
jungen Menschen ruhenden Trkebe, das
durch Tausende von Jahren im Menschen
angesammelte seelische Menschheitskapital
so zu verwerten, daß jeder zum Bewußtsekn
ekner Tätigkeit kommt, die khm volle Be-
friedigung gibt, weil er skch kraft sekner
Triebe und Fähigkeiten, infolge eines
inneren Zwanges, einer natürlichen Füh-
rung, eines unpersönlichen Willens dazu
berufen fühlt.

Dieses sicher schon oft erkannte Ziel steht jetzt,
nachdem sich der Pulverdampf verzogen und die
vergiftete Atmosphäre sich aufklart, hell vor vielen
forschenden Augen.

Aber Schritte zum Ziel! Taten, es zu erreichen,
unserer Kulturaufgabe, unserer Menschheitsnatur
gerecht zu werden! »Die Aufgabe der Schule
'besteht darin, den Idealismus zu unter-
halten in der Seele des Menschen und in
dlesem Sinne kann ihre Tätigkeit nur revo-
lutionär sein. Sie habe also den Mut, öen
mächtigen Verteidkgern der heutigen Ord-
nung zu sagen: »Zählt nicht mehr auf mich .
(Roorda).

(Fsrtsehung folgt.)
 
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