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Allein- und Ewigkünstlensche nller Zeiten. Heute
pulsiert vies gerade so lebendkg in uns wie damals
in peru vor 2000 Iahren. Darum besteht auch
dke Möglichkeit zur Lösung dieser Lebenskraft für
unsere Iugend. Wir sollen ihr nichts Totes vor-
halten und ihr nichts Totes beibn'ngen, sondern
schöpferisch mit ihr leben,- denn fte trägt die Schön-
hcit und damit auch die Kunst in sich. Ekn weh-
mütkges Rückwärtsblickcn auf das, was wir nicht
mehr haben, kann uns nichts nützen. Der Ent-
wicklungsgang der Menschheit lätzt sich nicht zurück-
stellen. Wir müssen jetzt nach vorn sehen, um den
Weg zu erkennen, öen wir gehen.
Dte Entwicklung der kunstlerischen Kultur in
Deutschland ist kn den Gründerjahren schwer ge-
schädigt worden, sodaß den berufenen Kunsterziehern
in den Schulen die schwere aber dringende Aufgabe
zufällt, die gelähmten Sknne und Organe, mit denen
künstlerische Dinge wahrgenommen und unterschieden
werden, wieder zu bewegen und zu schulen. Es
muß aber die beste Methode dabei erfolglos bleiben,
wenn sie nicht unmittelbar ins Lebendige führt.
Darum muß kch vorerst auf das hinrveisen, was
ich schon einmal kn dem Aufsatz „Linie und Farbe"
im Kalender des Reichsverbandes S. untere
Hälste ausgeführt habe. (Ich bitte diesen Aufsatz
mit jenem im engsten Zusammenhang zu lesen.) Was
ich dort unbewußtes Leben nenne, steht in völlkger
Gleichheit ml't Form,- denn alle lebendige Form
entspn'ngt aus ewigem Leben. Unter lebendiger Form
ist nicht jene äußerliche, markante, sinnliche Form
zu verstehen, sondern die Form, die 1n einer ewigen,
wesenhasten Wirklichkeit vorgebildet ist und die sich
durch einen lebendigen Menschen, einen Künstler
unbewußt verwirklicht. Aber eitler Verstand glaubte
lange, im Nachbilden von Formen das Höchste in
der Kunst zu finöen. So sind wir noch erzogen
worden. Der Widersinn solcher Kunsterziehung
wurde schon lange eingesehen. Aber den Weg ins
Lebendige haben wir noch nkcht gefunden.
Es ist Grundsah: Wenn Lehrer erreichen wollen,
daß ihre Schüler sich unbefangen und lebendig aus-
drücken, d. h. datz jede Form ihres Ausdrucks einer
Empfindung entspricht, dann darf ein Lehrer nie
einen solchen Ausdruck bemängeln, sondern muß khn
unbedingt bejahen. Wir erwarten aber 'vom Lehrer,
daß er das feine Gefühl hat, die Lauterkeit der
Empfindung, die der Schüler äutzcrte, in allen Fällen
zu erkennen und da wo ste getrübt wird durch ge-
danklkche Erwägung oder durch Bewußtheit ihre
Keuschheit verlor, sofort Halt zu gebieten. Ich möchte
hker allen Lescrn das Schriftchen Heinrich von Kleists
„llber das Marionettentheater" (Erkch Lichtenstein-
Verlag, Weimar, l6 Seiten) empfehlen und daraus
einen Sah zitieren: „Wir sehen, daß in dem Maße,
als, in der organischen Welt, die Reflerion dunkler
und schwächer wird, die Grazie darin immer strah-
lender und herrschender hervortritt." Iunge Menschen
finden immer von selbst, was den Dingen fehlt und
tuen unbewußt aus Eigenem hinzu. Das lst ihre
Grazie, die Schönheit, die sie in skch trägt! Das
ist auch das Geheimnis in der Kunst jener Vatur-
völker, von denen vorhin geredet war. Wkr müssen,
wie ich zu Anfang sagte, den Weg vor uns er-
kennen, auf dem wir gchen. Das ift der Weg, der
von 2nnen nach Außen führt. Der frühere ging
von außen nach innen, dadurch abcr geschah kein
lebendiges Wirken.
