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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — N.F. 2.1922

DOI issue:
Heft 2 (März 1922)
DOI article:
Dietl, Johann Baptist: Umgestaltung des Zeichnens, [2]: eine Kulturaufgabe
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https://doi.org/10.11588/diglit.21684#0036

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154

die Freude am Rhythmus. Ihn zu pflegen muh
eme der natürlichsten und aussichtsreichsten Auf-
gaben deö Elementarunterrichts sein. Rhythinus
als ordnendes Pnnzlp, von Natur aus im Menschen
liegench ist imstande, alle körperliche und geistige
Tätigkeit des Einzelnen zu fördern und sie dcm
Gesamtwillen der Gemeinschaft einzuordnen.

2m engsten Zusammenhange mit dem Streben
irach rhythmischer Gestaltung steht das Verlangen
nach Symmetrie oder Gleichgewicht in der Kinder-
zeichnung. Dkeser,
im symmetrischen
Aufbau öes mensch-
lichen Körpers und
unendlich vielerNa-
turdinge wurzelnden
triebhaften Nekgung
folgt das Kind bei
seinen zeichnerischen
Darstellungen oft
sogar dann, wenn
sachliche Erwägun-
gen widersprechen.

Landschaften, die le-
diglichum derSym-
metrie willen mit
zweiSonnen ausge-
stattet waren, habe
ich gar nicht so selten
bei Kinderzeich-
nungen gefunden,
wie auch dieVolks-
kunst zum Doppel-
adler, Abschießvogel
mit zwei Köpfen
u. dergl. geführt hat.

DieFreudeamFalt-
schnitt mit seinen
überraschenden,
streng symmetrischen
Ergebnissen, entspringt ebenfalls diesem Naturtriebe.
Strenge Durchführung der Syinmetrke führt oft
gleichzeitig zur ^aumfüllung, die aber auch sonst von
der Mehrzahl der kindllchen Zeichner gesucht wird.
Dutzende von Kinderzeichnungen und Stickereken
könnte ich vorlegen, bei denen die Fläche kn köstlich
nakver Weise, unberührt von sachlichen Bedenken, ge-
füllt ist wie ein orkentalischer Teppich, wobei auch dke
Verkeilung der Farben oft eine nicht unwesentlkche
J^olle spielt. Beobachtet man freie Kknderarbeiten
unter diesen Gesichtspunkten, so erkennt man mit
immer grötzerer Dcutlichkcit, datz der Gestaltungs-
wille der Kinder nicht vom Vaturvorbilde geleitet
wird, sondern von jenem triebhaft im Menschen

liegenden Streben nach Rhythmus, Symmetrie und
Raumfüllung, also nach elementaren künstlerifchen I
Formgesetzen, die dem jugendlichen Schöpfer freilich !
nicht bewutzt sind, und gerade deshalb sich als durch- j
aus natürliche, dem Menschen angeborenc Triebe er- !
weisen. Die zweite Tafel, die die Entwicklung des Vo- /
gels oom Schema zur Schönheitsform bietct, bringt !
besonders in Bummer 14-22 Belege zu dem Gesagten.

Die wichtigste Aufgabe des Erziehers mutz es feln,
öieses natürlicheSchönheitsempfinden zu erhalten und

zu pflegen und es
im Kampfe gegen
die übeln Einflüffe
der Umwelt zur
freien Entfaltung zu
bringen. Wenn wir
unsere Schüler erst
wieder da hin bringen
könnten, ohne Rück-
sicht auf Moden und
auf Meknungen der
meist verbildeten Er-
wachsenen ihre Ar-
beiten aus sich her-
aus zu gestaltcn und
die Dinge ihres täg-
lichen Bedarfs rekn
auskhrennatürlkchen
(unverdorbcn.) For-
men- u. Farbensinn
zu wählen, wäre die
Frag.d.Geschmacks-
bildung auf dem na-
türlichsten Wege ge-
löst, der ohne alle
Lehrsätze, ohne Zeit-
und Modeströmun-
gen immer zu einem
sicheren u. gesunden
Urteil führen würde.

Wie ftellt sich nun der Zeichenunterricht unserer
Schulen zur Kinderzeichnung? Eigentlich dürste es

diese Frage gar nicht geben, denn solange wir es _

im Zeichenunterricht mit Kindern zu tun haben, ^
kann es doch gar nichts anderes als Kknderzeich- ,

nungen geben, oder soll es sich dabei vielleicht um /

Lehrerzeichnungen oder Elternzekchnungen handeln? !
So widersknnig uns das erscheknt, so ist es doch "
jahrzehntelang nicht anders gchalten worden, die
Zeichenart der Erwachsenen wurde ohne weiteres
auf das Kind übertragen,- nicht einmal die naive
volkstümliche Zeichenart der meisten Erwachsenen,
sondern ein übler Dilettantismus, der dem Künstler
einige Autzerlichkekten abgeguckt hatte. Zeichenlehrer

Abbildung 2. Schema-Scheinformen und Schönhsitssormen von Vögeln^
Aus »Der bunte Vogel" von M. Nietzsche.
 
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