Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 2.1922

DOI Heft:
Heft 2 (März 1922)
DOI Artikel:
Stiehler, Georg: Ein Kulturdokument
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.21684#0024

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
142 ..^

2n Deutschland zählt mit Willen der RegierungS-
vertreter desReichsfinanzministeriums und des Rcichs-
ministeriums des Innern ein drei- bis vierjähriges
kunstakademisches Studium in Zukunft nichts, rein
gar nichks,- es bewirki, daß Leute, die aus Begeisterung
und innerer Einstellung des ganzen Mcnschen zu
kunst- und handwerklicher Tätigkeit getrieben werden,
mit einem geringeren Gesamteknkommen als z. B.
der Bolksschullehrer Badens, ohne weiteres Studium,
„bestrast" werden. Ist mit dieser Entsckeidung ein
Erstfall geschaffen, so daß das in Aussicht
genommene dreijährige Studium der Volksschul-
lehrer auch nicht besonders gewertet weröen soll?

,Das Fehlurteil" am Reichsschiedsgericht bewirkt,
daß der Teil der Gefamterziehung der deut-
schen Iugend an höheren Schulen, der dem
kunstpraktischen Arbeitsunterricht gewidmet
ist, zur vollen Bedeutungslosigkeit herab-
gedrückt wird.

In einem Zeitungsaufsah eines Reichsgerichts-
rates über die zu tiefe Einstufung der Reichsgerichts-
räte wird auch allgemekn der Satz geprägt, daß
Bcsoldung und Wertung der Arbeit in unmittel-
barem Zusammenhang stehen. Das gilt auch für
dke Erziehung,- der Wiffenschaftler an höheren Schu-
len steht in Klasse 10, 11 und 12, dcr Vertreter der
Kunst in 8 und 9, trotz gleichwertiger Vorbildung
und gleichwertiger Bildungsarbeit! Das ist einfach
unhaltbar, oder soll die traditionelle Minderbewer-
tung der künstlerischen und praktischtechnischen Bil-
dungsarbeit ein UnterscheiSungsmerkmal derDeutschen
anderen Kulturvölkern gegenüber werden? Soll dke
Entwkcklung der Seh- und Gestaltungskräfte, die
Geschmacks- und Gefühlsbildung der deutschen Iugend
nach wie vor verkümmern?

Die Leipzigcr prozesse haben dcutlich gezckgt, daß
geistig hochstehende persönlichkeiten kein inncres Ver-
hältnis zu den Aufgaben deutscher Ktmsterzichung,
zu dem Bildungswert des kunstakademischen Striditims
haben können, daß aber glekchwohl ihr Urteil aus-
schlaggebend für die Bewerkung der Sache sclbst ift.

Wenn jedes Gerkcht sonst notwendkgerweise Sach-
verständige heranzkeht, so verzkchkek der präskdent auf
die Heranziehung von Sachverständigen (wozu der
Unlerzeichnete brieflich für die Zukunft ersucht hatte),
wenn es sich um dke Iugenderzkehung handelt, die
allerdings nach eknem Ausspruche dcs Herrn von
Iakobk nkcht so bedeutungsvoll ist, als Brücken zu
bauen: „Brückenbau ist wichtiger als Kknder er-
ziehen". Der Unterzekchnete nahm an, daß Herr von
Iakobi als Mitglied des Rckchsministeriums des
Innern, des SitzeS des Reichsfchulausschuffes, Kennt-
nls hätte, von dem problem der „Kindererziehung",
daß unsere „Kinder" erst erzogen und gebildet werden

müffen, bevor neuc Brücken gebaut werdcn können.
Das im preußischen Abgeordnetenhaus gcfallene
Wort vom „Kultusministerium als dem eigentlichen
Wiederaufbauministerium" bcsteht zu Necht.

Alles in allem Hemmt das Urteil des Reichs-
schiedsgerkchts den kunstpraktischen Arbeits-
unterricht an den höheren Schulen Deutsch-
lands, hemmt die Wertung des künstlerischen
Studiums und der handwerklichen Ouali-
tätsarbeit,- denn der Zeichenlehrer ist nun einmal
der Vertreter der Kunst und der Werkarbeit an den
höheren Schulen.

Der Beschluß wirft Deutschland in Fragen der
Kunsterziehung um ein halbes Iahrhundert Entwkck-
lung zurück, und das trotz zeitlich nahelkegender
Kunsterziehungstage, dem Weckruf des Werk-
bundes,derForderung derReichsfchulkonferenz,-
Ausschuß 7, Leitsatz 4: „Für dke Nbergangszekt kst zu
fordern, a) daß dke Schule in ihrer gesamten Bil-
dungsarbekt mehr als bisher die Sknne, dke Aus-
drucksmittel und das Formgefühl der Iugend ent-
wkckelt, b») daß die Kunstfächer und deren Vertreter
den wiffenschastlichen Fächern und deren Vertretern
gleichwertig erachtet werden".

Das ist ein einstkmmiger Beschluß der Mitglieder
des Ausschusses, dem Hochschullehrer, Künftler, Lehrer
aller Schulgattungen angehörten, und dke den ernsten
Willen zur Hinführung der deutschen Iugend zu
Kunst und praktischer Arbeit bekundeten, dabei aber
den Führern der Iugend, den Zeichenlehrern an
höheren Schulen die gehobene Stellung bei der
verantwortungsvollen Arbeit nicht versagten. —

2m eknzelnen ist noch zu sagen, daß auch der
Verhandlungston, den Herr Geheimrat
Kühnemann und Herr Ministerialrat von Iakobi
anschlugen, nkcht bloß vom Beamtenverkreter, sondern
auch von den Regierungsvertretern Badens und
Württembergs mit Erstaunen und mit starkem lln-
willen aufgenommen worden ist. Man hatte an
oberstcr Gerichksstclle eine andere Art der Ver-
handlung erwartet. Wenn der l.Interzekchncte auch
wciß, daß der Neferent des Reichsfknanzministerrums
ckne besondcre Aufgabe km Sinne dcs „Bremsens"
hat, so darf das nicht Sache und person verletzen.
Wenn Herr Geheimrat Kühnemann in leicht-
hin geworfenen Bemerkungen von „Zeichenjüng-
lingen", von „Reallehrern, die bißchen Schreibunter-
richt zu erteklen", von „Musiklehrern, die Tonleitern
einzuübcn habcn" sprkcht, so haben solche Bemer-
kungen das bestimmte Ziel, die Tätigkeit von Lehrer-
gruppcn herabzudrücken. Es fiel auch von anderer
Seite das Wort: „Zeichenunterrkcht ist Spielerek".
Auch Hcrr von Iakobi bedicnte fich einer ähnlichen
Ausdruckswcise, er sprach von „Zeichenlehrern, dke
 
Annotationen