Voraussetzung für dieses lebendkge Wirken ist
knnere Harmonie. Innere Harmonie entspricht in-
nerer Gesehmäßigkeit. Blicken wir nach außen, so
können wir andererseits auch sagen, daß alles, was
wir als Harmonie empfinden, auf Gesehmäßkgkekt
beruht. Die Gesetzmäßigkeit ist das Tertkum, in
dem die schöpferische Eigenkrast des Lehrers und dke
des Schülers sich treffen. Darauf muß sich der.
Unterricht gründen. Die uns angeborene Befähigung
für das Gesctzmäßige kann durch Schulung gestärkt
und gesteigert werden.
Da Ordnung Grundgesetz des Schönen kst, be-
gknne ich den Unterricht mit Ordnungsübungen*).
Hier liegt aber die Gefahr vor, daß man wieder
den alten Weg einschlägt, und von außen her kom-
mend von vornherekn alles Zarte, was sich anbahnen
könnte, zertritt. Diese Ordnungsübungen (s.Abb.1)
müffen aus dem pulsschlag hervorkommen, der erst
durch Atmcn, Sammlung und Versenkung zur
Wirkung gelangen kann. Dann ist dke innere Har-
monie hergestellt. 2st ekn Mensch innerlich harmonksch,
dann trägt auch alles, was er tut, den Spiegel
dieser Harmonie. 2ch will hkerfür das Wort eines
alten Lhinescn, Kuo Hsi von Sung sprechen lassen:
„Menn ich nicht in einem ruhigen Hause wohne,
mich in ein abgelegenes Zimmer mkt offenem Fenster
setze, den Tisch abstaube, Wekhrauch verbrenne und
die zehntausend alltäglkchen Gedanken vertreibe und
versinken lasse, kann ich keine richkige Empfindung
für die Malerek haben und kann das ju, das Ge-
heimnisvolle und Wunderbare, nicht schaffen. Erst
*) Dkes bezleht stck nlcht auf den Anfangsunterrlcht
überhaupt, sonvern auf den lm Folgenden besprochenen
Lehrgang, den lch erst mit 1Z- und 14 -ährlgen Schülern
beginne. Das; eln Leben befrelender, von äutzerem Zwang
aelofter Kunftunterrkcht auch fthon bei den klelnen Schülsrn
(8 bls 12 Iahr) mögllch ift, bewelsen dle ausgezeichneten
Versuche und Ergebnlffe L>eckmanns-2lsenburg. ^
Allein- und Ewigkünstlensche nller Zeiten. Heute
pulsiert vies gerade so lebendkg in uns wie damals
in peru vor 2000 Iahren. Darum besteht auch
dke Möglichkeit zur Lösung dieser Lebenskraft für
unsere Iugend. Wir sollen ihr nichts Totes vor-
halten und ihr nichts Totes beibn'ngen, sondern
schöpferisch mit ihr leben,- denn fte trägt die Schön-
hcit und damit auch die Kunst in sich. Ekn weh-
mütkges Rückwärtsblickcn auf das, was wir nicht
mehr haben, kann uns nichts nützen. Der Ent-
wicklungsgang der Menschheit lätzt sich nicht zurück-
stellen. Wir müssen jetzt nach vorn sehen, um den
Weg zu erkennen, öen wir gehen.
Dte Entwicklung der kunstlerischen Kultur in
Deutschland ist kn den Gründerjahren schwer ge-
schädigt worden, sodaß den berufenen Kunsterziehern
in den Schulen die schwere aber dringende Aufgabe
zufällt, die gelähmten Sknne und Organe, mit denen
künstlerische Dinge wahrgenommen und unterschieden
werden, wieder zu bewegen und zu schulen. Es
muß aber die beste Methode dabei erfolglos bleiben,
wenn sie nicht unmittelbar ins Lebendige führt.
Darum muß kch vorerst auf das hinrveisen, was
ich schon einmal kn dem Aufsatz „Linie und Farbe"
im Kalender des Reichsverbandes S. untere
Hälste ausgeführt habe. (Ich bitte diesen Aufsatz
mit jenem im engsten Zusammenhang zu lesen.) Was
ich dort unbewußtes Leben nenne, steht in völlkger
Gleichheit ml't Form,- denn alle lebendige Form
entspn'ngt aus ewigem Leben. Unter lebendiger Form
ist nicht jene äußerliche, markante, sinnliche Form
zu verstehen, sondern die Form, die 1n einer ewigen,
wesenhasten Wirklichkeit vorgebildet ist und die sich
durch einen lebendigen Menschen, einen Künstler
unbewußt verwirklicht. Aber eitler Verstand glaubte
lange, im Nachbilden von Formen das Höchste in
der Kunst zu finöen. So sind wir noch erzogen
worden. Der Widersinn solcher Kunsterziehung
wurde schon lange eingesehen. Aber den Weg ins
Lebendige haben wir noch nkcht gefunden.
