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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 2.1922

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Heft 2 (März 1922)
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Krieger, Karl Ludwig: Handwerkliche oder zeichenwissenschaftliche Ausbildung?
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https://doi.org/10.11588/diglit.21684#0029

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methoden und Analysen zeichnerischer Ausvrücke und deren
Sammlung, Ordnung und Verwsrtung sür unsere Er-
zlehung keine Rede sein. Das soll heute mit aller
Entschievenheit festgestellt werden. Der Verfaffer
kann dies mit ruhkgem Gewisscn behaupten, weil er so
zkemlich alle Veröffentlichungen auf diesem Gsbiete kennt
oder befitzt. Die allgemeine psychologke und pädagogik
(mit Ausnahme der Asthetik) haben km letzten Iahrhundert
für den Zeichenunterricht so wenig Interesse bekundet, daß
man getrost auf sie verzichten kann, wenn wir unsere
Ieichenwissenschaft, dle sosychologie und pädagogik des
Ieichnens, die !n ihrer jeht vorhandenen Gesamthekt bereits
sehr gut lehrbar ist, fest begründet und ausgebaut haben.
Sie kommen als Einführungsgebiete in dke Zeichenwissen-
schast in Betracht. Wieviele Differtationen sinv an unseren
Universikäten und Hochschulen insgesamt über die wichtig-
sten und unwichtigsten Dinge im Laufe des letzten Iahr-
zehnts geschrieben worden und wievkel prozent davon ent-
fallen auf die psychologke und pädagogkk des Zekchnens?
Wieviele Rektoratsantrittsreden haben dteses bedeukende
Gebiet überhaupt erwahnt? Wkr stehen hker vor einem
absoluten Nlchts! Wer ist schuld daran, daß die ekgentlich
produktioe Zeichenwiffenschast noch in den Kinderschuhen
steckt? — Das bisherige Berechtigungsunwesen, das dem
Volk mehr geschadet als genuht hat und dann letder auch
die Uneinigkeit der Zekchenlehrer selbst. Das must endlich
anders werden! Betrachten wir nur die Entwicklung der
7?aturwissenschasten. Hier haben meistens die üehrer der
höheren Schulen mitgewirkt. Deshalb haben wkr an allen
Schulen und kn groszen Museen prächtige Steinsammlungen,
Schmetterlkngs-, Vögel-, Saugetier- und Käfersamm-
lungen (bis zu den kleinsten Lebewesen). Diese Sammler-
arbeit kst eine naturwiffenschastliche und ihre Gesamthelt
ist die Naturwissenschast. Durch Auszeichnungen mit Sti-
pendien, wiffenschastlichen Ehrentiteln wie Doktor und dgl.
wurden die Iünger der Naturwiffenschasten zur emsigen
Sammler- und Forscherarbeit angehalten, so daß man heute
Tausende von längst erloschenen Kalktierchenarten festge-
stellt hat, von denen sede den Nameo ihres Entdeckers
trägt, der Vamit seinen Vamen unvergänglich !n das
ewlge Buch der Wiffenschast eingetragen hat. Für solche
Dlnge hat, unsere Wissenschast ein ungehsueres Intereffe.
Auch der Staat, denn er gibt hierfür große Summen
aus. Das kostbarste Gut der Menschheit, des Menschen
Seele, die Kindesseele zu erforschen, was am besten in
den zeichnerischen Ausdrücken geschieht, diese nach ihren
Arten und Gattungen zu ordnen, ganzs Sammlungen
davon !n großen Museen unterzubringen, damit der Mensch
einmal eine klare lübersicht über Vie zeichnerische Entwick-
lung der Typen, die Arten von Typen, die Fehler, Krank-
heiten, Lücken, die Schwachbsgabten, die Normalen, Talen-
tierten und die Genies gewinnen könnte, dazu hat derStaat
kein GelV, die Universität kein Intcress e, (abgesehen von Zeich -
nungen der Indianer- oder Hottentottenkinder) der Zekchen-
lehrer — keknen Berechtkgungsschein und wenn er ihn hätte,
in Deutschland ganz wenig geeignete Hochschullehrer, die
ihm die nötigen zeichenwiffenschaftlichen Methoden bei-
brkngen können. Also es steht überaus traurig mit unserm
Fach und der Zukunst. Aber nicht entmutkgen laffen! tzelfen
wlr uns selbst! So hat z. D. der Verfaffer vor längerer
Zeit den Anfang mit einer psychologischen Sammlung ge-
macht, a) elner Fehlersammlung und !>) einer
Typensammlung, deren jede in etwa 20 Unterabtei-
lungsn zerfällt und über dle er später eknmal ekngehend
berichtet. AußerVem sind einige andere Amtsgenoffen ebenso
eifrig anr Werk und in einkgen Iahren wird man vor
derartig schlagenden Beweisen der Notwendigkeit Ver 3ei-

