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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 2.1922

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Heft 2 (März 1922)
DOI Artikel:
Dietl, Johann Baptist: Umgestaltung des Zeichnens, [2]: eine Kulturaufgabe
DOI Artikel:
Kolb, Gustav; Hartlaub, Gustav Friedrich: Der Genius im Kinde, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.21684#0038

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156

usw.) wollen wir dem Kinde recht oft m 2ie Hand
geben und nützen lehrcn, damit es seine pläne und
Gedanken um so hcmmungsloser verwirklichen kann
und dem Leben des Alltags nicht fremd 'gegen-
übersteht.

Wir wollen mit dem Kinde auch nicht alle die
Umwege erst gehen, die die Menschheit in ihrer
sahrtausendelangen Entwicklung gegangen ist und
deren Erkenntnisse in dem Kind unserer Eage be-
schlossen sind. Die Erfahrungen, Vorarbeiten, Werk-
zeuge und Vorräte unserer Vorfahren müssen wir
für die Kinder unserer Zeit als gegeben annehmen
und sie mit ihnen vertraut machen. Gewiß werden
wir gelegentlich auf den Ursprung der Formen (aus
primitiven Werkzeugen und Stoffen) zurückgreifen,
um die Abhängigkeit der Form von Material und
Werkzeug deutlkcher zu erkennen und um zu be-
grelfen, wie alle Gestaltungen durch ihren Zweck
und die Arbeitsweisen der Zeit bestimmt sind. Aber
wir werden immer mit allen Mitteln unserer Zcit

die Formen herauszuarbeiten suchen, die dem Kinde
und unserer Kulturhöhe gemäß sind.

Zeichnen in umfassendcm Sinne für alles sicht-
bare Gestalten genommen, hat in der Erziehung
zwei Aufgaben zu erfüllcn:

1. Einc rein praktische: Klärung der Vor-
ftellungen, Versinnlichung geistiger Vorgänge, Mit-
teilung von Gedanken,- Zeichnen als Sprache des
Verstandes — Verkehrssprache.

2. Eine ideale Aufgabe: Weckung und pftege
des natürlichen Schönheitssinnes, Geschmacksbildung,
Vermittlung von Augenlust und 2lugenfreude,- Zeich-
nen als Sprache der Empfindung — Kunstsprache.

Einen Weg dahin über die Kinderzeichnung will
der »Bunte Dogel" zeigen, es ist nicht der einzige,
er ift auch nicht zwischen Mauern festgelegt, es ist
mehr Wegrichtung ins Gebirge. Gehen muß jeder den
Weg zum Kinde selbst. Aber es ist ein Weg durch
freie Gegend und tausend Blumen blühen an seinem
Rande. Max Nitzsche, Dresden-Hellerau.

Der Gemus im Kmde. ^

0er Genius im kinse, Zeichnungen und Malversuche
begabter Kinder, zusammengestellt und elngelektet von
G. F. Hartlaub (Verlag von Ferd. Hkrt, Breslau, preis
gchestet M60. —, gebunden M 72).

Dr. Hartlaub isk bei uns kein Fremder. Wkr verdanken
ihm den Aufsatz !m Maihest von ,Kunst und Jugend', kn
Sem er den Ekgenwert der spontanen Ktnderzekchnung tn
Gegensatz stellte ;u den Ergebniffen der heute üblichen
«Erzkehung zur Kunst', dke nkchts anderes sei, als etne
Unterdruckung der künstlerisch spkelenden Ekgentrtebe des
Kknves durch die bekm Schaffen der Erwachsenen gülttgen
Gesetze. Manchem Schulmanne wird betm Lesen dkeser
und anderer Außerungen des Verfassers etn kalter Schauer
über öen Rücken gelaufen sein,- denn von der spontanen
Kknderzekchnung hat der zünstkge Schulmann nte vtel ge-
halten, sie erschien ihm in Ver Hauptsache als „Schund',
wie sich kürzlich ekn Lehrer in einer Bezirksschulversamm-
lung mir gegenüber ausdrückte.