Es ist Grundsah: Wenn Lehrer erreichen wollen,
daß ihre Schüler sich unbefangen und lebendig aus-
drücken, d. h. datz jede Form ihres Ausdrucks einer
Empfindung entspricht, dann darf ein Lehrer nie
einen solchen Ausdruck bemängeln, sondern muß khn
unbedingt bejahen. Wir erwarten aber 'vom Lehrer,
daß er das feine Gefühl hat, die Lauterkeit der
Empfindung, die der Schüler äutzcrte, in allen Fällen
zu erkennen und da wo ste getrübt wird durch ge-
danklkche Erwägung oder durch Bewußtheit ihre
Keuschheit verlor, sofort Halt zu gebieten. Ich möchte
hker allen Lescrn das Schriftchen Heinrich von Kleists
„llber das Marionettentheater" (Erkch Lichtenstein-
Verlag, Weimar, l6 Seiten) empfehlen und daraus
einen Sah zitieren: „Wir sehen, daß in dem Maße,
als, in der organischen Welt, die Reflerion dunkler
und schwächer wird, die Grazie darin immer strah-
lender und herrschender hervortritt." Iunge Menschen
finden immer von selbst, was den Dingen fehlt und
tuen unbewußt aus Eigenem hinzu. Das lst ihre
Grazie, die Schönheit, die sie in skch trägt! Das
ist auch das Geheimnis in der Kunst jener Vatur-
völker, von denen vorhin geredet war. Wkr müssen,
wie ich zu Anfang sagte, den Weg vor uns er-
kennen, auf dem wir gchen. Das ift der Weg, der
von 2nnen nach Außen führt. Der frühere ging
von außen nach innen, dadurch abcr geschah kein
lebendiges Wirken.
Voraussetzung für dieses lebendkge Wirken ist
knnere Harmonie. Innere Harmonie entspricht in-
nerer Gesehmäßigkeit. Blicken wir nach außen, so
können wir andererseits auch sagen, daß alles, was
wir als Harmonie empfinden, auf Gesehmäßkgkekt
beruht. Die Gesetzmäßigkeit ist das Tertkum, in
dem die schöpferische Eigenkrast des Lehrers und dke
des Schülers sich treffen. Darauf muß sich der.
Unterricht gründen. Die uns angeborene Befähigung
für das Gesctzmäßige kann durch Schulung gestärkt
und gesteigert werden.
Da Ordnung Grundgesetz des Schönen kst, be-
gknne ich den Unterricht mit Ordnungsübungen*).
Hier liegt aber die Gefahr vor, daß man wieder
den alten Weg einschlägt, und von außen her kom-
mend von vornherekn alles Zarte, was sich anbahnen
könnte, zertritt. Diese Ordnungsübungen (s.Abb.1)
müffen aus dem pulsschlag hervorkommen, der erst
durch Atmcn, Sammlung und Versenkung zur
Wirkung gelangen kann. Dann ist dke innere Har-
monie hergestellt. 2st ekn Mensch innerlich harmonksch,
dann trägt auch alles, was er tut, den Spiegel
dieser Harmonie. 2ch will hkerfür das Wort eines
alten Lhinescn, Kuo Hsi von Sung sprechen lassen:
„Menn ich nicht in einem ruhigen Hause wohne,
mich in ein abgelegenes Zimmer mkt offenem Fenster
setze, den Tisch abstaube, Wekhrauch verbrenne und
die zehntausend alltäglkchen Gedanken vertreibe und
versinken lasse, kann ich keine richkige Empfindung
für die Malerek haben und kann das ju, das Ge-
heimnisvolle und Wunderbare, nicht schaffen. Erst
*) Dkes bezleht stck nlcht auf den Anfangsunterrlcht
überhaupt, sonvern auf den lm Folgenden besprochenen
Lehrgang, den lch erst mit 1Z- und 14 -ährlgen Schülern
beginne. Das; eln Leben befrelender, von äutzerem Zwang
aelofter Kunftunterrkcht auch fthon bei den klelnen Schülsrn
(8 bls 12 Iahr) mögllch ift, bewelsen dle ausgezeichneten
Versuche und Ergebnlffe L>eckmanns-2lsenburg. ^