chenwissenschast als Lehrfach an den Hochschulen ntcht mehr
achtlos vorbeigehen können. Diese Sammlertätkgkeit ist
eine zeichenwiffenschastliche und ihre Gesamtheit ist die
Zeichenwiffenschast. Deshalb verlangteich denBerechtigungs-
schein für denZeichenlehrer und dkc Zeichenwissenschaft
als Lehrfach, weil ich die gerade Llnke genau sehe, die
eingehalten werden muß, um zum 3iel des idealen deut-
scken Zeichenlehrers zu kommen. Dieser soll nicht mehr
alle drei Iahre ein anderes Kalb umtanzen, einmal den
Impressionismus, dsn Eppressionsmus, Iapanismus, Vie
Flächen-Hlakatmanier, die Methode Liberty §add, Stuhl-
mann, Vas Gipsbrocksnzeichnen unö jetzt den Arbeits-
unterricht, sondern er soll erkennen, daß diese Dinge höch-
stens Mittei zum 3weck sein können, daß das einzig Wahre
aber nur in der Zeichenwiffenschast selbst liegt. Gerade vor
kurzem ist uns in der person des Geheimrats Wilhelm
Ostwald auch kn dtesen Fragen ein hochsinniger Berater
erstanden. Er brkngt in sekner Zektschrist »Dke Farbe"
Hest 21 Nr. 1921, Verlag Unesma Lekpzkg unter ausführ-
licher Begründung den Zsiachweks, daß der Zeichenunter-
richt in zwei Teile gegliedert werden kann, etnen lehr-
baren wiffenschastllchen und eknen nkcht lehrbaren künstle-
rischen. Er bestätkgt, daß dke bisherige Organisation deS
Zeichenunterrlchts durch Nur-Künftler nicht zum 3iele hat
führen können, da die Aufgabe auf dkesem Weg
überhaupt nicht lösbar sei. .In dem Maße als die
Zekchenkunst Wiffenschast wtrd, in dem Maße wird fle auch
lehrbar und kann kn Aufnahme und Ausübung Ällgemein-
gut des Volkes werden." »Bei der ausgesprochenen Freude
Ver Iugend an Farben unv Formen werden die Zeichen-
stunden von den Schülern als glückbringend empfunden
und mit wärmsten Entgegenkommen aufgenommen werden,
da diesen auf dem methovkschen Wege der Wissen-
schaft ekne vkel schnellere und weitere Beherrschung dieser
Welt der Schönheit vermkttelt werden kann.

»Durch die entschlossene Einstellung der 3ei-
chenlehrerschaft auf die wissenschaftliche Grund-
lage anstelle der künstlerischen verschwinden
vtslelübelstände!" Dtese Aussprüche Wilhelm Ostwalds
beziehen sich nicht nur auf die Farbe, sondern auch auf
die Form, überhaupt auf den gesamten Zeichenunterrkcht.

Unter der Einführung in die Zeichenwiffenschast kst also
etwas ganz anderes zu verstehen als dke »völlig unpar-
teiische Merkmallehre", die mir dke Tätigkeitskurven der
eknzelnen Lehrberufe geliefert hat, eine Sache, die unserm
seit Iahren gedrückten Stande nur nützen kann und die
keine Herabsetzung ohne Beweise verdient. Inwiefern dke
Merkmallehre eine wichtige Disziplin des Zeichenunter-
richts werden kann, habe ich in dem soebsn erschkenenen
Ianuarheft von „Schauen und Schaffen" (Dürrsche Buch-
handlung, Leipzig) ausführlich klargelegt. Ebenso habe
ich an dieser Stelle die Grcnzen der Zeichenwiffenschast
besouders hinsichtlkch der Kunstwissenschast umschrieben. Ich
möchte zur Unterftützung obiger Ausführungen darauf hkn-
weisen. Ist venn Vas Wort »Ieichenwiffenschast" etwas so
anmaßendes und aufdringlkches? Blicken wkr doch zurück,
wke es vor ?0 Iahren mit andern Wiffenschasten bestellt
war. tzandels-, WirtschaftS- und LandwirtschastSwissen-
schasten gab es noch gar nkcht, die Technik, dke Natur-
wissenschasten unv neueren Sprachen steckten noch in den
Anfangsskusen, nsuerdings erst hat man Lehrstühle für
Iournalistik eröffnet,- dle Direktoren höherer Lehranskalten
waren vielfach Volksschullehrer ohne Berechtkgungsschein,
viele ungeprüste Sprachlehrer, darunter sogar frühere Ober-
kellner erteilten Sprachuntsrricht — warum soll auSge-
rechnet eines Ver schwierigsten pädagogischen Fächer mit
größter Bedeutung fiir unsere Volkswirtschast nicht auch
 
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