Bun hat uns Ser Weihnachtsengel gleich ein ganzes
Buch von Dr. Hartlaub auf den Dsch gelegt, das aus
Vorbereikmg und Aufbau der von der Mannhekmer
stävkischen Kunsthalle im Frühjahr1921 veranskaltetcn Aus-
skellung von Kinderarbeiten erwuchs und eine eingehende
Darlegung des Wesens der kindlichen Bildsprache enthält.

Wichtkg ist, wie schon Ver Dtel des Buches zekgt, zu-
nächst feskzustellen, dast es stch um Zeichnungen und Mal-
versuche begabter Kinder handelt, auf die stch die Unter-
suchungen des Verfaffers beziehen. Auch dke Ausskellung
in Mannheim stand unter dem Zeichen der Bevorzugung
besonders begabter Kinder (S. 4Z). Der Verfaffer ist nun
aber der Ansicht, dast gerade das begabte Kind mit „seinen
Versuchen Vas Mast abgeben kann, denn es wekcht zumeist
nicht von der Norm ab, sondern sprkcht nur Veutlicher und
vollkommener aus, was der Durchschnitt vag empfindet'
(<w. sty). Der Text Ves Buches kst in neun Kapktel geteilt:
Änbetung Ves Kindes, der Genius, Träumen und Spielen,
Zeichen und Gestcht, Schmuck und Gebärde, Erfindung und
Gesinnung, parallelen, Einstüffe, Umwelt, Unterweisung.
Es folgen Vann dle „Anmerkungen und Exkurse', die
Hinweise zu den Bildern und schließlich dlese selbst.

Um den Geist Ves Buches zu kennzeichnen, wollen wir
eknkges auS dem 2nhalt wiedergeben. Der Verfaffer ver-
steht unter dem „Genius des Kindes", die hohere Batur-
macht, die km Kinde wirkt, das sich noch keinen leibseelischen
Organismus gebildet und seinem bewustten 2ch unter-
worfen hat, es Leistungen vollbringen läßt, die das Kknd,
würde es geistig so weiterwachsen, zu geistkgen Riesen
werden lieste, dke aber nicht durch bewustte Willensan-
strengung herbeigeführt sind unv nkcht als Verdienst, sondern
als Gnads zu werten sind. „Den Seknen gtbt es der
Herr schlafend". Die Kindheit ist nicht nur ein Versprechen,
sondern auch schon Erfüllung, also nicht nur Vorbereitung
auf das Leben, sondern ekn Stück Leben selbst, das seine
eigenen Gesehe in sich trägt, dle nicht mit dem Maststab
der Erwachsenen gemeffen werden dürfen. Der Erwachsene
hat kein Recht, storend in dieses Kinderparadies einzu-
greifen,- denn die mekste Kindheit ist eine gar zu kurze
Gnadenfrisk, bevor der Lebenskampf beginnr.

Zwei Erlebnisformen sind jedem Kinde gegeben, damit
es sein Eigenstes, Geheimstes entfalke: waches Träu-
men undSplelen (nur als Reste und Rückskände kennt
sis der Erwachsene noch). Spkelen ist dem Kind nicht
Vorspielen, keine „Gestaltung für das Auge' des Andern. -
Was an khm gestaltet ist, hat immer nur den Wert einer
Verwirklichungshilfe für die Einbildungskrast des Spielen-
den selbst. Es lst kein lehter Gegensatz zwischen der Art,
wie ein Kind sich und anderen ein Märchen, eine Ge-
schichte erzählt, oder wie es durch Aufmalen sich eine
solche Geschichte sinnlich vergegenwärtkgt, kein Unterschked
also zwkschen „Träumen" in Wort und „Spiel" km Bild.
„2ch kann mkch in Vke Welt oon „Hänsel und Gretel"
versehen, indem kch mir diese Geschkchte erzähle, ferner,
indem ich sie sinnfälllg spiele (mit anderen Kindern oder
mit von mir beseelten Dingen, Vie ekwas „sein sollen")
und endlich, indem ich ste mir eben „aufmale". Richte tch
die Erzählung so ein, dast auch ver ZuhSrer sie erfastt,
forms ich sie also bswustt, spkels ich nicht nur das Märchen,
sondern „sptele es vor", mache ein Schau-Spiel daraus,
male ich envlich meine Szene nicht mir zur Vergegen-
wärtlgung, sondern für den Betrachter drausten, Ver sie
 
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